Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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in bläulichen Schatten getaucht und erschien nur mehr wie ein dunkles Profil in den lodernden Flammen der aufgehenden Sonne. Oben glühte ein Glasfenster auf, und ein Lichtstrahl ergoß sich bis zu den Dachrinnen längs der breit abfallenden Zinkplatten. Das Ganze glich einer geräuschvollen Stadt, die in eine Wolke von Goldstaub gehüllt ist. Immer lauter äußerte sich das erwachende Leben, angefangen von dem Schnarchen der in ihre Mäntel gehüllten Gemüsegärtner bis zu dem lebhafteren Rollen der Marktwagen. Die ganze Stadt erschloß jetzt ihre Torgitter; es summte und brummte auf den Verkaufsplätzen und in den Pavillons; alle Stimmen tönten, und es war gleichsam eine mächtige Entfaltung jenes Satzes, den Florent seit vier Uhr morgens im Dunkel dahinziehen und immer mehr anschwellen hörte. Rechts und links, auf allen Seiten, mengte das Geschrei der Ausrufer hohe Pickelflötentöne in das tiefe Gebrumme der Menge, es war bei den Seefischen, auf dem Buttermarkte, in der Geflügelabteilung, auf dem Fleischmarkte. Von Zeit zu Zeit ertönte eine Glocke, und dem Klang folgte der Lärm eines Marktes, dessen Eröffnung sie ankündete. Rings um ihn her tauchte die Sonne die Gemüsehaufen in die Fluten ihres Lichts. Er erkannte nicht mehr die zarte Aquarellfarbe der Dämmerung. Die erschlossenen Kelche der Salate brannten im Lichte, das Grün schimmerte prächtig, die roten Rüben schienen zu bluten, die weißen Rüben glühten in diesem sieghaften Glutofen. Zu seiner Linken schütteten noch immer Kohlkarren ihren Inhalt aus. Er wandte die Blicke und sah in der Ferne noch immer neue Fuhrwerke aus der Turbigo-Straße hervorkommen. Die Meeresflut stieg immer höher. Er hatte sie an seinen Knöcheln, dann an seinem Bauche gefühlt, jetzt drohte sie über seinem Haupte zusammenzuschlagen. Geblendet, ertränkt, mit klingenden Ohren, der Magen erdrückt von allem, was er gesehen, neue, unaufhörliche Massen von Nahrungsmitteln ahnend, flehte er um Gnade, und ein wahnsinniges Verlangen erfaßte ihn, Hungers zu sterben inmitten des strotzenden Paris, in diesem flammenden Erwachen der Hallen. Große, heiße Zähren rollten über seine Wangen.

      Er war jetzt bei einem breiteren Gange angelangt. Zwei Frauen, eine kleine Alte und ein große Hagere, gingen plaudernd an ihm vorüber und lenkten ihre Schritte nach den Hallen.

      Sie kommen, um Ihren Einkauf zu machen, Fräulein Saget? fragte die große Hagere.

      Ach, Frau Lecoeur, mein Einkauf!... Sie wissen ja, eine allein stehende Frau; ich lebe sozusagen von nichts... Ich wollte eine Rose Blumenkohl kaufen, aber es ist alles so teuer ... Was ist denn heut der Preis der Butter?

      Vierunddreißig Sous... Ich habe sehr gute, wenn Sie zu mir kommen wollen...

      Schön, schön; ich weiß noch nicht; ich habe noch etwas Fett zu Hause...

      Florent machte eine letzte Anstrengung und folgte den beiden Frauen. Er erinnerte sich, den Namen der kleinen Alten von Claude in der Pirouette-Straße nennen gehört zu haben, und er faßte den Vorsatz, sie anzusprechen, wenn sie die große Hagere verlassen hatte.

      Und Ihre Nichte? fragte Fräulein Saget.

      Die Sariette mag tun, was sie will, erwiderte Frau Lecoeur in herbem Tone. Sie hat sich selbständig niederlassen wollen; das geht mich weiter nichts an. Wenn die Männer sie aufgefressen haben, bekommt sie von mir nicht einen Bissen Brot.

      Sie waren so gut zu ihr... Sie sollte trachten, Geld zu erwerben. Der Obsthandel ist heuer sehr vorteilhaft... Und Ihr Schwager?

      Oh, der...

      Frau Lecoeur rümpfte die Nase und schien nicht mehr sagen zu wollen.

      Also immer derselbe? fuhr Fräulein Saget fort. Ein schöner Herr das!... Ich habe mir erzählen lassen, daß er sein Geld in einer Weise ausgibt!...

      Weiß man denn, ob er sein Geld überhaupt ausgibt? sagte Frau Lecoeur grob. Das ist ja ein Geheimtuer, ein Geizhals, der mich krepieren ließe, eher er mir hundert Sous liehe... Er weiß sehr wohl, daß Butter, Käse und Eier dieses Jahr keinen guten Preis haben, während er nicht genug Geflügel auftreiben kann. Glauben Sie, daß er mir auch nur ein einziges Mal seine Dienste angeboten habe? Ich bin zu stolz, um etwas anzunehmen; aber eine Freude würde es mir dennoch bereitet haben.

      Dort geht er, Ihr Schwager, sagte Fräulein Saget mit gedämpfter Stimme.

      Die Frauen wandten sich um und sahen einem Mann nach, der quer über die Straße ging, um den gedeckten Hauptgang zu betreten.

      Ich habe Eile, sagte Frau Lecoeur; ich habe meinen Laden allein gelassen. Übrigens will ich auch nicht mit ihm sprechen.

      Florent hatte sich unwillkürlich ebenfalls umgewandt. Er sah einen kleinen, vierschrötigen Mann mit zufriedener Miene, die grauen Haare kurz geschnitten, unter jedem Arm eine fette Gans, deren Kopf ihm an die Schenkel schlug. Plötzlich lief in einer freudigen Regung Florent, alle Müdigkeit vergessend, dem Manne nach. Als er ihn erreicht hatte, rief er:

      Gavard! und schlug ihn dabei auf die Schulter.

      Der andere blickte auf und betrachtete mit überraschter Miene dieses lange, schwarze Gesicht, das er nicht erkannte. Dann rief er plötzlich äußerst betroffen aus:

      Sie! Sie! Sind Sie es denn wirklich?

      Es fehlte nicht viel und er hätte seine fetten Gänse zu Boden fallen lassen. Er konnte sich nicht fassen. Doch als er seine Schwägerin und Fräulein Saget bemerkte, die aus der Ferne neugierig dieser Begegnung zusahen, ging er weiter und sagte:

      Kommen Sie, wir wollen nicht stehen bleiben; es gibt überall zu viel Augen und Zungen.

      Unter dem gedeckten Gange setzten sie ihr Gespräch fort. Florent erzählte, daß er in der Pirouette-Straße gewesen. Gavard fand es sehr drollig; lachend erzählte er ihm, daß sein Bruder Quenu seit langem ausgezogen sei und seinen Wurstladen da in der Nähe, Rambuteau-Straße, den Hallen gegenüber eröffnet habe. Was ihn noch mehr ergötzte, war, daß Florent den ganzen Morgen mit Claude Lantier umhergestreift sei, einem schnurrigen Kauz, der just ein Neffe der Frau Quenu war. Er schickte sich an, ihn zu dem Wurstladen zu führen. Als er erfuhr, daß Florent mit falschen Papieren nach Frankreich zurückgekehrt sei, nahm er eine geheimnisvolle und ernste Miene an. Er wollte fünf Schritte vor ihm gehen, um nicht die Aufmerksamkeit zu erwecken. Nachdem er den Geflügelpavillon durchschritten, wo er seine zwei Gänse an seiner Auslage aufhängte, ging er durch die Rambuteau-Straße, immer gefolgt von Florent. Da blieb er in der Mitte des Fahrweges stehen und zeigte ihm mit einem Augenzwinkern einen schönen, großen Wurstladen.

      Das Sonnenlicht fiel schräg in die Rambuteau-Straße und beleuchtete die Vorderseite der Häuser, zwischen denen die Öffnung der Pirouette-Straße eine dunkle Höhlung bildete. Das große Schiff der Sankt-Eustach-Kirche am anderen Ende der Straße war ganz vergoldet im Lichte der Morgensonne und glich einem riesigen Reliquienschrein. Inmitten der Menge kam aus der Straßenkreuzung hervor eine Armee von Straßenkehrern in langer Linie mit den regelmäßigen Bewegungen ihrer Kehrbesen heran, während die Kehrichtabfuhrleute das Kehricht mit ihren Schaufeln in die großen Wagen warfen, die alle zwanzig Schritte hielten, wobei es rasselte wie von zerbrochenem Eßgeschirr. Doch Florent hatte nur mehr Interesse für den Wurstladen, der weit offen, im hellen Lichte der Morgensonne dalag.

      Der Laden bildete fast die Ecke der Pirouette-Straße und es war eine Freude, ihn zu betrachten. Er lachte jeden an, so hell war er mit seinen lebhaften Farben, die sich so schön von dem Weiß des Marmors abhoben. Auf dem Firmenschilde leuchtete der Name Quenu-Gradelle in fetten Goldbuchstaben, von einem Rahmen aus Blätterwerk umgeben, auf zartem Grunde gemalt, das Ganze mit einer Glastafel überdeckt. Die beiden Seitentafeln der Auslage, gleichfalls gemalt und unter Glas, zeigten kleine pausbäckige Liebesgötter, die mitten unter den Schweinsköpfen, Koteletten und Wurststrängen spielten; und diese von Schnörkeln und Rosetten umgebenen Abbildungen hatten einen solchen zarten Aquarellton, daß das rohe Fleisch die rosige Farbe

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