Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
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Lisa, die älteste Tochter der Macquart in Plassans, hatte noch ihren Vater. Sie sagte, er sei im Auslande, und schrieb ihm niemals. Zuweilen ließ sie die Bemerkung fallen, daß ihre Mutter zu ihren Lebzeiten eine kräftige Arbeiterin gewesen und daß sie ihr ähnlich sei. Sie erwies sich in der Tat sehr ausdauernd bei der Arbeit. Aber sie sagte, die arme Frau habe sich zu Tode gearbeitet, um die Hauswirtschaft aufrecht zu erhalten. Sie sprach dann von den Pflichten der Hausfrau und von den Pflichten des Gatten in einer sehr klugen, sehr anständigen Weise, die Quenu entzückte. Er versicherte ihr, daß er völlig ihre Ansichten teile. Die Ansichten Lisas waren aber die, daß jeder arbeiten müsse, wenn er essen wolle, daß jeder seines eigenen Glückes Schmied sei, daß man Böses tue, wenn man die Trägheit ermutige, und endlich, daß es den Faulenzern ganz recht geschehe, wenn es ihnen schlimm gehe. Dies war eine sehr deutliche Verurteilung der Säuferei und des Müßigganges des alten Macquart. Ohne daß sie es wußte, sprach Macquart ganz laut in ihr; sie war nichts als eine ordnungsliebende, vernünftige, logische Macquart mit ihren Bedürfnissen eines behaglichen Lebens, weil sie begriff, daß man am besten schlafe, wenn man sich selbst warm gebettet habe. Diesem warmen, weichen Bette galt ihre ganze Zeit und galten alle ihre Gedanken. Schon mit sechs Jahren blieb sie gern den ganzen Tag ruhig auf ihrem Stühlchen sitzen unter der Bedingung, daß sie am Abend mit einem Stück Kuchen belohnt werde.
Bei dem Wurstmacher Gradelle führte Lisa ihr ruhiges, regelmäßiges, durch ihr schönes Lächeln erhelltes Leben fort. Sie hatte das Anerbieten des guten Mannes nicht aufs Geratewohl angenommen; sie wußte sich einen Beschützer aus ihm zu machen; sie ahnte vielleicht mit dem Spürsinn der Leute, die Glück haben, in diesem dunkeln Laden der Pirouette-Straße die fest begründete Zukunft, von der sie träumte, ein Leben voll gesunder Freuden, eine Arbeit ohne Mühe, für die jede Stunde ihren Lohn darbieten solle. An ihrem Zahlpulte versah sie den Dienst mit derselben ruhigen Sorgfalt, die sie der Witwe des Posthalters gewidmet hatte. Die Sauberkeit der Schürzen Lisas wurde bald sprichwörtlich im Stadtviertel. Der Onkel Gradelle war dermaßen zufrieden mit diesem schönen Mädchen, daß er manchmal, wenn er seine Würste band, zu Quenu sagte:
Wenn ich nicht sechzig Jahre alt wäre, bei meiner Ehre, ich könnte die Torheit begehen, sie zu heiraten! ... Eine solche Frau im Geschäft ist gediegen Gold, mein Junge.
Quenu überbot ihn noch in den Lobsprüchen. Doch lachte er hellauf, als eines Tages ein Nachbar ihn damit neckte, er sei in Lisa verliebt. Die Liebe plagte ihn nicht. Sie waren sehr gute Freunde. Am Abend gingen sie zusammen hinauf, um sich zu Bette zu begeben. Neben dem dunkeln Loche, wo Quenu schlief, bewohnte Lisa ein Kämmerchen, das sie ganz hell zu machen wußte, indem sie es überall mit Mousselinevorhängen schmückte. Sie verweilten einen Augenblick mit dem Leuchter in der Hand auf dem Flur und plauderten, während sie ihre Türen aufsperrten. Dann schlossen sie die Türe mit dem Gruße:
Gute Nacht, Fräulein Lisa!
Gute Nacht, Herr Quenu!
Während Quenu zu Bett ging, hörte er Lisa in ihrem Kämmerchen herumwirtschaften. Die Bretterwand war so dünn, daß er jeder ihrer Bewegungen folgen konnte. Er dachte sich: »Schau, schau! Sie zieht ihre Fenstervorhänge zu; was mag sie nur vor ihrer Kommode machen? Jetzt setzt sie sich nieder, um ihre Stiefelchen auszuziehen. Nun hat sie ihre Kerze ausgelöscht. Gute Nacht, schlafen wir!« Und wenn er das Bett krachen hörte, murmelte er lachend: »Ja, sie ist nicht leicht, das Fräulein Lisa.« Dieser Gedanke erheiterte ihn. Er schlief endlich ein mit dem Gedanken an die Schinken und Würste, die am nächsten Tage bereitet werden sollten.
Dies währte ein Jahr, ohne daß Lisa auch nur einmal errötet, oder Quenu in Verlegenheit gekommen wäre. Am Morgen bei der Arbeit, wenn Lisa in die Küche kam, begegneten sich wohl ihre mit dem Hackfleisch beschäftigten Hände. Sie half ihm zuweilen; sie hielt mit ihren fetten Fingern die Därme, während er sie mit gehacktem Fleisch und Speck füllte. Oder sie kosteten zusammen das rohe Wurstfleisch, um zu sehen, ob es auch genügend gewürzt sei. Sie war eine gute Beraterin; sie kannte die im Süden gebräuchliche Art der Zubereitung, und er versuchte diese Art mit Erfolg. Oft merkte er, daß sie so dicht hinter ihm stehe und in die Töpfe gucke, daß er ihren starken Busen an seinem Rücken fühlte. Sie reichte ihm, wenn nötig, einen Löffel oder eine Schüssel. Das große Feuer erhitzte sie, daß sie ganz rot wurden. Er würde um nichts in der Welt in dem Umrühren des Breies innegehalten haben, der sich am Feuer verdickte, während sie sehr ernst von dem Grade sprach, bis zu welchem das Kochen fortgesetzt werden müsse. Wenn nachmittags der Laden leer war, plauderten sie ruhig stundenlang. Sie saß ein wenig zurückgelehnt vor ihrem Zahlpulte und strickte mit regelmäßigen Bewegungen ihrer Hände. Er saß auf einem Block und schlug mit den Stiefelabsätzen an das Holz. Sie verständigten sich vortrefflich; sie sprachen von allem, zumeist von der Küche, dann vom Oheim Gradelle und von den Leuten des Stadtviertels. Sie erzählte ihm Geschichten wie einem Kinde; sie wußte sehr hübsche, Wundermärchen voll Lämmerchen und kleiner Engel, die sie mit flötender Stimme und mit ihrer ernsten Miene vortrug. Wenn ein Kunde kam, bat sie den jungen Mann, um sich nicht selber bemühen zu müssen, der Käuferin das Töpfchen Schweineschmalz oder die Büchse Schnecken zu reichen. Um elf Uhr gingen sie dann hinauf schlafen ganz so wie am vorhergegangenen Abend; während sie ihre Türe schlossen, grüßten sie mit ihrer ruhigen Stimme:
Gute Nacht, Fräulein Lisa!
Gute Nacht, Herr Quenu!
Eines Morgens ward der Onkel Gradelle, während er mit der Zubereitung einer Sülze beschäftigt war, vom Schlage gerührt. Er fiel mit der Nase auf den Tisch und war tot. Lisa verlor ihre Kaltblütigkeit nicht. Sie sagte, man dürfe den Toten nicht in der Küche lassen, und ließ ihn nach der Hinterstube schaffen, wo der Onkel zu schlafen pflegte. Dann vereinbarte sie mit dem Gehilfen eine ganze Geschichte; es mußte heißen, der Onkel sei in seinem Bette gestorben, wenn man nicht wolle, daß die Kundschaft einen Ekel bekomme und ausbleibe. Quenu half den Toten hineintragen und war ganz erstaunt darüber, daß ihm um den toten Oheim keine Träne kam. Später weinten er und Lisa zusammen. Er war nebst seinem Bruder Florent der einzige Erbe. Die Klatschbasen der benachbarten Straßen behaupteten, der