Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola

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er mit seinem Gefährten plauderte. Er geleitete Florent auf den Sankt-Eustach-Platz zurück. Hier sank der Ausgehungerte kraftlos auf eine Bank neben der Haltestelle der Omnibus; seine Beine trugen ihn nicht weiter. Die Luft war kühl. Im Hintergrunde der Rambuteau-Straße fleckten rosige Lichter den milchfarbenen Himmel, der weiter hinauf von breiten, grauen Rissen durchzogen war. Diese Morgendämmerung hatte einen so balsamischen Duft, daß Florent sich einen Augenblick auf dem Lande, auf irgendeinem Hügel wähnte. Doch Claude zeigte ihm jenseits der Bank den Markt für duftende Kräuter. Längs des Kaldaunenmarktes gab es ganze Felder von Thymian, Lavendel, Knoblauch, Schalotte; die Händler hatten die jungen Platanen des Fußweges mit hohen Lorbeerzweigen umschlungen, die gleichsam ein grünes Festgewinde bildeten. Der mächtige Geruch des Lorbeers herrschte vor.

      Das beleuchtete Zifferblatt der Turmuhr zu Sankt-Eustach erbleichte, wie ein Nachtlämpchen, das der Morgen überrascht hat. In den Weinschenken der benachbarten Straßen erlosch ein Gaslicht nach dem andern gleich Sternen, die ins Licht fallen. Florent betrachtete die großen Hallen, die aus dem Schatten, aus dem träumerischen Dunkel hervortraten, worin er sie ihre luftigen Bauten ins Unendliche hatte ausdehnen sehen. Sie nahmen jetzt in ihrer graugrünen Farbe feste Formen an und erschienen noch riesiger mit ihrem Wald von Eisenpfeilern, welche die schier endlosen Felder ihrer Dächer trugen. Sie häuften ihre starren Massen. Als innen alle Lichter ausgelöscht waren, als sie ihre gleichen, viereckigen Formen in dem Lichte des anbrechenden Tages badeten, erschienen sie wie eine moderne Maschine, die jedes Maß übersteigt, wie eine Dampfmaschine, wie ein Riesenofen, für die Verdauung eines ganzen Volkes bestimmt, ein ungeheurer Bauch von Metall, gebolzt und vernietet, aus Holz, Glas und Gußeisen hergestellt, von der Eleganz und Mächtigkeit einer Lokomotive, die mit der Hitze des Heizwerkes und mit den gewaltigen Bewegungen der Räder arbeitet.

      Claude hatte in seiner Begeisterung sich auf die Bank gestellt. Er zwang seinen Gefährten, den über den Gemüsen heraufziehenden Morgen zu bewundern. Es war ein Meer, das zwischen den zwei Pavillongruppen von dem Sankt- Eustach-Platze bis zu den Hallen sich ausdehnte. An den beiden Enden, bei den Wegkreuzungen wuchs die Flut noch an; die Gemüse bedeckten das Straßenpflaster. Der Tag brach langsam in zartgrauem Lichte an und tauchte alles in eine helle Aquarellfarbe. Diese in eng gedrängten Wellen sich kräuselnden Haufen, dieser Strom von Grün, der in dem Einschnitte des Fahrweges dahin zu fließen schien wie die wilden Gewässer eines Herbstregens: sie nahmen feine, geperlte Schattierungen an, das zarte Violett, das mit Weiß gesättigte Rosa, das in Gelb getauchte Grün, alle die blassen Farben, die bei Sonnenaufgang dem Himmel die Farbe der schillernden Seide verleihen. In dem Maße, wie der Brand der Morgensonne mit seinen lodernden Strahlenbündeln aus dem Hintergrunde der Rambuteau-Straße heraufstieig, erwachten die Gemüse immer mehr und traten aus dem blauen Schatten heraus, der auf der Erde lagerte. Die Salate, Lattiche und Endivien, erschlossen und noch feucht von dem Erdreich, zeigten ihren schimmernden Kern; die Spinat- und Sauerampferpakete, die Artischockensträuße, die Erbsen- und Bohnenhaufen, die Stöße von breitblätterigem Lattich, durch Strohhalme zusammengebunden, zeigten die ganze Stufenleiter des Grün, von der grünen Lackfarbe der Schoten angefangen bis zu dem satten Grün der Blätter; eine fortlaufende Farbenleiter, die in den Streifen der Sellerieköpfe und der Lauche erstarb. Aber unter den hellen Farben die hellsten waren doch die der Möhren und Rüben, die in überreicher Menge auf dem ganzen Markte ausgestreut, mit ihren hellen Streifen einen bunten Ton in diese Farbenpracht setzten. An der Wegkreuzung der Hallen bildeten die Kohlköpfe ganze Berge; die riesigen Weißkohlköpfe, eng zusammengeschlossen und hart wie Kugeln aus einem weißen Metall; die Krauskohlköpfe, deren große Blätter flachen Becken von Bronze glichen; die Rotkohlköpfe, denen die Morgenröte eine prächtige Weinhefefarbe verlieh, mit dunkleren Streifen von Karmin und Purpur. Am andern Ende war bei der Wegkreuzung des Sankt-Eustach-Platzes der Eingang der Rambuteau-Straße von einer Doppelreihe gelber Riesenkürbisse verlegt; da und dort schimmerte der braunrote Glanz eines Korbes voll Zwiebeln, das Blutrot eines Häufleins Tomaten, das Blaßgelb einer Partie Gurken, das Dunkelviolett eines Kranzes Eieräpfel, während einzelne Reihen großer schwarzer Rettiche dunkle Flecken inmitten aller Farbenfreude des anbrechenden Tages bildeten.

      Claude schlug bei diesem Anblick entzückt die Hände zusammen. Er fand diese »vertrackten Gemüse« ganz außerordentlich, erhaben. Und er behauptete, daß sie nicht tot seien, daß sie, am gestrigen Abend aus dem Boden geholt, jetzt auf dem Pflaster der Hallen der Morgensonne harrten, um ihr Lebewohl zu sagen. Er sah sie leben, ihre Blätter erschließen, als ob sie noch ruhig und warm in ihren Düngerbeeten säßen. Er behauptete da das Röcheln aller Küchengärten der Umgegend zu hören. Doch hatte inzwischen eine Flut von weißen Hauben, schwarzen Leibchen und blauen Blusen die schmalen Pfade zwischen den Gemüsehaufen überschwemmt. Es war ein Stück geräuschvollen Landlebens. Die großen Butten der Träger zogen schwerbepackt und die Köpfe überragend vorüber. Die Wiederverkäuferinnen, die Grünkrämer und die Obsthändler beeilten sich, ihre Einkäufe zu machen. Bei den Kohlhaufen sah man Korporale und Nonnengruppen feilschen; Schulköche gingen witternd umher, um einen wohlfeilen Kauf zu suchen. Es wurde noch immer abgeladen; Karren warfen ihre Last zur Erde wie eine Ladung Pflastersteine und vergrößerten so die Flut, die allmählich den jenseitigen Fußweg erreichte. Und aus der Pont-Neuf-Straße kamen noch immer neue Wagenreihen.

      Es ist doch herrlich schön! murmelte Claude begeistert.

      Florent aber litt inzwischen. Er glaubte, es sei eine übermenschliche Versuchung über ihn gekommen. Er wollte nichts sehen; er betrachtete die schräg gestellte Sankt- Eustach-Kirche, die wie eine Sepiazeichnung sich vom blauen Himmel abhob mit ihren Rosetten, breiten, gewölbten Fenstern, ihrem Glockenturm und ihren Schieferdächern. Er verweilte bei dem dunklen Verschwimmen der Montorgueil- Straße, wo grell bemalte Aushängeschilder glänzten; dann bei dem hier sichtbaren Stück der Montmartre-Straße, deren mit vergoldeten Lettern durchflochtene Balkongitter herüber schimmerten. Als seine Blicke zur Wegkreuzung zurückkehrten, blieben sie an anderen Firmenschildern haften; da gab es Drogerien und Apotheken, Mehl und trockene Gemüse, alles in großen roten oder schwarzen Buchstaben auf verwaschenem Grunde gemalt. Die Eckhäuser mit ihren schmalen Fenstern erwachten allmählich und zeigten in der breiten, luftigen, neuen Pont- Neuf-Straße einige gelbe, gemütliche Vorderseiten aus dem alten Paris. An der Ecke der Rambuteau-Straße standen in den leeren Schaufenstern des großen Modewarenmagazins sauber gekleidete Handlungsgehilfen mit Weste, knapp anliegendem Beinkleide und schimmernden breiten Manschetten, mit der Ordnung der Auslagen beschäftigt. Weiterhin stand das Haus Guillout, ernst wie eine Kaserne, und stellte in seinen Schaufenstern Pakete goldgelb schimmernden Zwiebacks und große Schüsseln kleiner Kuchen aus. Alle Läden waren jetzt geöffnet. Arbeiter in weißen Blusen mit ihrem Werkzeug unter dem Arm gingen eiligen Schrittes durch die Straße.

      Claude war von seiner Bank noch immer nicht herabgestiegen. Er erhob sich auf die Fußzehen, um tiefer in die Straßen hineinsehen zu können. Plötzlich bemerkte er in der Menge, die er überragte, einen blonden Kopf mit vollem, wallendem Haar, gefolgt von einem kleinen schwarzen, ganz krausen und struppigen Kopfe.

      He, Marjolin! he, Cadine! rief er.

      Da seine Stimme in dem Getöse des Marktes ungehört verhallte, sprang er zur Erde und begann zu laufen. Dann erinnerte er sich, daß er Florent vergaß; mit einem Satz kehrte er zurück und sagte:

      Ich wohne im Bourdonnais-Gäßchen; mein Name ist mit Kreide auf der Haustüre angeschrieben. Claude Lantier ... Kommen Sie zu mir, um meine Zeichnung von der Pirouette-Straße zu besichtigen.

      Damit verschwand er. Er wußte den Namen Florents nicht; er verließ ihn wie er ihn gefunden hatte, am Rande eines Bürgersteiges, nachdem er ihm seine Lieblingsrichtung in der Kunst erklärt hatte.

      Florent war allein. Zuerst war er froh ob dieser Einsamkeit. Seitdem Frau François ihn in der Neuilly-Allee aufgelesen, befand er sich wie in einem Traume, einem Leide, das ihm jede klare Vorstellung der Dinge unmöglich machte. Er war endlich frei; er wollte sich aufrichten, diesen unerträglichen Traum von ungeheuren Nahrungsmitteln abschütteln, von dem er sich verfolgt fühlte. Allein sein Kopf

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