Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
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Florent fühlte, wie ein Schauer seinen Körper überflog, als er eine Frau auf der Schwelle des Ladens bemerkte, vom Sonnenschein umflossen. Sie erhöhte durch ihre Erscheinung den Eindruck der Fülle und des Wohlbehagens, den alle diese schönen, erquicklichen Sachen hervorbrachten. Sie war eine schöne Frau. Sie füllte die Türöffnung aus, obgleich sie nicht zu stark war; ihr voller Busen verriet die Reife der Dreißigerin. Sie war eben erst aufgestanden und doch war ihr Haar schon geordnet und legte sich in schönen, glatten Strähnen über die Schläfen. Es gab ihr ein sehr sauberes Aussehen. Ihr ruhiges Fleisch hatte die durchsichtige Weiße, die feine, rosige Haut der Personen, die unter Fett und rohem Fleisch leben. Sie hatte ein sehr ruhiges, mehr ernstes Aussehen; nur die Augen heiterten ihr Antlitz auf. Ihr weißer, gesteifter Kragen, der sich eng um den Hals legte, ihre weißen Manschetten, die bis zu den Ellenbogen reichten, ihre weiße Schürze, die so lang war, daß sie die Spitze ihrer Schuhe verhüllte, ließen nur schmale Streifen ihres schwarzen Kaschmirkleides, die runden Schultern, das volle Leibchen sehen, das den Stoff außerordentlich straff anspannte. Auf all dem vielen Weiß brannte die Morgensonne. Doch in das Licht getaucht, mit ihrem blauschwarzen Haar, ihrem rosigen Fleisch, den schimmernden Ärmeln und der Schürze, stand sie da, ohne auch nur mit den Augen zu zwinkern, und nahm in aller Ruhe ihr morgendliches Lichtbad, mit ihren sanften Augen die überquellenden Hallen anlächelnd. Sie hatte ein überaus ehrbares Aussehen.
Das ist die Gattin Ihres Bruders, Ihre Schwägerin Lisa, sagte Gavard zu Florent.
Er hatte sie mit einem leichten Kopfnicken gegrüßt. Dann betrat er den kleinen Gang, der ins Haus führte; er benahm sich noch immer mit einer ganz außerordentlichen Vorsicht, denn er wollte nicht, daß Florent durch den Laden eintrete, der übrigens ganz leer war. Er war augenscheinlich sehr froh, sich in ein Abenteuer zu stürzen, das er für gefährlich hielt.
Warten Sie, sagte er; ich will nachsehen, ob Ihr Bruder allein ist. Wenn ich in die Hände klatsche, treten Sie ein.
Er öffnete eine Türe im Hintergrunde des Ganges. Doch als Florent die Stimme seines Bruders hinter dieser Türe vernahm, war er mit einem Satze im Hause. Quenu, der ihn sehr liebte, warf sich ihm an den Hals. Sie küßten sich wie Kinder.
Bist du es wirklich? stammelte Quenu. Wer hätte das erwartet? ... Ich hielt dich für tot ... Ich sagte gestern erst zu Lisa: »Der arme Florent ...«
Er hielt inne, steckte den Kopf zur Ladentür hinein und rief:
Lisa! He, Lisa!
Dann wandte er sich zu einem kleinen Mädchen, das sich in einen Winkel geflüchtet hatte, und sagte:
Pauline, rufe deine Mutter!
Doch die Kleine rührte sich nicht. Es war ein prächtiges Kind von fünf Jahren mit einem großen, runden Gesichte, der schönen Wursthändlerin sehr ähnlich. Sie hielt in den Armen eine große, gelbe Katze, die sich mit hängenden Beinen ihrem Behagen überließ. Das Kind drückte mit seinen kleinen Händen das Tier, unter dessen Last es sich beugte, fest an sich, als fürchte es, daß der schlecht gekleidete Fremde ihr die Katze stehlen könne.
Lisa kam langsam herbei.
Das ist Florent, mein Bruder, sagte Quenu.
Sie nannte ihn »mein Herr!« und benahm sich sehr freundlich. Sie betrachtete ihn ruhig vom Kopf bis zu den Füßen, ohne eine verletzende Überraschung zu verraten. Nur ihre Lippen waren leicht verzogen. Sie blieb da stehen und lächelte schließlich über die Umarmungen ihres Gatten. Dieser schien sich indes zu beruhigen. Jetzt erst bemerkte er die Magerkeit und Dürftigkeit seines Bruders.
Ach, armer Kerl! Du bist in fernen Landen nicht schöner geworden ... Ich habe dagegen Fett angesetzt ... Was will man machen?
Er war in der Tat fett, zu fett für seine dreißig Jahre. Er strotzte von Fülle in seinem Hemde, in seiner Schürze, in diesen weißen Linnen, die ihn einhüllten wie eine riesige Puppe. Sein rasiertes Antlitz hatte sich verlängert und hatte mit der Zeit eine ferne Ähnlichkeit mit dem Rüssel seiner Schweine angenommen, mit diesem Fleische, in dem seine Hände den ganzen Tag herumwühlten und lebten. Florent erkannte ihn kaum wieder. Er hatte sich gesetzt und betrachtete nacheinander seinen Bruder, die schöne Lisa und die kleine Pauline. Sie alle schwitzten sozusagen von Gesundheit; sie waren schön, kräftig und strahlend; sie betrachteten ihn mit dem Erstaunen sehr fetter Leute, die beim Anblick eines Mageren von einer unbestimmten Unruhe ergriffen werden. Und selbst die Katze, deren Haut vom Fett zu platzen drohte, riß die gelben Augen auf und betrachtete ihn argwöhnisch.
Du wartest bis zum zweiten Frühstück, nicht wahr? fragte Quenu. Wir essen früh, um zehn Uhr.
Ein starker Geruch drang aus der Küche herein. Florent sah seine furchtbare Nacht wieder, seine Ankunft mit den Gemüsewagen, seine Marter in den Hallen, diese unaufhörliche Anhäufung von Lebensmitteln, der er eben entronnen war. Da sagte er mit leiser Stimme und einem sanften Lächeln:
Nein, ich bin hungrig.
Zweites Kapitel
Florent hatte eben in Paris sein Rechtsstudium begonnen, als seine Mutter starb. Sie wohnte zu Vigon, in der Gard-Gegend. Sie hatte in zweiter Ehe einen aus Yvetot in der Normandie stammenden Mann namens Quenu geheiratet. Diesen Mann hatte ein Unterpräfekt nach dem Süden gebracht und dort vergessen. Er war Beamter in der Unterpräfektur geblieben; denn er fand die Gegend reizend, den Wein gut, die Frauen liebenswürdig. Nach dreijähriger Ehe starb er an den Folgen einer schlechten Verdauung. Als einziges Erbe hatte er seiner Frau einen dicken Jungen zurückgelassen, der ihm ganz ähnlich sah. Es fiel der Mutter schon schwer, die Schulgelder für ihren älteren Sohn Florent, der aus ihrer ersten Ehe stammte, zu bezahlen. Sie hatte große Ursache, mit diesem Sohne zufrieden zu sein; er war von sanfter Gemütsart, arbeitete fleißig und erlangte stets die ersten Preise. Ihm wandte sie ihre