Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
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Das Geschäft ging vortrefflich. Quenu, den anfänglich die großen Auslagen erschreckt hatten, empfand eine gewisse Achtung vor seiner Frau, die – wie er versicherte – »ein gescheiter Kopf« war. Nach Verlauf von fünf Jahren hatten sie nahe an achtzigtausend Franken in guten Renten angelegt. Lisa erklärte, sie seien nicht ehrgeizig und wollten nicht allzuschnell Reichtümer sammeln; ihr Mann könne Tausende und Abertausende gewinnen, wenn sie ihn in den Großhandel mit Schweinen drängen werde; sie seien noch jung und hätten noch Zeit; auch liebten sie nicht die schmutzige Arbeit; sie wollten nach ihrem Gutdünken arbeiten, ohne sich Sorgen aufzuladen, wie vernünftige Leute, die gut leben wollen.
Sehen Sie, pflegte Lisa, wenn sie gerade redseliger gestimmt war, hinzuzufügen, ich habe in Paris einen Vetter. ... Ich sehe ihn nur selten, denn die zwei Familien sind entzweit. Er hat den Namen Saccard angenommen, um gewisse Dinge in Vergessenheit geraten zu lassen ... Nun, dieser Vetter gewinnt Millionen, wie mir gesagt wurde. Er lebt gar nicht, er schindet sich zu Tode, treibt sich fortwährend in allerlei Teufelsgeschäften herum. Der kann doch unmöglich des Abends seine Mahlzeit in Ruhe verzehren. Wir wissen wenigstens, was wir essen; wir kennen die Plackereien nicht. Unsereins liebt das Geld nur, weil man es braucht, um zu leben. Man lebt gern behaglich, das ist nur natürlich. Wenn ich erwerben sollte, bloß um zu erwerben; wenn ich mich mehr abrackern sollte, als ich nachher Freude am Erworbenen haben könnte: meiner Treu, da möchte ich lieber die Hände in den Schoß legen ... Dann möchte ich die Millionen meines Vetters erst noch sehen. Ich glaube nicht so leichthin an die Millionen. Ich habe ihn neulich in seinem Wagen gesehen; er war ganz gelb und hat recht grämlich dreingeblickt. Ein Mann, der Geld gewinnt, sieht nicht so aus. Übrigens ist dies seine Sache ... Wir wollen immer lieber nur fünf Franken erwerben, aber die sollen auch unser sein.
Ihr Haus gedieh denn auch in der Tat. Sie hatten gleich im ersten Jahre ihrer Ehe eine Tochter bekommen. Die drei Leute waren eine Freude zum Anschauen. Das Haus kam in erfreulicher Weise empor ohne allzu viele Mühe, ganz wie Lisa es wollte. Sie hatte alle möglichen Ursachen des Verdrusses aus dem Wege geräumt und ließ die Tage in dieser Luft des Behagens und der Wohlhabenheit dahinfließen. Es war ein Winkel vernünftigen Glückes, eine bequeme Krippe, an der Vater, Mutter und Tochter sich mästeten. Nur Quenu war zuweilen betrübt, wenn er an seinen armen Florent dachte. Bis zum Jahre 1856 empfing er von Zeit zu Zeit Briefe von ihm. Dann blieben die Briefe aus; er erfuhr durch eine Zeitung, daß drei Deportierte von der Teufelsinsel hatten entfliehen wollen und ertrunken seien, ehe sie die Küste erreichten. Auf der Polizeipräfektur konnte man ihm keine genauen Nachrichten geben; sein Bruder mußte tot sein. Indes bewahrte er noch einige Hoffnung; allein, die Monate gingen dahin. Florent, der im holländischen Guyana sich herumtrieb, hütete sich zu schreiben, weil er immer hoffte, nach Frankreich zurückkehren zu können. Quenu beweinte ihn schließlich wie einen Toten, der ohne Lebewohl von hinnen geschieden war. Lisa kannte Florent nicht. Sie fand Worte des Trostes, wenn ihr Mann sich der Betrübnis hingab; sie ließ ihn zum hundertsten Male die Jugendgeschichten erzählen, von der großen Stube in der Royer-Collard-Straße, von den zahllosen Handwerken, die er gelernt, von den Leckerbissen, die er auf dem Zimmerofen zubereitet, ganz weiß gekleidet, während Florent völlig schwarz gekleidet war. Ruhig und mit unendlicher Geduld hörte sie ihn an.
Inmitten dieses klug eingerichteten, zufriedenen Lebens tauchte Florent an einem Septembermorgen plötzlich auf in der Stunde, da Lisa ihr Lichtbad in der Frühsonne nahm und Quenu, noch halb verschlafen, nachlässig seine Finger in das geronnene Fett von gestern steckte. Der ganze Laden kam in Aufruhr. Gavard riet, daß man den »Geächteten«, wie er ihn nannte, verstecke. Lisa, noch bleicher und ernster als sonst, ließ ihn schließlich in das fünfte Stockwerk hinaufsteigen, wo sie ihm die Kammer ihres Ladenmädchens einräumte. Quenu hatte ihm Brot und Schinken abgeschnitten; allein Florent konnte kaum essen; er ward von Schwindel und Übelkeiten befallen. Er legte sich ins Bett und blieb fünf Tage ohne Bewußtsein, von einem Kopffieber bedroht, das glücklicherweise energisch bekämpft wurde. Als er das Bewußtsein wieder erlangte, sah er Lisa zu Häupten seines Bettes, wie sie geräuschlos mit einem Löffel in einer Tasse rührte. Als er ihr danken wollte, sagte sie ihm, er solle sich ruhig verhalten, man werde später reden. Nach weiteren drei Tagen war der Kranke auf den Beinen. Eines Morgens holte ihn Quenu und sagte ihm, Lisa erwarte sie in ihrem Zimmer.
Sie hatten im ersten Stockwerk eine Wohnung inne, die aus drei Zimmern und einem Kabinett bestand. Man mußte ein kahles Zimmer durchschreiten, wo nur Stühle standen, dann einen kleinen Salon, dessen Möbel, mit weißen Hüllen überzogen, in dem Halblicht der stets zugezogenen Vorhänge schlummerten, damit nicht das allzu helle Licht die zartblaue Farbe des Ripsstoffes verderbe. Schließlich gelangte man in das Schlafzimmer, das einzige bewohnte Gemach, das mit Mahagonimöbeln sehr anständig eingerichtet war. Das Bett war besonders auffallend mit seinen vier Matratzen, seinen vier Kopfkissen, seinen schweren Bettdecken, seinem Eiderdaunenpolster und seiner behaglichen Stille in diesem warmen Alkoven. Es war ein Bett, so recht zum Schlafen gemacht. Der Spiegelschrein, der Toilettekasten, das mit einer Häkelspitze bedeckte runde Tischchen, die mit gestickten Schutztüchern bekleideten Sessel zeugten von einem sauberen und soliden bürgerlichen Luxus. An der linksseitigen Wand zu beiden Seiten des Kamins, den bemalte Vasen und eine Stutzuhr zierten, letztere einen in Gedanken versunkenen, den Finger auf ein Buch stützenden Gutenberg in Goldbronze darstellend, hingen die in Öl gemalten Bilder Quenus und Lisas in ovalen, reich verzierten Rahmen. Quenu lächelte auf dem Bilde, Lisa blickte sehr schicklich drein; beide waren schwarz gekleidet, das Gesicht sehr sauber, wie in einem flüssigen Rosa verdünnt, sehr schmeichelhaft gezeichnet. Ein Teppich, auf dem Rosetten mit Sternen abwechselten, bedeckte die Dielen. Vor dem Bette lag ein Moosteppich aus Krauswolle, den die schöne Wursthändlerin mit großer Geduld an ihrem Zahlpulte verfertigt hatte. Was inmitten all dieser neuen Dinge auffiel, war ein an die rechte Wand gelehnter, großer, viereckiger, niedriger Schreibtisch, den man hatte frisch anstreichen lassen, ohne die Risse in der Marmorplatte, noch die Schrammen in dem vor Alter geschwärzten Holz ausbessern lassen zu können. Lisa hatte durchaus dieses Möbelstück behalten wollen, das dem Onkel Gradelle vierzig Jahre lang gedient hatte; sie sagte, es werde ihnen Glück bringen. In Wahrheit hatte der Tisch furchtbare Eisenbeschläge, ein Vexierschloß und war so schwer, daß man ihn nicht von der Stelle rücken konnte.
Als Quenu und Florent eintraten, saß Lisa vor dem aufgeklappten Pulte des Tisches und schrieb, reihte Ziffer an Ziffer in ihrer runden, großen, sehr leserlichen Schrift. Die beiden Männer nahmen Platz. Florent betrachtete überrascht das Zimmer, die beiden Bilder, die Uhr, das Bett.
Also, hören Sie, sprach Lisa, nachdem sie eine ganze Seite voll Ziffern noch einmal ruhig nachgerechnet hatte. Wir haben Ihnen Rechnung zu legen, mein lieber Florent.
Es war das erstemal, daß sie ihn so nannte. Sie nahm das mit Ziffern beschriebene Blatt und fuhr fort:
Ihr Oheim Gradelle ist ohne Testament gestorben; Sie und Ihr Bruder sind die zwei einzigen Erben ... Wir müssen Ihnen jetzt Ihren Anteil herausgeben.
Ich verlange nichts! ... rief Florent. Ich will nichts.
Quenu schien die Absichten seiner Frau nicht zu kennen. Er war ein wenig blaß geworden und betrachtete sie mit verdrossener Miene. Fürwahr, er liebte seinen Bruder sehr; aber es war unnötig, ihm so das Erbe nach dem Onkel an den Kopf zu werfen. Man konnte ja später sehen.
Ich weiß wohl, mein lieber Florent, hub jetzt Lisa wieder an, daß Sie nicht zurückgekommen sind, um zu fordern, was Ihnen gebührt. Allein, Geschäft ist Geschäft; es ist besser, sogleich damit fertig zu werden ... Die Ersparnisse Ihres Oheims machten fünfundachtzigtausend Franken aus. Ich habe denn zweiundvierzigtausendfünfhundert Franken auf Ihre Rechnung geschrieben. Da, sehen Sie.
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