Letzte Umarmung - Roland Benito-Krimi 3. Inger Gammelgaard Madsen
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Читать онлайн книгу Letzte Umarmung - Roland Benito-Krimi 3 - Inger Gammelgaard Madsen страница 11
»Also, falls Sie uns mit Informationen helfen können – egal welcher Art –, würden wir das sehr begrüßen. Haben Sie zum Beispiel einen weißen Opel Kadett Caravan oder ein ähnliches Modell hier auf der Straße gesehen?« Er sah Vagn direkt an, da er vermutete, dass er sich am besten mit Automarken auskannte.
»Nein, wir haben nichts gesehen.« Vagn sah zu Olga, die ihn mit einem Kopfschütteln unterstützte.
Roland trommelte mit den Fingern auf den Oberschenkeln. Er fürchtete, dass sie die Wahrheit sagten. Was könnten sie gesehen haben, wenn man von ihnen aus weder die Straße noch Signe und Albert Hovgaards Haus sehen konnte?
»Können Sie sich erinnern, wann Sie gestern Abend schlafen gegangen sind?«
»Wir sind immer zeitig auf, daher gehen wir normalerweise schlafen, wenn ich das letzte Mal im Stall gewesen bin. Ich weiß nicht, wann das gestern Abend war.«
Roland fand es zwecklos, sie zu diesem Thema weiter auszuquetschen. »Sie betreiben ökologische Landwirtschaft, wie ich sehe. Ist das in diesen Zeiten nicht riskant?«
»Was ist heutzutage nicht riskant? Wir haben genau die richtigen Bedingungen, unsere Tiere so aufzuziehen, dass das Fleisch frei von Hormon- und Pestizidrückständen ist. Wie in den guten, alten Zeiten, könnte man sagen.«
Es klang wie eine Tirade, die er gewohnt war herunterzuleiern, gegenüber Metzgereien oder Kunden im Hofladen, den Roland in einem der Stallgebäude bemerkt hatte, bevor der Hund seine Aufmerksamkeit erfordert hatte. Er schaute aus dem Wohnzimmerfenster und reckte den Hals.
»Ist da draußen Wald?«
»Ja, unser eigener privater.«
»Gehen die Schweine auch dorthin?«
»Im Frühjahr und Sommer. Jetzt ist gerade alles zugefroren.«
Roland nickte und stand auf. »Naja, aber dann will ich Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Aber wenn Ihnen noch etwas einfällt, dann ...« Er legte seine Visitenkarte auf den Tisch.
Vagn und Olga standen ebenfalls auf. Sie brachte ihn zur Tür. Er schaffte es gerade noch, sich zu verabschieden, bevor sie die Tür hinter ihm zuknallten.
Er hielt am Wald, wo er aus dem Auto stieg und in eine Schneewehe trat, sodass seine Schuhe und Hosenbeine nass wurden. Hier war das Räumfahrzeug nicht gewesen, aber einige Spuren, die nur mit einem Hauch von Schnee bedeckt waren, führten in den Wald bei der Schranke. Sie mussten frisch sein. Er folgte ihnen ein Stück, stoppte aber abrupt bei einem Schild mit großen roten Buchstaben: PRIVATGRUNDSTÜCK! UNBEFUGTEN IST DAS BETRETEN VERBOTEN!
8
Anita sah sie vom Küchenfenster aus. Sie kamen vom Supermarkt nach Hause. Mit Einkaufstüten im Arm rutschten sie in den Schneewehen in der Einfahrt herum, in der der Schnee lediglich durch die Reifenspuren von der Garage zur Straße etwas beiseitegeschoben war. Bitten lachte laut, als sie beinah hinfiel. Brian hatte eine erloschene Zigarette zwischen den Lippen hängen und erinnerte sie an eine junge Ausgabe von Mads Mikkelsen mit seinem etwas zu langen, strähnigen Haar und den dunklen Bartstoppeln auf Kinn und Wangen. Er schloss das Garagentor und machte nicht den Eindruck, als hätte er vor, noch mehr zu helfen. Er war auch der Fahrer gewesen, damit waren seine Pflichten für heute aus seiner Sicht überstanden. Wenn er dran war, gab es immer Probleme. Er schlenderte den anderen mit derselben Gleichgültigkeit hinterher, die er auch sonst im Leben an den Tag legte. Mit der großen, schwarzen Daunenjacke erinnerte er an das Michelin-Männchen; sie ließ seinen Oberkörper füllig erscheinen. Die dünnen Beine in abgenutzten Jeans und großen Moonboots schienen ihn kaum tragen zu können. Wieder dachte sie daran, dass sie in ihn verliebt gewesen war, als er vor ein paar Monaten in die Kommune gezogen war. Seine Augen hatten was. Sie waren braun, fast schwarz. Aber bei näherer Bekanntschaft gewann er nicht. Er war grob und unverschämt und hatte einige schlechte Angewohnheiten aus Kopenhagen mitgebracht. Er war es, der eingeführt hatte, dass bei Partys Hasch geraucht wurde, obwohl Linda und Andreas dagegen waren. Sie hatten jedoch scharf durchgegriffen, was die Ecstasy-Pillen betraf, die Brian auch mit im Koffer gehabt hatte. Er nannte sie love drugs und war der Meinung, dass sie toll in das Konzept der Kommune passten. Linda und Andreas hatten die Idee zu der Kommune gehabt und beabsichtigt, den Alltag – und die Kosten – mit anderen gleichgesinnten Studenten mit den gleichen Wertvorstellungen wie sie zu teilen, also eine bessere Lebensform zu schaffen, die nicht nur auf materiellen Dingen basierte. Andreas hatte den Hof von seinen Eltern geerbt. Mit seinen achtundzwanzig Jahren war er der älteste Bewohner. Die Alternative war gewesen, den Hof zu verkaufen, aber da es seine größte Stärke war, und vielleicht auch seine größte Schwäche, an andere zu denken, war es seine Mission geworden, anderen Studenten in Wohnungsnot zu helfen. Zumindest denen, die am Arsch der Welt wohnen und keine Discos, Nachtclubs und Cafés in Reichweite haben wollten. Aber in ihren Augen war er nicht streng genug mit dem Aussortieren und den Absagen, wenn neue Bewerber kamen, die ungeeignet waren und nicht hineinpassten. In der Zeitung wurde jedes Mal, wenn sie neue Bewohner suchten, die gleiche Annonce geschaltet. Die, der sie selbst erlegen war, weil es wie ein nettes Leben klang, in einer Gemeinschaft billig auf dem Land zu wohnen, und die Lage könnte für sie nicht perfekter sein, obwohl die Eltern sehr dagegen waren, sowohl gegen den Ort als auch gegen die Kommune. Aber Brian war ein Fehler. Sie fasste es nicht, dass er dem Unterricht in der Technischen Schule folgen konnte. Seine Fehlzeiten waren, so viel sie wusste, auch ziemlich hoch. Und dann war plötzlich seine Freundin, Bitten, nach Aarhus gekommen und eingezogen. Sie hatte einen Ausbildungsplatz in einem Friseursalon in der Innenstadt bekommen und war insofern eigentlich keine Studentin, aber das hatte Andreas nicht als Problem gesehen, weil sie Brians Freundin und er akzeptiert war. Aber sie war nicht besser als er. Allein das Geräusch ihrer kratzigen Kopenhagener Stimme verursachte ihr Gänsehaut. Die führten sich auf, als ob ihnen der Hof gehörte. Aber Andreas tat nichts dagegen. Linda, die sonst viel zu sagen hatte, auch nicht. Sie waren eher von diesen beiden Kopenhagenern fasziniert.
In der Waschküche wurde es unruhig. Gespräche kamen in Wellen herüber, zusammen mit der Kälte und dem Lärm von Schuhen, von denen der Schnee auf der Matte abgetreten wurde und die auf die Fliesen geworfen wurden. Dort herrschte immer so ein Chaos, dass es schwer war, seine eigenen Schuhe und Stiefel zu finden, wenn sie morgens losmussten, aber es lohnte sich nicht aufzuräumen.
Bitten kam als Erste mit einer Einkaufstüte im Arm in die Küche. »Hi, Fette!« Sie stellte die Tüte auf den Küchentisch. Plötzlich kamen sie alle zusammen herein, jeder mit seiner Tüte, außer Brian, der in der Türöffnung mit den Händen in der Tasche stehen blieb und sie faul betrachtete. Anita hatte alle Hände voll zu tun, die Waren in Kühl- und Gefrierschrank unterzubringen. Sie hatte heute Küchendienst und gerade den Abwasch überstanden. Sie hasste diesen Job, aber das gehörte zu einer Gemeinschaft dazu und sie beschwerte sich nicht. Die Miete war billig, sodass sie sie alle von ihrer Ausbildungsförderung oder ihrem Ausbildungsgehalt bezahlen konnten. Es verletzte sie nicht, Fette genannt zu werden. Sie sah das als Kompliment, da alles, was gut war, von Klamotten bis zu Ereignissen, als fett bezeichnet wurde, ein Wort, das die Kopenhagener auch in ihren Wortschatz aufgenommen hatten.
»Ey, mach doch mal die Tür zu!«, rief Bitten Brian zu, der, statt zu gehorchen, ins Wohnzimmer ging und sich aufs Sofa warf, ohne die Michelin-Jacke oder die Moonboots auszuziehen. Anita schüttelte unbemerkt den Kopf. Er war einfach trouble. Bitten hatte eine Gurke aus der Einkaufstüte geholt, davon abgebissen und sie erst dann mit einem provokanten Lächeln Anita überreicht, um sie von ihr in den Kühlschrank legen zu lassen. Und sie war es auch. Big trouble, alle beide. Warum konnte Andreas das nicht sehen? Oder konnte er? Er schloss die Tür und half ihr mit den Einkäufen, obwohl das