Dolmetschen im Medizintourismus. Katia Iacono

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Dolmetschen im Medizintourismus - Katia Iacono Translationswissenschaft

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als „schwierige“ PatientInnen. Dazu gehören u.a. PatientInnen mit körperlichen und kognitiven Einschränkungen, Kinder und Jugendliche, PatientInnen aus anderen Kulturkreisen und Religionen. Handelt es sich bei den PatientInnen um Kinder oder Menschen mit kognitiven Einschränkungen, sind sowohl ÄrztInnen als auch DolmetscherInnen auf eine Fremdanamnese angewiesen.

      Manche PatientInnen suchen die ärztliche Praxis oder die medizinische Einrichtung allein auf, andere nehmen Begleitpersonen mit (vgl. Angelelli 2019: 26). Dies kann teilweise kulturelle Gründe haben. Im Medizintourismus ist das Vorhandensein von Begleitpersonen nicht selten, da manche PatientInnen auch aus organisatorischen oder praktischen Gründen mit ihnen reisen. Dies trifft insbesondere auf kleine Kinder zu, die mit auf die Reise gehen müssen, falls die Eltern keine andere Betreuungsmöglichkeit finden. Oft nehmen aber auch FreundInnen oder Verwandte, die über bessere Fremdsprachenkenntnisse – meistens der englischen Sprache – verfügen, an der Reise teil, um die PatientInnen während des Auslandsaufenthaltes sprachlich zu unterstützen. Die gleichzeitige Präsenz mehrerer AkteurInnen, die aktiv am Gespräch beteiligt sind, beeinflusst die Kommunikation erheblich, denn Mehrparteiengespräche sind komplex und erfordern eine „Thematisierung der Sprecherrollenvergabe“ (Menz 2015: 79). Diese SprecherInnenrollenvergabe wird zu einer besonderen Herausforderung, wenn die/der PatientIn ein Kind ist. In diesen Fällen gibt es verschiedene, auch den ÄrztInnen bekannte Einflussfaktoren, die die SprecheInnenrollenvergabe bestimmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eher die Eltern in den jeweiligen Gesprächsturns angesprochen werden als das Kind, hängt nicht nur von der Wahl der Anrede durch die ÄrztInnen, sondern auch von Einflussfaktoren wie dem Alter des Kindes und der Adressierung im vorangegangenen Turn ab (vgl. Menz 2015: 79). Die herausfordernde Steuerung des Gesprächs seitens der DolmetscherInnen in solchen Situationen scheint von Amatos (2007b) diskursanalytischer Untersuchung von Mehrparteiengesprächen zwischen einem amerikanischen Arzt und einem italienischen Kind in Begleitung seiner Eltern bestätigt zu werden. Amato stellte fest, dass nicht alle Turns von den DolmetscherInnen wiedergegeben werden, was bewusste Entscheidungen voraussetzt, um die Steuerung des Mehrparteiengesprächs zu ermöglichen. Am häufigsten wurden in den untersuchten Gesprächen die Äußerungen des Arztes gedolmetscht, während an die Dolmetscherin adressierte Äußerungen, Gespräche zwischen dem Arzt und der Mutter sowie Backchannel-Signale, nicht gedolmetscht wurden. Das Gleiche gilt für Gespräche innerhalb der Familie und Kommentare seitens der Familie, welche die adherence2 betreffen, solange sie keine Meinungsverschiedenheiten enthalten (vgl. Amato 2007b: 31ff.). Falls junge Erwachsene zu behandeln sind, ist die Schilderung der Problematik seitens der Elternteile hingegen kritischer zu hinterfragen und als Delegitimieren zu betrachten (vgl. Menz 2015: 79).

      2.1.1 Die Beziehung zwischen ÄrztIn und PatientIn

      Im Rahmen medizinischer Interaktionen sind ÄrztInnen zumeist formal und inhaltlich mächtiger als ihre PatientInnen (vgl. Bechmann 2014: 129ff., Angelelli 2019: 44ff.). In dieser asymmetrischen Gesprächssituation, die von zeitlichem Druck und Wissensunterschieden geprägt ist, versuchen PatientInnen als „gleichberechtigte Gesprächspartner“ (Bechmann 2014: 129) akzeptiert zu werden. In der Literatur zur medizinischen Kommunikation werden verschiedene Modelle der ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehung vorgestellt, die vom Rollenverständnis der MedizinerInnen abhängen. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Modellen bestehen in der Art der Entscheidungsfindung und der Wahrscheinlichkeit einer compliance oder adherence. Bechmann (2014: 139) beschreibt folgende Beziehungsmodelle: das paternalistische Modell, das abwägende/partnerschaftliche Modell, das interpretative Modell, das informative Modell und das partizipative Modell. Im paternalistischen Modell ist die Asymmetrie besonders stark ausgeprägt. Die PatientInnen werden als Hilfesuchende gesehen, die die autoritären Entscheidungen der ÄrztInnen zu befolgen haben. Dieses Modell ist durch eine auf das Minimum reduzierte Kommunikation (vgl. auch Koerfer/Albus 2015: 123) und eine direktive Gesprächsführung (vgl. Bechmann 2014: 132) gekennzeichnet. Am anderen Ende dieses Kontinuums befindet sich das informative Modell. Hier steht die Entscheidungsfindung den PatientInnen zu, während die ÄrztInnen ExpertInnen sind, die ihre therapeutische Dienstleistung zur Verfügung stellen und die PatientInnen beraten sollen. Das abwägende und das interpretative Modell sind durch eine Begegnung der AkteurInnen auf Augenhöhe gekennzeichnet: In Ersterem werden die Entscheidungen von den ÄrztInnen auf Basis eines kooperativen Dialogs getroffen, während in Letzterem die PatientInnen aufbauend auf der ärztlichen Beratung entscheiden. In der Mitte des Kontinuums befindet sich das partizipative Modell, in welchem im Sinne der biopsychosozialen Medizin ein Austausch von Informationen zwischen den Gesprächsteilnehmenden erfolgt und die PatientInnen in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden. „Das Ziel dabei ist es, in einem mehrstufigen Prozess gemeinsam Therapieziele festzulegen und auch gemeinsam zu verantworten“ (Bechmann 2014: 136; Hervorhebungen im Original). Dieses Modell ist auch unter der englischen Bezeichnung shared decision making bekannt und ist interaktiver und narrativer als die anderen Modelle des Kontinuums.

      Der Paradigmenwechsel von der biotechnischen zur biopsychosozialen Medizin führte auch zu einer neuen Definition der Kommunikationsbasis zwischen ÄrztInnen und PatientInnen (vgl. Kaba/Sooriakumaran 2007, Koerfer/Albus 2015: 118). So hat sich die Medizin in den letzten Jahrzehnten vom paternalistischen Modell verabschiedet und das partizipative Modell, das die/der PatientIn als „patient-as-person“ (Kaba/Sooriakumaran 2007: 61) betrachtet, hat sich als Maßstab etabliert.1 Im partizipativen Modell wird zu PatientInnen sowohl im Rahmen der Anamneseerhebung als auch bei der Exploration der subjektiven Einstellungen der PatientInnen gegenüber den möglichen Behandlungen ein narrativer Zugang gesucht (vgl. Koerfer/Albus 2015: 118). Ein solcher Zugang kann nicht mehr mithilfe stark interrogativer Interviews gefunden werden, „sondern sie müssen oft erst im Dialog […] aktiv entwickelt und gegebenenfalls je nach Krankheitsverlauf gesprächsweise überprüft und korrigiert werden“ (Koerfer/Albus 2015: 118). In diesem Zusammenhang heben Elwyn et al. (2012: 1364ff.) folgende drei Schritte, die im Rahmen eines partizipativen Modells berücksichtigt werden sollten, hervor: choice talk, option talk und decision talk. Im ersten Schritt sollen PatientInnen über alle verfügbaren Behandlungsoptionen informiert werden; im zweiten Schritt sollen PatientInnen weiterführende Informationen zu den Optionen erhalten. Im letzten Schritt sollen PatientInnen bei der Entscheidung über die beste Option unterstützt werden.

      2.1.2 Institutionelle Kommunikation und Struktur der medizinischen Gespräche

      Als Form der institutionellen Kommunikation findet die Kommunikation zwischen ÄrztInnen und PatientInnen in einem kommunikativen Rahmen statt, in dem „bis ins Detail festgelegt [ist], wer was wann und auf welche Weise tut oder unterlässt“ (Kadrić 2009: 149). Das Verhältnis zwischen den Gesprächsteilnehmenden in der institutionellen Kommunikation weist immer eine gewisse Asymmetrie auf. Im Fall der medizinischen Kommunikation ist dies auf einen einfachen Grund zurückzuführen: Während ÄrztInnen „gesund und wissend“ sind, sind PatientInnen „krank und unwissend“ (vgl. Bechmann 2014: 3). Die VertreterInnen der Institution beginnen die Konversation und entscheiden deren Thema und Struktur, während die restlichen Gesprächsteilnehmenden hauptsächlich Fragen zu beantworten haben (vgl. Kadrić 2011: 57). Trotz des partizipativen Modells besitzen ÄrztInnen laut Bechmann (2014: 183) „Vorrechte für interaktive kommunikative Handlungen“. Die Kommunikation mit den Behandelnden ist also unidirektional (vgl. Bechmann 2014: 130), da sie hauptsächlich ärztInnengesteuert ist. Die Richtung der Fragen und Antworten bleibt zumeist dieselbe: Die/der ÄrztIn fragt, die/der PatientIn antwortet.

      Laut Bührig und Meyer (2009: 191) übt jede Institution aufgrund ihrer individuellen Abläufe einen starken Einfluss auf die medizinische Kommunikation aus. Werden PatientInnen im Krankenhaus von FachärztInnen unterschiedlicher Abteilungen untersucht, müssen mehrere Anamnesen durchgeführt werden, denn jede/jeder ÄrztIn möchte bestimmte Symptome abklären, die möglicherweise nicht im Fokus vorheriger Untersuchungen standen (vgl. Bührig/Meyer 2009: 191). Abb. 2 veranschaulicht den institutionellen Handlungsraum im Krankenhaus.

      

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