Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola страница 155
Doch verschloß sie dieses Drama in ihrem Inneren und verdoppelte ihr Leid noch durch die Bilder ihrer Phantasie. Lieber wäre sie gestorben, als daß sie Maxime die Wahrheit gestanden hätte. Es entsprang dies einer dumpfen Befürchtung, daß der junge Mann sich erzürnen, sie verlassen könnte; aber auch ihrem unerschütterlichen Glauben an die entsetzliche Schuld und ewige Verdammniß, so daß sie eher nackt durch den Monceau-Park gegangen wäre, als ihre Schmach gebeichtet hätte. Im Uebrigen blieb sie die leichtfertige Verschwenderin, die Paris durch ihren Aufwand in Erstaunen setzte. Sie trug eine geräuschvolle Heiterkeit zur Schau und gefiel sich in den tollsten Streichen, über welche die Zeitungen Berichte brachten, in welchen ihr Name durch die Anfangsbuchstaben bezeichnet wurde. In diese Epoche viel es, daß sie sich in allem Ernste mit der Herzogin von Sternich auf Pistolen duelliren wollte, weil dieselbe ein Glas Punsch über ihr Kleid ausgegossen hatte, – mit Absicht, wie Renée behauptete, und ihr Schwager, der Minister mußte sich unter Androhung seines Zornes ins Mittel legen, damit die Sache unterbliebe. Ein anderes Mal wettete sie mit Frau von Lauwerens, daß sie die Runde um die Rennbahn zu Longchamps in weniger denn zehn Minuten machen werde und die Tollheit gelangte nur nicht zur Ausführung, weil sie nicht wußte, welche Kleidung sie zu diesem Bravourstück anlegen sollte. Maxime selbst begann sich vor dieser Frau zu fürchten, die nicht ganz zurechnungsfähig zu sein schien und an deren Busen er des Nachts das Tosen einer in rauschenden Vergnügungen schwelgenden Stadt zu vernehmen meinte.
Eines Abends begaben sie sich ins Theatre-Italien. Sie hatten nicht einmal nachgesehen, welches Stück zur Aufführung gelangen würde und wollten nur die große italienische Tragödin Ristori sehen, die damals ganz Paris in Entzücken versetzte und den Anforderungen der Mode entsprechend bewundert werden mußte. Man gab »Phädra«. Er kannte sein klassisches Repertoir genügend und Renée verstand hinlänglich italienisch, um der Darstellung folgen zu können. Und selbst dieses Drama bereitete ihnen eine eigenthümliche Erregung, trotz des ihnen fremden Idioms, dessen heller Klang ihnen mitunter blos die Begleitung zu dem Mienenspiel der Darsteller zu sein schien. Hippolyte war ein großer, bleicher, junger Mann, ein sehr mittelmäßiger Schauspieler, der seine Rolle in weinerlichem Tone vortrug.
»Welch' ein Tölpel!« murmelte Maxime.
Die Ristori aber mit ihren breiten Schultern, die infolge des Schluchzens bebten, mit ihrer tragischen Physiognomie und ihren mächtigen Armen, erschütterte Renée. Phädra war aus dem Blute der Pasiphaë und sie fragte sich, welches Blut denn in ihr rollen könne, in ihr, der Blutschänderin der Neuzeit. Von dem ganzen Stücke sah sie nichts weiter als diese große Frauengestalt, die das antike Verbrechen auf die Bühne brachte. Im ersten Akt, als Phädra Oenone ihre verbrecherische Liebe enthüllt; im zweiten, da sie sich in lodernder Leidenschaft Hippolyte offenbart und dann im vierten, da die Rückkehr Theseus' sie zu Boden schmettert und sie in einem Anfall düsterster Verzweiflung sich selbst flucht, – da gellte ein solcher Schrei wilder Leidenschaft, des Verlangens nach übermenschlicher Wollust durch das Haus, daß die junge Frau sich von einem Schauer ihrer Begierden und Gewissensbisse erfaßt fühlte.
»Warte 'mal,« murmelte Maxime neben ihr; »nun sollst Du die Erzählung Theramens hören. Der Alte sieht vielversprechend aus.«
Und Jener sprach mit grabestiefer Stimme:
»Kaum waren wir aus den Thoren von Trözen,
Als sein Siegeswagen – – –«
Doch Renée sah und hörte nichts mehr, als der Alte zu sprechen begonnen. Die flimmernde Beleuchtung blendete sie, eine glühende Hitze schien von all' diesen der Bühne zugewendeten bleichen Gesichtern auszugehen und sie zu versengen. Der Monolog aber wollte kein Ende nehmen und sie sah sich im Treibhause, unter dem dichten Blätterwerk, während ihr Gatte eintrat und sie in den Armen seines Sohnes überraschte. Sie litt unsäglich, verlor fast das Bewußtsein und erst beim letzten Röcheln Phädra's, die erst im Sterben bereute und sich selbst durch Gift richtete, schlug sie wieder die Augen auf. Der Vorhang fiel. Wird sie den Muth haben, sich eines Tages zu vergiften? Wie lächerlich und schmählich ihr Drama neben dieser antiken Epopöe erschien! Und während Maxime sie in ihren Theatermantel hüllte, tönte ihr noch immer die herbe Stimme der Ristori im Ohr, welcher das beistimmende Murmeln Oenone's antwortete.
Im Wagen plauderte der junge Mann allein. Im Ganzen genommen fand er die Tragödie »tödtlich langweilig« und zog er derselben entschieden die ergötzlichen Schwänke der kleinen Theater vor. Phädra aber war »stark« und er hatte Interesse für das Stück, weil ... Und er drückte Renée die Hand, um seinen Gedanken zu vervollständigen. Dann aber kam ihm eine kurzweilige Idee und er konnte dem Reiz, ein Scherzwort anzubringen, nicht widerstehen.
»Ich hatte ganz Recht,« sagte er halblaut, »als ich in Trouville dem Meere nicht nahekommen wollte.«
In ihren schmerzlichen Gedanken versunken, gab Renée keine Antwort und Maxime war gezwungen, seine Worte zu wiederholen.
»Nun, weil das Ungeheuer ...«
Dabei lachte er leise, sein Scherz aber berührte die junge Frau peinlich. Alles drehte sich wirr in ihrem Kopf. Die Ristori war ein großer Hampelmatz, der sein Peplum emporschürzte und dem Publikum die Zunge zeigte, wie Blanche Müller im dritten Akt der »Schönen Helena«; Theramen tanzte Cancan und Hippolyte aß Knackmandeln, wobei er mit dem Finger in der Nase bohrte.
Wenn Renée von zu heftigen Gewissensbissen geplagt wurde, empfand sie etwas wie stolze Empörung. Worin besteht denn ihr Verbrechen und weshalb wäre sie erröthet? Sah sie nicht täglich schlimmere Niedrigkeiten begehen? Begegnete sie nicht überall, bei den Ministern sowohl, als auch in den Tuilerien Elenden gleich ihr, die Werthe von Millionen an ihrem Leibe trugen und auf den Knieen liegend angebetet wurden? Und sie gedachte der schmählichen Freundschaft, welche zwischen Adeline d'Espanet und Susanne Haffner bestand und über die man mitunter sogar bei den Montagsempfängen der Kaiserin lächelte. Sie erinnerte sich an die Geschäfte der Frau von Lauwerens, die von den Ehemännern ihrer tadellosen Lebensweise, ihres Ordnungssinnes und der Pünktlichkeit wegen gepriesen wurde, mit welcher sie ihre Lieferanten bezahlte. Sie führte Frau Daste, Frau Teissière, die Baronin von Meinhold und die übrigen Geschöpfe an, die ihren Luxus von ihren Liebhabern bezahlen ließen und die in den Herrenkreisen gleich den Werthpapieren an der Börse ihren Kurs hatten. Frau von Guende war so dumm und so herrlich gebaut, daß sie zu gleicher Zeit drei höhere Offiziere zu Geliebten hatte, die sie an ihren Uniformen nicht zu unterscheiden vermochte, so daß sie, wie die boshafte Luise behauptete, gezwungen war, dieselben bis auf's Hemd entkleiden zu lassen, damit sie wisse, mit welchem von den Dreien sie sprach. Die Comtesse Vanska hingegen hatte eine lange Reihe von öffentlichen Lokalen hinter sich, in denen sie gesungen hatte und die Zeit war gar nicht so fern, da sie in schlechte Zitzstoffe gekleidet, gleich einer auf Beute ausziehenden Wölfin über die Boulevards strich. Jede dieser Frauen hatte ihre Schmach, ihre offene Wunde, mit welcher sie sozusagen triumphirte. Und über Alle emporragend sah man die häßliche, alte abgelebte Herzogin von Sternich mit dem Glorienschein, welchen ihr eine im Bette des Kaisers verbrachte Nacht verlieh. Dies war das offizielle Laster, welches selbst die Ausschweifung mit einer gewissen Hoheit umgab und ihr eine Art Ueberlegenheit über diese Schaar auserlesener Buhlerinen verlieh.
Die Blutschänderin gewöhnte sich denn an ihre Schuld wie an ein Galakleid, dessen Steifheit ihr anfänglich lästig gewesen. Sie folgte der Mode ihrer Zeit, kleidete und entkleidete sich nach dem Beispiele der Anderen.