Erfahrungen verstehen – (Nicht-)Verstehen erfahren. Группа авторов
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10. Schluss
Ich habe gezeigt, dass das hermeneutische Verstehen in der Tradition von Schleiermacher, Dilthey und Buck sowie rekonstruktive Verfahren in den Sozial- und Bildungswissenschaften, die diesem Modus verpflichtet sind, vom Primat der Sprache ausgehen. Verstehen wird damit als Rekonstruktion und Explikation eines latenten, verborgenen Sinnes gedeutet und gerät damit in die Gefahr, das Andere und Fremde zu assimilieren und zu kolonialisieren. Im Unterschied dazu geht das phänomenologische Verstehen von dem aus, was sich zeigt, dem Phänomen. Damit wird Verstehen erstens im Kontext der Differenz von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit (statt im Dual von Innen und Außen, Wesen und Erscheinung) justiert. Zweitens kommt die Perspektivität der Wahrnehmung und ihre doxalischen, lebensweltlichen Voraussetzungen reflexiv in den Blick sowie drittens die Unterscheidung zwischen leiblicher Wahrnehmung und ihrer sprachlichen Repräsentation im Modus der signifikativen Differenz. Hier setzen die Operationen der Deskription, Reduktion und Variation an. Daher hat die phänomenologische Methodologie in der Sozial- und Bildungsforschung sowohl eine sprachkritische als auch eine voraussetzungs- und geltungskritische Funktion. Im Zwischen der Differenz von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit sowie Sagbarkeit und Unsagbarkeit taucht das Phänomen der Fremdheit als zentrale Kategorie phänomenologischen Verstehens auf. Forschungspraktisch basiert die Deskription auf geteilter Erfahrung im Forschungsprozess. Datensitzungen und Interpretationszirkel lassen sich als Orte bestimmen, in denen im Modus der responsiven Sichtung und Diskussion eine intersubjektive Reduktion und Validierung ermöglicht werden kann. So kann eine Beschreibung zu einer Öffnung zum Überraschenden und Ereignishaften führen und damit eine Pluralisierung von Perspektiven ermöglichen. Verstehen ist damit – um ein Wort von Günter Buck zu variieren – einerseits als Organ der Praxis und andererseits als die Empirie ermöglichendes Moment zu bestimmen.
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