Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola страница 190
Claude und Florent machten kehrt und verweilten unter den Blumen. Neugierig blieben sie vor den Frauen stehen, die regelmäßig gebundene Farrenkraut- und Weinlaubbüschel verkauften. Dann bogen sie in einen fast noch menschenleeren Gang ein, wo ihre Tritte widerhallten wie unter dem Gewölbe einer Kirche. Hier fanden sie einen kleinen Karren, mit einem ganz kleinen Esel bespannt, der sich ohne Zweifel langweilte und so laut und ausdauernd zu brüllen anfing, daß das Riesendach der Hallen davon erzitterte. Pferdegewieher antwortete darauf. In der Ferne hörte man ein Stampfen, ein Getöse, das anstieg, vorüberzog und sich wieder verlor. Gegenüber in der Hirtenstraße zeigten die weit geöffneten, kahlen Läden im grellen Gaslichte Haufen von Körben und Früchten zwischen den drei schmutzigen Mauern, die mit Rechnungen über und über bedeckt waren, die man mit dem Bleistifte darauf gekritzelt hatte. Während sie da standen, sahen sie eine fein gekleidete Dame, die in seliger Erschlaffung, in die Ecke eines Fiakers gedrückt saß, der durch dieses Gewühl von Menschen und Fuhrwerken sich gleichsam hindurchstahl.
Aschenbrödel kehrt ohne Pantoffel heim, sagte Claude lächelnd.
Sie plauderten jetzt, während sie nach den Hallen zurückkehrten. Claude, der die Hände in die Taschen steckte und sich ein Liedchen pfiff, sprach von seiner großen Vorliebe für diese Überfülle von Nahrungsmitteln, die jeden Morgen mitten in Paris sich ausbreitet. Er trieb sich ganze Nächte auf den Abladeplätzen herum und träumte von ungeheueren Naturstücken, von wundervollen Gemälden; er hatte sogar eines begonnen, wobei sein Freund Marjolin und die Dirne Cadine ihm Modell gestanden hatten; aber der Eindruck des Bildes war »zu hart«; diese verteufelten Gemüse, Früchte, Fische und Fleischmassen waren »zu schön«. Florent hörte mit knurrendem Magen diese Künstlerbegeisterung. Es war klar, daß Claude in diesem Augenblick gar nicht daran dachte, daß man alle diese schönen Dinge auch essen könne. Er liebte sie wegen ihrer Farbe. Dann schwieg er plötzlich, zog mit einer Handbewegung, die ihm zur Gewohnheit geworden, den langen, roten Gürtel enger zusammen, den er unter seinem grün schillernden Überröcke trug, und fuhr mit schlauer Miene fort:
Auch frühstücke ich hier, wenigstens mit den Augen, und das ist besser als nichts. Wenn ich manchmal am vorhergehenden Tag vergessen habe zu Mittag zu essen, überlade ich mir am Morgen den Magen, indem ich alle diese schönen Sachen ankommen sehe. An solchen Tagen ist meine Zärtlichkeit für die Gemüse noch größer. Nein, sehen Sie, mich erbittert es, und ich finde es ungerecht, daß diese lumpigen Spießbürger alles fressen.
Nun erzählte er von einem Abendessen, das einer seiner Freunde an einem Tage, da er einen gut gespickten Geldbeutel hatte, ihm bei Baratte gezahlt. Es gab Austern, Fische, Wildbret. Doch Baratte war ein überwundener Standpunkt; all das Zeug der ehemaligen Marktplätze galt heute nichts mehr; man lebte in der Zeit der Zentralhallen, dieses gußeisernen Kolosses, dieser neuen, so originellen Stadt. Die Schwachköpfe mochten reden, was sie wollten: die Zentralhallen waren das Bild der neuen Zeit. Florent wußte nicht mehr, ob er die malerische Seite oder das gute Essen bei Baratte verurteilte. Dann schimpfte Claude über das Romantische; diese Kohlhaufen seien ihm lieber als alle Fetzen aus dem Mittelalter. Schließlich klagte er sich selbst an wegen seiner Zeichnung der Pirouette-Straße; es sei eine Schwäche gewesen, meinte er. Die alten Hütten müßten niedergerissen und Modernes müsse geschaffen werden.
Schauen Sie dort an der Ecke des Fußweges, sagte er und blieb stehen. Ist das nicht ein fertiges Bild und viel menschlicher als all die vertrackte, schwindsüchtige Kleckserei?
In der ganzen Länge des Ganges bewegten sich jetzt Weiber, die Kaffee und Suppe verkauften. An der Ecke des Fußweges hatte um eine Verkäuferin von Kohlsuppe ein großer Kreis von frühstückenden Leuten sich gebildet. Der verzinnte Blechkessel mit seinem dampfenden und brodelnden Suppeninhalt stand auf einem niedrigen Ofen, dessen Löcher den matten Schein der Glut durchschimmern ließen. Mit einem großen Schöpflöffel bewehrt, füllte die Frau gelbe Tassen mit Suppe, nachdem sie vorher eine Handvoll dünner Brotschnitten, die sie aus einem mit Linnen überdeckten Korbe geholt, in die Tasse getan hatte. Es gab unter den Frühstückenden recht sauber gekleidete Handelsleute, Küchengärtner in Blusen, schmutzige Träger, deren Röcke an den Schultern die fettigen Spuren aller Lebensmittel zeigten, die sie zu schleppen hatten, dann zerlumpte, arme Teufel, kurz: alles Volk, das am frühen Morgen in den Hallen seinen Hunger stillt, sich mit der heißen Suppe den Mund verbrennt und beim Essen ein wenig vornüber gebeugt steht, um nicht den Suppenschaum auf die Kleider tropfen zu lassen. Der entzückte Maler zwinkerte mit den Augen, suchte den richtigen Gesichtspunkt, um mit dem Bilde einen guten Gesamteindruck hervorzubringen. Doch die verteufelte Kohlsuppe verbreitete einen schrecklichen Geruch. Florent wandte den Kopf weg, schmerzlich berührt durch den Anblick dieser vollen Tassen, die die Esser wortlos, mit einem fast tierischen, argwöhnischen Seitenblicke leerten. Da die Frau eben wieder einen neu Ankommenden bediente, ward Claude selbst durch den starken Dunst, der ihm aus dem vollen Löffel in die Nase stieg, am Magen gepackt.
Mit verlegener, lächelnder Miene zog er seinen Gürtel zusammen; dann nahm er seinen Gang wieder auf und sagte mit einer Anspielung auf das von Alexander gezahlte Glas Punsch zu Florent:
Es ist doch drollig ... Sie müssen es bemerkt haben ... Man findet immer jemanden, der uns zu trinken zahlt, aber nie jemanden, der uns zu essen zahlt.
Jetzt brach der Tag an. Am Ende der Cossonnerie- Straße sah man die Häuser der Sebastopol-Allee ganz schwarz, über der sich scharf abzeichnenden Linie der Schieferdächer bildete die hoch aufragende Wölbung des gedeckten Hauptganges an dem blaßblauen Morgenhimmel einen hellen Halbmond. Claude, der durch einige vergitterte Kellerlöcher hinabgeblickt hatte, die, in der Höhe des Fußweges gelegen, einen Einblick in die vom Gas nur schwach erhellten Kellerräume gestatteten, schaute jetzt hinauf zu den hohen Pfeilern und suchte auf den blauen Dächern am Rande des klaren Himmels. Er blieb wieder stehen, die Augen auf eine der dünnen eisernen Leitern gerichtet, die die zwei Stockwerke der Dächer verbinden und den Verkehr zwischen ihnen vermitteln. Florent fragte ihn, was er dort oben sehe.
Der verteufelte Marjolin, brummte der Maler, liegt sicher in irgendeiner Dachrinne, wenn er die Nacht nicht unter den Hühnern im Geflügelkeller zugebracht hat. Ich brauche ihn zu einer Studie.
Und er erzählte, daß sein Freund Marjolin eines Morgens von einer Gemüsehändlerin unter einem Kohlhaufen gefunden wurde und im Freien, auf dem Markte aufgewachsen sei, Als man ihn zur Schule schicken wollte, ward er krank; man mußte ihn wieder nach den Hallen zurückführen. Er kannte ihre geheimsten Winkel, liebte sie mit kindlicher Zärtlichkeit und lebte munter wie ein Reh in diesem gußeisernen Walde. Sie waren ein sauberes Paar, er und die Dirne Cadine, die Mutter Chantemesse eines Abends an der Ecke des alten Innocent-Marktplatzes aufgelesen hatte. Er war ein prächtiger Junge, blond wie ein Rubens, mit einem rötlichen Flaum, auf welchem das Sonnenlicht spielte; sie war klein und schmächtig und hatte ein pfiffiges Lärvchen unter