Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Zustande waren. Er knöpfte den Rock zu, staubte das Beinkleid ab, suchte sein Äußeres ein wenig in Ordnung zu bringen, weil er glaubte, daß diese erbärmlichen Lumpen ganz laut verkündeten, woher er komme. Er saß mitten auf der Bank neben armen Teufeln, Nachtschwärmern, die hier den Sonnenaufgang erwarteten. Die Hallen bieten den Vagabunden gastliche Unterkunft für die Nacht. Zwei Polizisten gingen, noch in ihrer Nachtausrüstung, mit Kapuze und Käppi nebeneinander mit den Händen auf dem Rücken auf und ab; jedesmal wenn sie bei der Bank vorüber kamen, warfen sie einen Blick auf das Wild, das sie da witterten. Florent bildete sich ein, daß sie ihn erkannten und sich berieten, ihn festzunehmen. Da ergriff ihn die Angst, und es überkam ihn ein tolles Verlangen zu fliehen. Aber er wagte es nicht; er wußte nicht, wie er von dannen gehen solle. Die regelmäßigen Blicke der Polizisten, dieses langsame und kalte Prüfen war ihm eine Qual. Endlich verließ er die Bank; er mußte sich Gewalt antun, um nicht zu laufen, was seine Beine ihn tragen konnten, und entfernte sich mit langsamen Schritten, die Schultern einziehend, aus Furcht, die schweren Hände der Polizisten an seinem Kragen zu fühlen.

      Er hatte nur mehr einen Gedanken, ein Bedürfnis: sich von den Hallen zu entfernen. Er wird noch warten und später suchen, wenn der Platz frei ist. Die bei der Wegkreuzung zusammenlaufenden drei Straßen, die Montmartre-Straße, die Montorgueil-Straße und die Turbigo-Straße beunruhigten ihn; sie waren mit Fuhrwerken jeder Gattung angefüllt und Gemüse bedeckten die Fußwege. Er ging also geradeaus, bis zur Pierre-Lescot-Straße, wo er auf den Kressen- und Kartoffelmarkt stieß und nicht weiter konnte. Da zog er vor, durch die Rambuteau-Straße zu gehen. Doch hier geriet er in ein solches Wirrsal von Möbelwagen, Karren und Fuhrwerken, daß er kehrtmachte, um in die Saint-Denis-Straße einzubiegen. Hier befand er sich wieder mitten in den Gemüsen. An beiden Rändern der Straße hatten die Markthändler ihre Verkaufsstände – auf hohen Körben quer liegende Bretter – aufgeschlagen und die endlose Flut von Kohl, Möhren und Rüben begann von neuem. Die Hallen überquollen von ihrem Reichtum. Er suchte diesem Meer zu entkommen, das auf seiner Flucht ihn erreichte; er versuchte es mit der Cossonnerie-Straße, Hirtenstraße, mit dem Innocenzplatz, mit der Eisenstraße und mit der Hallenstraße. Endlich blieb er entmutigt und erschreckt stehen; er vermochte diesem höllischen Wirbel der Kräuter nicht zu entrinnen, die ihn umschwirrten und mit ihren dünnen grünen Fäden ihm die Beine fesselten. In der Ferne verlor sich bis zur Rivoli-Straße, bis zum Rathausplatz, die endlose Reihe der Räder und Pferde in dem Durcheinander der aufgeladenen Waren; große Möbelwagen führten den Einkauf der Obsthändler eines ganzen Stadtviertels hinweg; Fuhrwerke, deren Seiten unter der schweren Last schier barsten, fuhren nach den Vorstädten ab. In der Pont-Neuf-Straße verirrte er sich völlig; er war mitten in ein Gewühl von Handkarren geraten; die Grünkramhändler putzten da ihr rollendes Warenlager auf. Unter ihnen erkannte er Lacaille, der einen Karren voll Möhren und Blumenkohl durch die Honoriusstraße fuhr. Er folgte ihm in der Hoffnung, daß er ihm behilflich sein werde, aus dem Gewühl herauszukommen. Das Straßenpflaster war feucht geworden, obgleich trockenes Wetter war; Artischockenstengel, Krautblätter, Pflanzenabfälle allerart bedeckten den Boden und gefährdeten die Sicherheit der Fußgänger. Er strauchelte bei jedem Schritte. In der Vauvillers-Straße verlor er Lacaille. Auf der Seite der Getreidehalle waren die Eingänge der Straßen ebenfalls mit Wagen und Karren verlegt. Er versuchte nicht mehr zu kämpfen; die Hallen hatten ihn wieder, die Flut trug ihn zurück, er befand sich wieder auf dem Sankt-Eustach-Platze.

      Er vernahm jetzt das anhaltende Getöse, das aus den Hallen kam. Paris kaute die Bissen für seine zwei Millionen Einwohner. Es war gleichsam ein großes Zentralorgan, das aus voller Kraft arbeitete und das Blut, den Lebenssaft, in alle Adern sandte; das Geräusch ungeheurer Kinnladen, der Lärm, den die Verpflegung der Riesenstadt verursachte, angefangen von dem Peitschenknallen der Großverkäufer, die nach den Märkten der verschiedenen Stadtviertel aufbrachen, bis zu dem Pantoffelschlürfen der armen Weiber, die mit ihren Handkörben von Tür zu Tür wandern, um einige Salatköpfe zu verkaufen.

      Er betrat einen gedeckten Gang links in der Gruppe der vier Pavillons, deren große, stille Schatten er in der Nacht gesehen hatte. Er gedachte sich hierher zu flüchten, hier einen Schlupfwinkel zu finden. Allein um diese Stunde waren auch diese Pavillons erwacht wie die anderen. Er schritt bis ans Ende des Ganges. Lastwagen fuhren im Trab herein und füllten den Geflügelmarkt mit Käfigen voll lebenden Geflügels und viereckigen Körben, in denen geschlachtetes Geflügel hoch aufgeschichtet lag. Auf dem entgegengesetzten Fußwege luden andere Fuhrwerke ganze Kälber ab, die, in Tücher eingehüllt, der ganzen Länge nach – wie Kinder – in Körben lagen, aus denen nur die blutigen Fußstümpfe herausragten. Es gab auch ganze Hammel, Ochsenviertel, Keulen und Schulterstücke. Die mit großen weißen Schürzen versehenen Metzger versahen das Fleisch mit einem Stempel, ließen es auf Handkarren herbeiführen, wogen es und hängten es auf den Querbalken des Ausrufeplatzes aus, während Florent, das Gesicht an die Eisenstäbe der Gittertür gedrückt, diese Reihen toter Tiere betrachtete, diese blutigen Ochsen und Hammel, die blasseren Kälber, die mit geöffnetem Bauche dahingen und an denen das Fett und die Sehnen gelbe Flecke bildeten. Er ging dann zu dem Kaldaunenmarkte, wo es blasse Kalbsköpfe und Kalbsfüße gab, säuberlich zusammengerollte Kaldaunen in Büchsen, auf platten Körben ausgelegte Gehirne, blutige Lebern, violettfarbene Nieren. Er verweilte bei den langen, zweiräderigen, mit runden Decken verhüllten Karren, die halbe Schweine, auf einer Strohschichte gelagert, zu beiden Seiten an die Wagenleiter gehängt, herbeiführten; und auf dem Strohlager standen Büchsen von Weißblech voll Schweineblut. Da ward Florent von einer dumpfen Wut erfaßt; der fade Geruch des Fleisches, der scharfe Geruch der Kaldaunen erbitterte ihn. Er verließ den gedeckten Gang und zog es vor, noch einmal zum Fußweg der Pont-Neuf-Straße zurückzukehren.

      Er war bis zum Äußersten erschöpft; es fror ihn in der Kühle des Morgens, seine Zähne klapperten und er fürchtete hinzufallen und am Boden liegen zu bleiben. Er suchte vergebens ein leeres Plätzchen auf einer Bank; er würde da geschlafen haben auf die Gefahr hin, von den Polizisten geweckt zu werden. Als ihm schwarz vor den Augen wurde, lehnte er sich an einen Baum; die Augen fielen ihm zu, und es summte ihm in den Ohren. Die rohe Möhre, die er verschlungen hatte, ohne sie zu kauen, zerriß ihm den Magen; der Punsch, den er getrunken, hatte ihn berauscht. Er war betäubt von Elend, Ermüdung und Hunger. Ein verzehrendes Feuer brannte abermals in seinem Innern; er preßte zeitweilig beide Hände an die Brust, wie um ein Loch zu verstopfen, durch das er sein Leben dahinschwinden zu fühlen glaubte. Ihm war, als schwanke der Bürgersteig um ihn her; sein Leiden ward dermaßen unerträglich, daß er lieber wieder gehen wollte, um es zum Schweigen zu bringen. Er ging also geradeaus vor sich hin und kam so wieder unter die Gemüse, wo er sich alsbald verirrte. Er betrat einen schmalen Weg, bog dann in einen andern ein, mußte wieder umkehren, verirrte sich von neuem und befand sich wieder mitten im Grünzeug. Manche Haufen waren so hoch, daß die Leute zwischen zwei Mauern, aus Paketen und Büchsen aufgebaut, dahinschritten. Nur die Köpfe ragten heraus, und man sah den weißen oder schwarzen Fleck der Kopfbedeckung vorüberziehen; und die großen, in wiegendem Schritte vorüber getragenen Butten glichen kleinen Kähnen von Weidengeflecht; die auf einem moosgrünen Teiche schaukeln. Florent stieß auf tausend Hindernisse, auf Träger, die sich mit ihrer Last beluden, auf Händlerinnen, die mit ihren rauhen Stimmen stritten. Er glitt aus auf der dicken Lage von Blättern und Strünken, die die Straße bedeckte; er erstickte schier in dem durchdringenden Geruch der zertretenen Abfälle. Völlig blöde blieb er schließlich auf einem Platze stehen und überließ sich den Stößen der einen, den Schmähworten der anderen; er war nur mehr eine Sache, die gedrängt und gestoßen, willenlos auf der steigenden Flut dahintrieb.

      Er ward jetzt von einem Gefühl großer Feigheit ergriffen: er wollte betteln. Sein dummer Stolz in der vergangenen Nacht erbitterte ihn jetzt. Hätte er das Geschenk der Frau François angenommen, hätte er nicht vor Claude eine alberne Angst gehabt, er müßte jetzt nicht inmitten all dieser Lebensmittel nach Nahrung lechzen. Es verdroß ihn besonders, daß er den Maler in der Pirouette-Straße nicht um Hilfe angesprochen. Jetzt war er allein und konnte auf dem Straßenpflaster verenden wie ein verlaufener Hund.

      Zum letztenmal erhob er die Blicke und betrachtete die Hallen. Sie flammten jetzt im Sonnenlichte. Ein breiter Strahl fiel hinten am Ende des gedeckten Ganges hinein und riß gleichsam

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