Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola страница 156
Nur ein einziger Mann: Baptiste, der Kammerdiener ihres Gatten, beunruhigte sie noch immer. Seitdem Saccard wieder galant geworden, schien sich dieser bleiche, würdige Lakai mit der Feierlichkeit eines stummen Vorwurfes um sie zu bewegen. Er schaute sie gar nicht an, sein kalter Blick glitt über sie, über ihren Chignon mit der Züchtigkeit eines Kirchendieners hinweg, der seine Augen nicht durch den Anblick der Haare einer Sünderin besudeln will. Sie bildete sich ein, daß er Alles wisse und hätte sie es gewagt, so würde sie sein Schweigen zu erkaufen versucht haben. Ein Unbehagen erfaßte sie und eine Art unfreiwilliger Hochachtung überkam sie, wenn sie Baptiste begegnete, denn sie sagte sich, daß die ganze Rechtschaffenheit ihrer Umgebung unter dem schwarzen Gewande dieses Lakaien Zuflucht genommen habe.
Eines Tages richtete sie die Frage an Céleste:
»Pflegt Baptiste im Gesindezimmer Scherze zu machen? Hat er keinerlei Abenteuer ober Maitressen?«
»Mir ist nichts bekannt,« begnügte sich die Dienerin zur Antwort zu geben.
»Er wird Ihnen aber doch den Hof gemacht haben?«
»Ah, er würdigt die Frauen keines Blickes und wir bekommen ihn kaum zu Gesicht ... Er ist immer beim Herrn oder in den Ställen. Er sagt, daß er ein großer Freund der Pferde sei.«
Gereizt durch diese Rechtschaffenheit forschte Renée weiter; sie wollte etwas in Erfahrung bringen, um ihre Leute verachten zu können und obgleich sie für Céleste eine gewisse Zuneigung empfand, wäre sie doch erfreut gewesen, wenn sie gewußt hätte, daß das Mädchen Liebhaber besaß. »Aber Sie, Céleste, finden Sie nicht, daß Baptiste ein hübscher Junge sei?«
»Ich, Madame?« rief die Dienerin mit der überraschten Miene einer Person aus, die etwas Unglaubliches vernommen. »Oh! ich habe ganz andere Gedanken und von einem Manne will ich nichts wissen. Ich habe meinen Plan, wie Sie sehen werden, wenn der richtige Augenblick gekommen sein wird. Ich bin nicht dumm ...«
Weiter vermochte Renée nichts aus ihr herauszubekommen. Im Uebrigen wurden ihre Sorgen mit jedem Tage größer. Ihre geräuschvolle Lebensweise, ihre tollen Launen, denen sie zu genügen suchte, stießen auf zahlreiche Hindernisse, welche sie zu überwinden gezwungen war und an denen zuweilen ihr Wille scheiterte. So richtete sich eines Tages Luise de Mareuil zwischen ihr und Maxime empor. Sie war nicht eifersüchtig auf »die Buckelige«, wie sie sie verächtlich nannte; sie wußte, daß dieselbe von den Aerzten aufgegeben sei und konnte nicht glauben, daß sich Maxime jemals dazu verstehen würde, solch ein häßliches Wesen, selbst um den Preis einer Million zu heirathen. Trotzdem sie so tief gesunken war, hatte sie sich eine gewisse spießbürgerliche Naivität bewahrt, wo es sich um Personen handelte, die sie liebte und wenn sie sich selbst auch verachtete, so hielt sie jene dennoch gerne für überlegene und durchaus ehrenwerthe Menschen. Indem sie aber den Gedanken an eine Heirath, die ihr eine häßliche Ausschweifung und ein Diebstahl zugleich dünkte, energisch von sich wies, litt sie durch den vertraulichen, kameradschaftlichen Verkehr der jungen Leute. Wenn sie mit Maxime über Luise sprach, so lachte er behaglich, erzählte ihre neuesten Scherze und sagte:
»Weißt Du, die Schelmin nennt mich ihren kleinen Mann.«
Und dabei bekundete er eine solche Unbefangenheit, daß sie ihn nicht darauf aufmerksam zu machen wagte, daß diese »kleine Schelmin« siebzehn Jahre alt sei und daß ihre Spielereien mit den Händen, ihre Eile, mit welcher sie in den Salons die dunkelsten Ecken aufsuchten, um sich daselbst über die Gesellschaft lustig zu machen, hinreichend waren, um sie zu kränken und ihr die schönsten Abende zu verderben.
Hierzu gesellte sich ein Vorfall, der der ganzen Situation einen absonderlichen Anstrich verlieh. Renée empfand häufig das Bedürfniß einer Prahlerei, die Laune brutaler Kühnheit. Sie zog Maxime hinter einen Vorhang, hinter eine Thür und küßte ihn auf die Gefahr hin, gesehen zu werden. An einem Donnerstag Abend, da der kleine, goldene Salon voll mit Leuten war, gerieth sie auf den schönen Einfall, den jungen Mann, der gerade mit Luise plauderte, zu sich zu rufen. Sie schritt ihm aus dem Hintergrunde des Treibhauses, wo sie sich befand, entgegen und küßte ihn zwischen zwei Baumgruppen, wo sie vor allen Blicken sicher zu sein glaubte, heftig auf den Mund. Luise aber war Maxime nachgegangen und als die Liebenden die Köpfe emporhoben, erblickten sie kaum einige Schritte von ihnen entfernt die junge Dame, die sie mit einem eigenthümlichen Lächeln anblickte, ohne daß sie irgend welches Erstaunen oder Verlegenheit verrathen hätte. Sie hatte ganz die ruhig-freundschaftliche Miene eines Sündengenossen, der sehr wohl im Stande ist, einen solchen Kuß zu verstehen und zu würdigen.
Maxime war in Wahrheit erschrocken, während Renée ganz gleichgiltig, ja sogar heiter zu sein schien. Ihre Befürchtungen waren verstummt, nun es unmöglich geworden, daß die Buckelige sie ihres Geliebten beraubte.
»Ich hätte Das schon längst eigens thun müssen,« sagte sie sich im Stillen. »Sie weiß nunmehr, daß ›ihr kleiner Mann‹ mein ist.«
Allmälig beruhigte sich Maxime, als ihm Luise ebenso heiter und witzig entgegentrat wie bisher. Er nannte sie im Stillen »sehr stark, ein sehr gutes Mädchen« und das war Alles.
Renée's Befürchtungen waren begründet. Seit einiger Zeit schon dachte Saccard daran, seinen Sohn mit Fräulein von Mareuil zu verheirathen. Es war da eine Million zu holen, die er sich nicht entgehen lassen wollte, wenn er sich des Geldes auch erst später zu bemächtigen gedachte. Da Luise zu Beginn des Winters drei Wochen hindurch an's Bett gefesselt gewesen, ward er von Furcht erfaßt, sie könnte noch vor dem Zustandekommen der geplanten Verbindung sterben und darum beschloß er, die Kinder sofort zu verheirathen. Dieselben waren zwar noch sehr jung, doch befürchteten die Aerzte, daß der Monat März der Brustleidenden verhängnißvoll werden könnte. Herr von Mareuil befand sich seinerseits in einer sehr schwierigen Lage. Bei der letzten Wahl war es ihm gelungen, seine Erwählung zum Abgeordneten durchzusetzen. Die gesetzgebende Körperschaft erklärte diese Wahl aber für ungiltig. Die Prüfung seines Mandats war der »Schandfleck« des ganzen Verifikations-Verfahrens. Die ganze Wahl überhaupt war ein tragikomisches Heldengedicht, an welchem die Zeitungen einen ganzen Monat zehrten. Herr Hupel de la Noue, der Präfekt des betreffenden Departements, hatte eine solche Energie entwickelt, daß die übrigen Kandidaten weder ihre Programme aufstellen, noch ihre Wahlreden halten konnten. Auf seinen Rath bestritt Herr von Mareuil während einer vollen Woche die Kosten, welche die Versammlungen der Bauern verursachten, die nach Herzenslust aßen und tranken. Er versprach ihnen außerdem eine Eisenbahn, die Erbauung einer Brücke und dreier Kirchen und beschenkte die einflußreichen Wähler am Vorabend der Wahl mit den Bildnissen des Kaisers und der Kaiserin in goldenem Rahmen. Diese Geschenke erzielten einen ungeheuren Erfolg, die Majorität war eine erdrückende. Als die Kammer aber unter dem lauten Gelächter des ganzen Landes Herrn von Mareuil zu seinen Wählern heimzuschicken gezwungen war, gerieth der Minister in einen fürchterlichen Zorn gegen den Präfekten und den unglücklichen Kandidaten, die thatsächlich zu scharf ins Zeug gegangen waren. Er sprach sogar davon, einen andern offiziellen Kandidaten aufzustellen. Herr von Mareuil erschrack. Er hatte sich die Sache dreihunderttausend Francs kosten lassen, besaß in dem Departement bedeutende Güter, auf denen er sich langweilte und die er mit Verlust verkaufen mußte. Er suchte daher seinen lieben Kollegen auf, damit dieser seinen Bruder begütige, indem er ihm für das nächste Mal eine vollkommen tadellose Wahl zusichere. Unter diesen Umständen brachte Saccard die Heirath der Kinder neuerdings zur Sprache und die beiden Väter einigten sich nunmehr endgiltig über dieselbe.
Als Maxime über die Sache ausgeholt wurde, empfand er eine gewisse Verlegenheit. Er fand Luise kurzweilig, die in Aussicht gestellte