Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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blieben sie Gesicht zu Gesicht geneigt einen Augenblick stehen. Und als die Zigarre angezündet worden, ergriff der Vater neuerdings den Arm des Sohnes und fuhr fort:

      »Du wärest nicht recht gescheidt, wenn Du nicht auf mich hören wolltest. Also abgemacht? Du bringst mir morgen die hunderttausend Francs?«

      »Du weißt doch, daß ich Dein Haus nicht mehr betrete,« erwiderte Maxime und preßte die Lippen zusammen.

      »Ach, was, Unsinn! Das muß doch einmal ein Ende nehmen!«

      Sie schritten einige Minuten schweigend dahin und während Renée, die sich einer Ohnmacht nahe fühlte, den Kopf in die Kissen des Coupe's lehnte, um nicht gesehen zu werden, entstand eine Bewegung, welche sich der ganzen Wagenlinie mittheilte. Auf den Trottoirs blieben die Fußgänger stehen, wandten sich um und betrachteten offenen Mundes etwas, was allmälig näher kam. Rascher rollten die Räder, die Equipagen fuhren ehrfurchtsvoll zur Seite und zwei grün gekleidete Vorreiter erschienen, von deren runden Mützen goldene Eicheln herunterhingen. Sie saßen etwas vornüber gebeugt auf ihren rasch trabenden Füchsen. Hinter ihnen kam der Wagen des Kaisers.

      Dieser nahm den Rückensitz seines Landauers allein ein. Er war ganz in Schwarz gekleidet, sein Leibrock bis ans Kinn zugeknöpft und sein hoher, etwas seitwärts sitzender Seidenhut glänzte im Sonnenlicht. Ihm gegenüber saßen zwei Herren in der tadellosen Eleganz, die in den Tuilerien gebräuchlich war, die Hände auf den Knieen, mit der ernsten, würdevollen Miene zweier Hochzeitsgäste, die inmitten der neugierigen Menge ihre Rundfahrt machen.

      Renée fand den Kaiser sehr gealtert. Unter dem dichten, aufgewirbelten Schnurrbart schien der Mund noch weicher geworden und die Lider schienen so schwer, daß sie das halb erloschene Auge, dessen graugelbe Pupille immer trüber ward, fast ganz verdeckte. Nur die Nase ragte noch immer scharf und entschieden aus dem verschwommenen Gesicht hervor.

      Während die in den Wagen sitzenden Damen leise lächelten, deuteten die Fußgänger mit den Fingern auf den Monarchen. Ein dicker Mann versicherte, der links mit dem Rücken zum Kutscher sitzende Herr sei der Kaiser. Einige Hände hoben sich zum Gruße. Saccard aber, der seinen Hut abgenommen hatte, bevor noch die Vorreiter passirt waren, wartete, bis sich der kaiserliche Wagen gerade ihm gegenüber befand, worauf er mit seiner derben, weithallenden Stimme rief:

      »Es lebe der Kaiser!«

      Erstaunt wandte sich der Monarch zurück und erkannte zweifellos den Enthusiasten, denn er erwiderte lächelnd den Gruß. Und damit verschwand Alles im glänzenden Sonnenschein, die Reihen der Equipagen flossen wieder zusammen und Renée erblickte über den Köpfen der Pferde, zwischen den Rücken der Lakaien nur mehr die grünen Kappen der Vorreiter, deren goldene Eicheln auf- und niederhüpften.

      Einen Moment verharrte sie mit weit geöffneten Augen, ganz erfüllt von dieser Erscheinung, die ihr eine andere Stunde ihres Lebens in Erinnerung brachte. Es schien ihr, als hätte der Kaiser, indem er sich unter die übrigen Wagen mengte, der langen Reihe den letzten nothwendigen Glanz und dem Siegesdefilé einigen Sinn verliehen. Dies war jetzt ein förmlicher Triumph. Alle diese Räder, diese dekorirten Männer, diese schmachtend hingegossenen Frauen folgten dem Glanz und den Räderspuren des kaiserlichen Wagens. Dieses Gefühl trat so scharf und schmerzlich auf, daß die junge Frau das gebieterische Bedürfniß empfand, diesem Triumph den Rücken zu wenden, diesen Ruf Saccard's, der ihr noch in den Ohren tönte, zu vergessen, diesen Anblick des Vaters und Sohnes, die Arm in Arm langsam dahinschritten, zu fliehen. Die Hände auf die Brust gedrückt, als empfände sie dort ein innerliches Brennen, dachte sie nach und mit einer plötzlich erwachenden Hoffnung, Erleichterung und Beruhigung zu finden, neigte sie sich vor und rief dem Kutscher zu:

      »Nach dem Hotel Béraud!«

      Der Hof hatte sein düsteres Klosteraussehen bewahrt. Renée schritt durch die Arkaden, ganz glücklich über die Feuchtigkeit, die sich auf ihre Schultern senkte. Sie näherte sich dem moosbedeckten Trog, dessen Ränder durch den Gebrauch abgenützt waren, betrachtete den halb verwitterten Löwenkopf mit dem halb geöffneten Rachen, aus welchem durch ein eisernes Rohr ein Wasserstrahl rann. Wie oft hatten Christine und sie die dünnen Arme um diesen Kopf geschlungen, um den dünnen Wasserstrahl aufzufangen, dessen eisiges Geriesel sie so gerne auf ihren kleinen Händen verspürten! Darauf stieg sie die große, stille Treppe empor. Sie sah ihren Vater in der Tiefe der weiten Räume; er richtete seine hohe Gestalt empor und verschwand langsam in dem Schatten dieses alten Hauses, in dieser feierlichen Einsamkeit, welche er seit dem Tode seiner Schwester nicht mehr verließ und sie dachte an die Männer, die sie im Bois gesehen, an diesen anderen Greis, den Baron Gouraud, der seinen zwischen zwei Kissen gebetteten morschen Leib von den Sonnenstrahlen erwärmen ließ. Sie stieg noch höher, über die Dienertreppe, schritt die hallenden Korridore entlang, dem Kinderzimmer zu. Oben angelangt fand sie den Schlüssel am gewohnten Nagel, einen großen, verrosteten Schlüssel, in dessen Griff sich Spinnen häuslich niedergelassen. Das Schloß gab einen klagenden Laut von sich. Wie traurig war dieses Kinderzimmer! Das Herz krampfte sich ihr zusammen, als sie dasselbe so leer, so grau, so still wiedersah. Sie verschloß die offen gebliebene Thür des Vogelkäfigs von der unbestimmten Empfindung geleitet, daß die Freuden ihrer Kindheit durch diese Thür entflattert sein mochten. Vor den noch mit verhärteter, geborstener Erde gefüllten Blumentöpfen blieb sie stehen; ihre Finger zerbröckelten unbewußt einen vertrockneten Rhododendronzweig, – dieses Skelett von einer Pflanze, verdorrt und von Staub bedeckt, war Alles, was von den blühenden Blumenkörben zurückgeblieben. Und auch die Matte, die ihre Farbe verloren und von den Ratten zernagt worden, bedeckte noch den Boden, melancholisch wie ein Leichentuch, das seit Jahren des versprochenen Leichnams harrt. In einer Ecke fand sie inmitten dieser stummen Verzweiflung, dieser grenzenlosen Verlassenheit, eine ihrer alten Puppen wieder; die ganze Kleie war durch ein Loch ausgeronnen und der Porzellankopf lächelte dessenungeachtet noch immer mit seinen Emaillippen auf diesem zusammengeschrumpften Leib, welchen Puppen-Thorheiten erschöpft zu haben schienen. Renée erstickte fast in dieser verdorbenen Atmosphäre ihrer ersten Jugend, Sie öffnete das Fenster und blickte in die endlose Landschaft hinaus. Hier war nichts beschmutzt worden; sie fand die ewigen Freuden, die ewige Jugend der freien Luft wie ehedem vor. Hinter ihr sank die Sonne allmälig tiefer und sie sah nur die Strahlen des schwindenden Gestirns mit unendlicher Zartheit diesen Theil der Stadt vergolden, welchen sie so gut kannte. Es war wie ein letzter Gesang des Tages, ein Refrain der Heiterkeit, der sich schlummernd über das ganze All herniedersenkte. Unten lag der Kohlenabladeplatz in flimmerndem Lichte, während bei der Constantine-Brücke das schwarze Spitzenwerk der eisernen Bögen und Balken sich scharf von den weißen Pfeilern abhob. Zur Linken breiteten sich die Schatten der Weinhalle und des Jardin des Plantes gleich einem regungslosen Meere aus, dessen grüne Oberfläche sich in dem beginnenden Dunkel zu versenken anschickte. Links waren der Quai Henri Quatre und der Quai de la Rapée mit denselben Häusern sichtbar, welche die beiden Schwestern schon vor zwanzig Jahren gesehen, mit denselben braunen Wagenremisen und röthlich schimmernden Schornsteinen. Und die Bäume überragend erschien ihr das schieferbedeckte, im Glanze der scheidenden Sonne bläulich schimmernde Dach der Salpêtrière mit einem Male wie ein alter Freund. Was sie aber gewissermaßen beruhigte, ihre Brust mit einiger Frische erfüllte, das waren die langgedehnten, grauen, steilen Ufer, das war in erster Linie die Seine, die Riesin, die sie vom Rande des Horizonts gerade auf sich zueilen sah, ganz wie zu jener glücklichen Zeit, da sie gefürchtet, der Fluß könnte immer größer werden und bis zu ihrem Fenster emporsteigen. Sie erinnerte sich, wie sehr Christine und sie diesen Fluß geliebt, wie sie von einem Schauer vor diesem grollenden Wasser erfaßt worden, welches sich zu ihren Füßen ausbreitete und sich hinter ihnen in zwei Arme theilte, welche sie nicht mehr sahen, deren große, reine Liebkosung sie jedoch deutlich empfanden. Sie waren schon damals kokett und sagten, die Seine habe ihr schönes Kleid aus grüner, weißgeflammter Seide angelegt, welches bei den Strömungen, wo sich das Wasser kräuselte, mit Rüchen besetzt schien, während über den Gürtel der Brücke hinaus das helle Tageslicht sonnenfarbenes Zeug über den glatten Spiegel breitete.

      Und

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