Nebelrache. Nancy Farmer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Nebelrache - Nancy Farmer страница 13

Nebelrache - Nancy  Farmer

Скачать книгу

sich die Sammelbeutel an die Brust und rannte den langen, von Glockenblumen gesäumten Pfad entlang, der im Zwielicht hellgrau schimmerte. Nebel waberte um seine Beine. Der Herzschlag pochte ihm in den Ohren. Seine Füße versanken in einem Schlammloch, was ihn beinahe zu Fall gebracht hätte, aber er hetzte weiter, bis er offenes Feld erreichte.

      Er rannte, bis der Haselwald sich gegen den Eichenwald nur noch als Schatten abzeichnete. Hier draußen war der Himmel noch blau, und das Sonnenlicht, das hinter dem Hügel hervorstrahlte, beleuchtete die kleinen weißen Wolkenfetzen. Obwohl das Feld stark unter dem Sturm gelitten hatte, sah es für Jack ganz normal und freundlich aus. Er beugte sich nach vorn, um wieder zu Atem zu kommen.

      Bruder Aiden läutete die Glocke zum zweiten Mal, und aus dem Wald ertönte ein Schrei. Er hielt länger an, als jedes Lebewesen schreien konnte, und endete mit einem tiefen, bebenden Stöhnen. Doch da war Jack schon am anderen Ende des Feldes. Neben ihm rannte ein Reh, das so in Panik war, dass es den Menschen, der nur eine Armeslänge von ihm entfernt ebenfalls floh, überhaupt nicht wahrnahm.

      Sie brachen gleichzeitig zusammen. Das Reh sah ihn mit seinen schönen dunklen Augen an, und er legte die Hand auf die warme Flanke des Tieres. „Keine Angst“, flüsterte er. „Es wird nicht ins Licht kommen.“ Er hoffte nur, dass das stimmte. Das Reh starrte ihn an, und seine Seiten hoben und senkten sich wie ein Blasebalg. Bruder Aidens Glocke ertönte erneut, und Junge und Reh sahen sich hektisch zum Wald um.

      Aber es passierte nichts mehr. Nach einer Weile erhob sich das Reh und wanderte davon. Auch Jack stand auf und hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Er dachte an den Barden. Der alte Mann wartete auf seine Kräuter, und vielleicht war auch Thorgil dort.

      Jack sah zurück zum Wald. Als er die Schildmaid zuletzt gesehen hatte, war sie auf dem Weg in die Felder gewesen. Sie hatte sicher das Bestreben gehabt, eine möglichst große Entfernung zwischen sich und ihn zu legen, was bedeutete, dass sie ans Meer gelaufen war. Dort ging sie immer hin, wenn sie etwas bedrückte. Sobald sie sich beruhigt hatte, würde sie vermutlich beim Barden aufkreuzen.

      Der Gedanke an das römische Haus und an den alten Mann, der dort wartete, hatte etwas sehr Verlockendes. Aber – der Schrei war durch Bruder Aidens Glocke ausgelöst worden. Am vergangenen Abend war die Kreatur am Strand gewesen, und diesen Abend war sie schon im Wald, viel dichter an Bruder Aidens Hütte. Und was immer es war, es hatte eindeutig böse Absichten. Der Schrei im Wald war voller Hass gewesen. Es war nicht der Hungerschrei eines Jägers gewesen, sondern eher die Stimme von etwas, dem alle irdischen Freuden versagt worden waren.

      Seufzend schlug Jack den Weg ins Dorf ein. Er rannte über die dämmrigen Wiesen, vorbei an Schuppen und Hütten, bis er den kleinen Mönch vor seiner Hütte am Feuer knien sah.

      Heitere Wehklage

      Jack kniete sich ebenfalls hin, weil er Bruder Aiden nicht stören wollte. Er konnte die Gebete zwar nicht verstehen, aber die Worte beruhigten ihn. Pega sagte oft, dass es sich rund um die Hütte des Mönchs immer anfühlte, als wäre Sommer, egal wie kalt der Wind blies. Bruder Aiden hatte etwas so Engelhaftes an sich, dass sogar die Frostriesen einen Bogen um sein Haus machten.

      Jack spürte, wie sich eine Gelassenheit in ihm ausbreitete, als hätte die Kreatur im Haselwald gar nichts so Schreckliches an sich gehabt. Bestimmt war es nur ein versprengter Wolf gewesen, der nach seinem Rudel geheult hatte oder eine Robbe, die zu weit von der Küste weggewandert war. Schließlich hatte es nach Seetang gerochen.

      „Ich sollte dir Latein beibringen“, sagte Bruder Aiden. „Dann würdest du beim Gebet nicht mehr einschlafen.“

      Jack fuhr hoch. „Es tut mir leid, Herr. Es waren die Wärme und die Stille hier. Ich habe den ganzen Tag gearbeitet.“

      „So schlimm ist das nicht“, sagte der Mönch fröhlich. „Ich würde dich hereinbitten, aber drinnen ist kein Platz.“ Er deutete auf die Tür seines Häuschens in der Form eines Bienenkorbs. Jack war ein- oder zweimal darin gewesen und wusste, dass es kaum mehr als eine von Menschen gemachte Höhle war. Der Platz reichte gerade für einen winzigen Altar, einen kleinen Vorrat an Pergament und Tinte und einen Haufen getrocknetes Heidekraut als Bett. Wer größer war als der Mönch, konnte nicht einmal aufrecht stehen.

      Draußen, wo Bruder Aiden an seinen Manuskripten arbeitete, standen ein Tisch und ein Stuhl. In einer stabilen Kiste unter dem Tisch waren Geschirr und Lebensmittel untergebracht. Die Glocke hing in der Nähe des Feuers an einem Holzgestell.

      „Aber ich kann dir etwas von Pegas ausgezeichnetem Rüben-und-Aal-Eintopf anbieten“, sagte der Mönch und deckte den Tisch mit Schalen, Löffeln und einem Messer für sich. Wie die meisten Dorfbewohner hatte Jack sein eigenes Messer bei sich. Seines war etwas Besonderes, denn er hatte es von der Bergkönigin geschenkt bekommen. „Ich will nur eben ein letztes Mal läuten – meine Güte! Was ist in dich gefahren?“, rief Bruder Aiden aus, als Jack seinen Arm packte.

      „Entschuldigt, Herr“, sagte Jack hastig, „aber das dürft Ihr nicht. Zumindest nicht heute Abend.“

      „Und wieso nicht?“, fragte der Mönch und rieb sich den Arm.

      „Ich – ich bin nicht sicher. Aber da ist etwas im Wald, das furchtbar schreit, wenn Ihr die Glocke läutet. Gestern Abend war es am Strand und jetzt ist es näher gekommen. Wir sollten lieber den Barden fragen, was zu tun ist.“

      „Iss erst mal, Junge. Mit vollem Magen erklärt es sich besser.“ Bruder Aiden löffelte Eintopf aus einem Kessel am Feuer und wickelte einen kleinen Laib Brot aus. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Glocke jemanden zum Schreien veranlasst. Sie hat einen so schönen Klang, der ihr den Namen gab: Heitere Wehklage.“

      „Heitere Wehklage?“, wiederholte Jack undeutlich durch einen Mund voll Brot. „Das klingt gar nicht gut.“

      „Das hängt davon ab, was man beklagt“, sagte Bruder Aiden. Er nahm sich weniger Eintopf als Jack und nur eine hauchdünne Scheibe Brot. „Es gibt eine Sehnsucht, die einen überkommt, wenn man etwas sieht, das so perfekt ist, dass es nur göttlich sein kann – zum Beispiel ein Lamm, das zum ersten Mal auf eigenen Beinen steht, oder eine Schwalbe, die aus einer Wolke heraussegelt. Diese Momente sind so wundervoll, dass man sie am liebsten in alle Ewigkeit festhalten würde, was natürlich nicht geht. Und so kann man wehklagen und gleichzeitig Freude empfinden.“

      Jack bemühte sich, diesem Gedankengang zu folgen. Anscheinend war dies ein weiteres Rätsel rund ums Glücklichsein. Er bezweifelte allerdings, dass Gog und Magog beim Muhen mit den Kühen viel Anlass zur „heiteren Wehklage“ gehabt hatten. Die Kühe wiederum schienen recht glücklich zu sein. Sie machten sich keine Sorgen darüber, ob das Muhen jemals aufhörte.

      „Was man in solchen Momenten wirklich sieht, ist ein Stück vom Himmel, denn im Himmel endet dieses Gefühl niemals“, erklärte der Mönch. „Der Klang der Heiteren Wehklage erinnert uns an die Freuden, die jenseits der Mühsal dieser Welt liegen. Wusstest du, dass dies die Glocke ist, die der heilige Kolumban aus Irland mitgebracht hat?“ Ehrfürchtig nahm Bruder Aiden die Glocke vom Haken und stellte sie auf den Tisch. „Sie war es, die die Pikten von den Hügeln heruntergelockt hat.“

      „Ich habe gehört, dass sie herbeigeströmt sind, um den heiligen Kolumban zu töten, aber er hat sie mit der Drohung, sie alle in den Wahnsinn zu treiben, zu Tode erschreckt“, sagte Jack, der diese Geschichte von den Hobgoblins gehört hatte.

      Bruder Aiden runzelte die Stirn. „Das kann nicht stimmen. Das klingt gar nicht nach einem Heiligen.“

      „Vielleicht ist es nur ein Gerücht“,

Скачать книгу