Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola

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Karren rollten dahin, die Pferde zogen ihres Weges mit gesenkten Köpfen, ohne erst angetrieben zu werden. Der Mann, den die alte Küchengärtnerin auf ihren Karren genommen, lag auf dem Bauche und steckte die Beine in den Rübenhaufen, der den hinteren Teil des Wagens füllte; sein Antlitz lag in den gelben Möhren gebettet, deren Bündel sich unter ihm ausbreiteten; erschöpft, mit ausgebreiteten Armen die riesige Gemüseladung umfangend, weil er fürchtete, daß ein Ruck ihn vom Wagen schleudern könne, betrachtete er vor sich die zwei endlos sich hinziehenden Reihen von Gaslaternen, die näher kamen und sich oben in einer Menge anderer Lichter verloren. Am Gesichtskreise schwebte weithin ein weißer Rauch und tauchte das schlafende Paris in den leuchtenden Dunstkreis all dieser Flammen.

      Ich bin aus Nanterre und heiße Frau François, sprach die Krautgärtnerin nach einer Weile. Seitdem ich meinen armen Mann verloren habe, gehe ich jeden Morgen nach den Hallen. Das ist hart, glauben Sie mir's! ... Und Sie?

      Ich heiße Florent und komme von weit her ... erwiderte der Unbekannte verlegen. Entschuldigen Sie: ich bin dermaßen ermüdet, daß es mir schwer fällt zu sprechen.

      Er hatte keine Lust zu plaudern. Da schwieg sie denn still und ließ die Zügel lockerer auf den Rücken Balthasars fallen, der sicher seines Weges zog wie ein Tier, das jeden Pflasterstein kennt. Die Blicke auf das Lichtmeer von Paris gerichtet dachte Florent über die Geschichte nach, die er verheimlichte. Nachdem er aus Cayenne geflohen war, wohin die Dezembertage ihn verschlagen hatten, und nachdem er zwei Jahre im holländischen Guyana herumgestreift war mit dem wahnsinnigen Verlangen heimzukehren und zurückgehalten durch die Furcht vor der kaiserlichen Polizei, hatte er endlich diese teure, große, heiß ersehnte Stadt vor sich. Da wollte er sich verbergen, sein friedliches Leben von einst wieder aufnehmen. Die Polizei sollte nichts davon erfahren; übrigens mußte er ja längst für tot gelten. Dann erinnerte er sich seiner Landung in Havre, wo er nicht mehr als fünfzehn Franken in einem Zipfel seines Schnupftuches fand. Bis Rouen konnte er noch mit dem Postwagen fahren. Von Rouen brach er zu Fuße auf, denn er besaß nur mehr dreißig Sous. In Vernon hatte er für seine letzten zwei Sous Brot gekauft. Was weiter geschah, dessen erinnerte er sich nur undeutlich. Er glaubte, mehrere Stunden in einem Graben geschlafen zu haben. Einem Gendarm, der des Weges kam, hatte er die Papiere zeigen müssen, mit denen er sich versehen.

      All dies wirbelte ihm durch den Kopf. Er war von Vernon gekommen, ohne zu essen, Wut und Verzweiflung im Herzen, die Blätter der Hecken kauend, an denen er vorbeikam; und er ging immer weiter, von Krämpfen und Schreckensanfällen ergriffen, mit leerem Magen, trüben Augen, schmerzenden Beinen, ohne sich all dessen bewußt zu sein, immer nach dem fernen, sehr fernen Paris dort hinter dem Gesichtskreise, das ihn rief, das ihn erwartete. Als er in Courbevoie ankam, war es stockfinstere Nacht. Paris, das einem auf die schwarze Erde niedergefallenen Stück gestirnten Himmels glich, erschien ihm streng und gleichsam verdrossen über seine Rückkehr. Da überkam ihn eine Schwäche und er stieg mit schlotterigen Beinen den Abhang hinab. Über die Brücke von Neuilly kommend lehnte er sich an die Brustwehr und neigte sich zur Seine hinab, die zwischen den dichten Massen der Ufer ihre dunklen Fluten wälzte; eine rote Schiffslaterne folgte ihm unten gleich einem blutigen Auge. Es galt jetzt hinanzusteigen, Paris dort oben zu erreichen. Die Allee schien ihm unendlich lang. Die Hunderte von Meilen, die er zurückgelegt hatte, waren nichts; dieses Stück Weges hingegen brachte ihn in Verzweiflung; er glaubte, jene von Lichtern gekrönte Höhe niemals zu erreichen. Die flache Allee dehnte sich dahin mit ihren zwei Reihen großer Bäume und niedriger Häuser, ihren breiten, grauen Fußwegen, auf welche die Schatten der Zweige fielen, und mit den dunkeln Höhlen der Querstraßen in ihrer ganzen Stille und Finsternis; die in regelmäßigen Zwischenräumen stehenden Gaslaternen allein brachten das Leben ihrer kurzen, gelben Flammen in diese gleichsam ausgestorbenen Straßen. Florent glaubte, daß man nicht von der Stelle komme; die Allee dehnte sich noch immer in unendlicher Länge dahin, ließ Paris in den Hintergrund der Nacht zurückweichen. Ihm war, als würden die Gaslaternen mit ihrem einzigen Auge rechts und links dahinlaufen und die Straße mitnehmen; in diesem Wirbel strauchelte er und fiel wie eine tote Masse auf das Pflaster hin.

      Auf dieser Ladung Grünzeug gelagert, die ihm weich wie ein Federbett dünkte, fuhr er jetzt ganz sachte dahin. Er hatte ein wenig das Kinn gehoben, um die leuchtende Dunstwolke zu sehen, die über den am Horizont nur undeutlich sichtbaren schwarzen Dächern immer größer wurde. Er kam endlich an; er wurde getragen und brauchte sich nur den jetzt verlangsamten Stößen des Karrens zu überlassen. Bei dieser mühelosen Annäherung vergaß er alles Leid, nur den Hunger nicht. Der Hunger war erwacht, unerträglich und grausam. Seine Glieder waren erschlafft, er fühlte nichts als seinen Magen, der sich zusammenkrampfte und gleichsam von einer rotglühenden Zange festgehalten wurde. Der frische Geruch der Gemüse, in denen er lag, dieser durchdringende Möhrengeruch betäubte ihn dermaßen, daß er schier das Bewußtsein verlor. Er drückte mit allen seinen Kräften seine Brust an dieses tiefe Lager voll Nahrung, um seinen Magen zusammenzupressen, am Knurren zu verhindern. Und die anderen neun Karren hinter ihm mit ihren Bergen von Kohl, Bohnen, Artischocken, Salaten, Sellerien, Lauchpflanzen schienen langsam über ihn hinwegzufahren und ihn, der Hungers starb, unter einem Berge von Lebensmitteln zu begraben. Jetzt hielt man still und laute Stimmen wurden vernehmbar. Man war an den Zollschranken angekommen und die Zolleinnehmer untersuchten die Karren. Dann zog Florent in Paris ein, ohnmächtig, die Zähne aufeinander gepreßt, auf einem Möhrenhaufen gelagert.

      He, Mann da oben! rief Frau François plötzlich.

      Und da der Mann sich nicht rührte, stieg sie hinauf und rüttelte ihn. Da setzte Florent sich auf. Er hatte geschlafen und verspürte den Hunger nicht mehr. Er war ganz verwirrt. Die Küchengärtnerin hieß ihn absteigen und sprach:

      Sie helfen mir abladen, wie?

      Er half ihr abladen. Ein dicker Mann mit einem Filzhut auf dem Kopfe, einem Stock in der Hand und einem Plättchen auf dem linken Umschlag seines Überrockes stand dabei; er gebärdete sich sehr ungeduldig und schlug mit dem Ende seines Stockes auf den Bürgersteig.

      Vorwärts, macht rasch! rief er. Laßt den Karren weiter vor! Wie viel Meter haben Sie? Vier, nicht wahr?

      Und er reichte der Frau François einen Schein, wofür die Küchengärtnerin einige Kupfermünzen bezahlte, die sie aus einem leinenen Sack hervorgeholt hatte. Dann ging der dicke Mann einige Schritte weiter, um dort ungeduldig zu schreien und mit seinem Stocke auf das Straßenpflaster zu stoßen. Die Krautgärtnerin hatte Balthasar am Zügel genommen und den Karren mit dem Hinterteil gegen den Fußweg aufgestellt. Nachdem das rückwärtige Brett weggenommen war und sie ihren Platz von vier Metern mittelst Strohwische ausgesteckt hatte, bat sie Florent, ihr Bund für Bund die Gemüse herabzureichen. Sie reihete sie auf dem viereckigen Raume in regelrechter Weise auf, wußte ihre Waren in zierlicher Weise auszulegen, ordnete die Blätter so, daß der ganze Haufe gleichsam mit einem grünen Bande eingesäumt war und errichtete mit merkwürdiger Raschheit ein ganzes Musterlager, das im Dunkel einem Gewebe mit gleichmäßig angeordneten Farben glich. Als Florent ihr einen riesigen Bund Petersilie, der am Boden des Karrens gelegen, hinabgereicht hatte, verlangte sie noch einen Dienst von ihm.

      Seien Sie doch so gefällig, meine Ware zu hüten, bis ich den Karren untergestellt habe. Es ist nicht weit von hier, in der Montorgueil-Straße in der Herberge zum »goldenen Kompaß«.

      Er versicherte ihr, sie könne ruhig sein. Die Bewegung hatte ihm nicht gut getan; er fühlte seinen Hunger wieder rege werden, seitdem er sich bewegte. Er setzte sich neben einen Haufen Kohl vor dem Standplatze der Frau François und hielt sich für wohl aufgehoben; er wollte sich nicht rühren und ruhig warten. Sein Schädel schien ihm ganz hohl, und er wußte sich nicht genau zu erklären, wo er sei. Zu Beginn des Monats September ist es am Morgen noch ganz dunkel. Rings um sich her sah er Reihen von Laternen, die sich im Schatten verloren. Er befand sich am Saume einer Straße, die er nicht erkannte. Sie dehnte sich weithin und verlor sich im nächtlichen Dunkel. Er sah nichts als die Waren, die er hütete. Jenseits waren längs der Straße die unbestimmten Umrisse anderer Gemüsehaufen wahrzunehmen.

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