Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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sich aufeinander. Drei oder vier hingegen, in schattigen Winkeln verloren, machten Miene, vornüber zu stürzen. Die Gaslaterne beleuchtete eines, das sehr weiß war, frisch getüncht, die Gestalt eines alten, in die Breite geratenen Weibes hatte, das sich ganz weiß pudert und schminkt wie eine Junge. Dann zog sich die buckelige Reihe der anderen Häuser dahin und verlor sich im Dunkel, buntscheckig, von den Regengüssen grau und grün gefärbt, in einer solchen Regellosigkeit der Haltung und der Farben, daß Claude voll Behagen darüber lachte. Florent war an der Ecke der Mondétour-Straße stehen geblieben gegenüber dem vorletzten Hause links. Die drei Stockwerke dieses Hauses lagen noch im Schlummer da mit ihren zwei Fenstern ohne Läden in jedem Stockwerke und ihren hinter den Scheiben sorgsam zugezogenen kleinen weißen Vorhängen; ganz oben sah man hinter den Vorhängen des schmalen Giebelfensters ein Licht kommen und gehen. Doch der Laden unter dem Schutzdache schien bei Florent eine ganz besondere Bewegung hervorzurufen. Der Laden wurde eben geöffnet; es war ein Handel mit trockenen Kräutern; im Hintergrunde sah man einen Kessel schimmern; auf dem Auslagetische standen Näpfe mit runden, spitz zulaufenden Spinat- und Endivien-Klößen, rückwärts von kleinen Schaufeln durchschnitten, von denen man nur das Heft aus Weißblech sah. Dieser Anblick schien Florent im höchsten Grade zu überraschen, er erkannte den Laden nicht wieder. Er las den Namen des Händlers – Godeboeuf – auf einer roten Firmentafel und blieb ganz verdutzt stehen. Mit schlaff herabhängenden Armen betrachtete er die Spinatklumpen; dabei drückte sein Gesicht die Verzweiflung eines Mannes aus, dem irgendein schreckliches Unglück widerfahren ist.

      Inzwischen war das Giebelfenster geöffnet worden; eine kleine Alte neigte sich heraus und blickte zuerst nach dem Himmel, dann nach den Hallen hinüber.

      Schau! Fräulein Saget steht früh auf, sagte Claude emporblickend.

      Und zu seinem Begleiter gewandt, fuhr er fort:

      Ich hatte in diesem Hause eine Tante und kenne es daher. Es ist ein recht toller Käfig ... Ah, die Méhudins rühren sich auch schon; im zweiten Stockwerk ist Licht zu sehen.

      Florent wollte ihn ausfragen, allein der andere flößte ihm in seinem abgefärbten, großen Überrock kein rechtes Vertrauen ein. Er folgte ihm wortlos, während Claude von den Méhudins sprach. Es waren Fischhändlerinnen; die Ältere war prächtig; die Jüngere, die Süßwasserfische verkaufte, glich unter ihren Karpfen und Aalen einer blonden Madonna von Murillo. Dabei ereiferte er sich und rief, Murillo male wie ein Halunke. Dann blieb er plötzlich in der Straße stehen: Aber wohin wollen Sie eigentlich?

      Ich will nirgends hin, sagte Florent traurig. Gehen wir, wohin Sie wollen.

      Als sie die Pirouette-Straße verließen, ward Claude von jemandem gerufen. Die Stimme kam aus dem Laden eines Weinhändlers an der Straßenecke. Claude trat ein und zog Florent mit sich. Es war nur ein Flügel des Fensters geöffnet. In der noch schläfrigstillen Trinkstube brannte eine Gasflamme; ein vergessener Wischlappen und die Spielkarten von gestern lagen noch auf den Tischen umher; der zur offenen Türe eindringende Luftzug brachte einige Frische in den dumpfen, warmen Weingeruch. Der Besitzer, Herr Lebigre, bediente seine Kunden in einer Ärmelweste; sein Rundbart war noch wirr, sein breites, regelmäßiges Gesicht ganz verschlafen. Vor dem Schanktische standen Männer in Gruppen und tranken hustend, speiend, mit schlaftrunkenen Augen, durch einen Schluck Weißwein oder Schnaps sich völlig erweckend. Florent erkannte Lacaille, dessen Sack jetzt bis an den Rand mit Gemüsen angefüllt war. Er trank jetzt sein drittes Glas in Gesellschaft eines Kameraden, der ihm lang und breit den Ankauf eines Korbes Kartoffeln erzählte. Als er sein Glas geleert hatte, zog er sich mit Herrn Lebigre in eine anstoßende, noch nicht beleuchtete Stube zurück, um mit ihm von Geschäften zu reden.

      Was wollen Sie haben? fragte Claude Florent.

      Beim Eintritt in die Weinstube hatte er dem Manne, der ihn gerufen, die Hand gereicht. Es war ein kräftiger, schöner Junge von höchstens zweiundzwanzig Jahren, rasiert, nur mit einem kleinen Schnurrbart, mit heiterer Miene, bekleidet mit einem ärmellosen Wams über einer blauleinenen Jacke und einem breiten, weißen Hute. Claude nannte ihn Alexander, schlug ihn kräftig auf den Arm und fragte ihn, wann sie nach Charentonneau gehen wollten. Sie sprachen von einer großen Kahnpartie, die sie zusammen auf der Marne gemacht hatten. Am Abend hatten sie einen Kaninchenbraten gegessen.

      Was wollen Sie? wiederholte Claude.

      Florent betrachtete verlegen den Schanktisch. An seinem Ende standen Kesselchen voll Punsch und Glühwein, umzüngelt von den blauen und rosigen Flammen eines Gasofens. Er gestand endlich, daß er gern etwas Warmes nehmen werde. Herr Lebigre füllte drei Gläser mit Punsch. Neben den Teekesseln stand ein Körbchen voll ganz frischer, noch warmer Buttersemmeln. Aber weil die anderen nicht davon nahmen, begnügte sich auch Florent, sein Glas Punsch zu trinken; das Getränk rann wie geschmolzenes Blei in seinen leeren Magen. Alexander zahlte die Zeche.

      Ein guter Junge, dieser Alexander, sagte Claude, als die beiden wieder auf dem Fußweg der Rambuteau-Straße waren. Er ist sehr unterhaltend auf dem Lande; er macht die schönsten Kunststücke. Dabei ein hübscher, strammer Bursche. Ich habe ihn nackt gesehen; oh, wenn er mir im Freien Modell stehen wollte! ... Und jetzt, wenn's beliebt, wollen wir einen Gang durch die Hallen machen.

      Florent folgte ihm, überließ sich ihm. In der Tiefe der Rambuteau-Straße war es hell, der Tag kündigte sich an. Die laute Stimme der Hallen wurde vernehmlich; von Zeit zu Zeit zerschnitten Glockenklänge aus einem entfernten Pavillon dieses rollende, immer mehr anwachsende Geräusch. Sie betraten einen der gedeckten Gänge zwischen dem Pavillon für Seefische und dem Pavillon für geschlachtetes Geflügel. Florent erhob die Blicke und betrachtete das hohe Gewölbe, dessen inneres Holzgerüste zwischen dem schwarzen Spitzenwerk der gußeisernen Tragbalken schimmerte. Als er den großen Mittelgang erreichte, glaubte er eine seltsame Stadt vor sich zu haben mit ihren deutlich abgegrenzten Vierteln, ihren Vorstädten, Dörfern, Spazierwegen und Straßen, mit ihren Plätzen und Wegkreuzungen, eine Stadt, die irgendeine Riesenlaune an einem Regentage unter ein Dach gestellt hat. Der Schatten, der in den Höhlungen des Dachwerkes schlummerte, vervielfachte diesen Wald von Pfeilern, breitete ins Unendliche die zarten Rippen, die abgesonderten Galerien und Fensterreihen aus; und über dieser Stadt entfaltete sich bis in die Tiefe des Dunkels dort oben ein weites Wachsen, ein ungeheuerliches Sprießen und Entfalten von Metall, dessen Stengel, die in Bündeln emporstrebten, dessen Zweige, die sich krümmten und durcheinander schlangen, eine ganze Welt bedeckten mit ihrem leichten Laubwerk eines hundertjährigen Hochwaldes. Ganze Viertel schliefen noch hinter ihren verschlossenen Torgittern. Die Pavillons für Butter und Geflügel dehnten ihre kleinen vergitterten Verkaufsstände, ihre noch menschenleeren Gänge unter den Reihen von Gaslichtern dahin. Der Pavillon für Seefische war eben geöffnet worden; Frauen kamen und gingen über die blanken Steine des Pflasters, auf das da und dort ein vergessener Korb oder ein vergessenes Linnen seinen Schatten warf. In den Abteilungen für schwere Gemüse, Blumen und Früchte ward das Geräusch immer lauter; immer mehr erwachte das Leben in dieser Stadt, angefangen von dem volkreichen Viertel der Kohlköpfe, die schon um vier Uhr sich anhäufen, bis zu dem trägen und reichen Viertel, das erst um acht Uhr seine Häuser mit Fasanen und Truthühnern behängt.

      In den großen, bedeckten Gängen ward es immer lebendiger. Längs der Fußwege an den beiden Rändern legten noch immer Küchengärtner, kleine Landwirte aus der Umgebung von Paris, auf Körben ihre Ernte vom gestrigen Abend zum Verkauf aus, einige Bunde Gemüse, einige Handvoll Obst. Inmitten des unaufhörlichen Kommens und Gehens der Menge fuhren Wagen unter den Gewölben ein und verlangsamten den widerhallenden Trab ihrer Pferde. Zwei dieser Wagen, die man in die Quere gestellt und so gelassen hatte, versperrten den Weg. Um vorbeizukommen, mußte Florent sich auf einen der grauen Säcke stützen, die Kohlensäcken glichen und unter deren ungeheuerer Last die Achsen sich bogen. Diese feuchten Säcke hatten einen Geruch von frischem Seegras; der eine war an einem Ende geplatzt, ihm entquoll ein Häuflein schwarzer Miesmuscheln. Sie mußten jetzt bei jedem Schritte stille stehen. Die Seefische kamen an; die Rollwagen folgten einander und führten hohe Holzkäfige herbei,

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