Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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er, Florent mit dem Bett und der Photographie allein lassend ... August war ein bleicher Quenu, Augustine eine unreife Lisa.

      Florent, mit den Metzgerburschen befreundet, von seinem Bruder verhätschelt, von Lisa gut aufgenommen, langweilte sich am Ende furchtbar. Er hatte Unterrichtsstunden gesucht, aber keine gefunden. Er vermied es übrigens, in das Schulenviertel zu gehen, wo er erkannt zu werden fürchtete. Lisa bemerkte ihm ruhig, er tue gut, sich an die Handlungshäuser zu wenden, er könne die Bücher und die Korrespondenz führen. Sie kam immer wieder auf diesen Gedanken zurück und machte sich schließlich erbötig, einen Platz zu finden. Es verdroß sie allmählich, ihn immer wieder müßig und unbeholfen auf ihrem Wege zu finden. Anfänglich war es nur der begründete Haß gegen Leute, die die Hände in den Schoß legen und essen; sie dachte noch nicht daran, ihm vorzuwerfen, daß er bei ihr esse. Sie sagte ihm:

      Ich könnte nicht so den Tag verträumen. Sie können am Abend keinen rechten Hunger haben ... Man muß etwas tun, sich abmühen ...

      Auch Gavard suchte einen Platz für Florent; aber er suchte in einer ganz absonderlichen, durchaus geheimen Weise. Er suchte ein Amt von dramatischer Bedeutung, oder ein Amt, in dem ein »bitterer Hohn« lag, wie es sich für einen »Geächteten« paßt. Gavard war ein Oppositionsmann. Er hatte die Fünfzig überschritten und rühmte sich, schon vier Regierungen seine Meinung gesagt zu haben. Karl X., die Priester, die Adeligen, dieses ganze Gesindel, das er an die Luft gesetzt, tat er mit einem Achselzucken ab. Ludwig Philipp mit seinen Spießern war ein Tölpel, und er erzählte die Geschichte von den wollenen Strümpfen, in denen der Bürgerkönig seine Taler versteckt hielt. Die Republik vom Jahre 1848 war eine Komödie; die Arbeiter hatten sie betrogen; aber er gestand nicht mehr, daß er dem 2. Dezember Beifall geklatscht, denn er betrachtete jetzt Napoleon III. als seinen persönlichen Feind, als einen Hundsfott, der sich mit Morny und den anderen einschließt, um zu schmausen. Mit diesem Kapitel konnte er gar nie fertig werden; er dämpfte ein wenig die Stimme und versicherte, daß jeden Abend geschlossene Wagen Frauen nach den Tuilerien bringen und daß er – er, der da mit dir spricht – eines Nachts vom Karussellplatz den Lärm der Gelage gehört habe. Gavards Glaubensbekenntnis lautete: der Regierung so unangenehm wie möglich zu werden. Er spielte ihr grausame Streiche, über die er Monatelang im geheimen lachte. Vor allem stimmte er für den Abgeordneten, der im gesetzgebenden Körper den Ministern das Leben sauer machen sollte. Wenn er den Fiskus bestehlen, die Polizei irreführen, irgendeinen Krawall hervorrufen konnte, trachtete er das »Abenteuer« so aufrührerisch wie möglich zu machen. Er log übrigens, spielte sich auf den gefährlichen Mann auf und redete so, als ob »dieser Troß in den Tuilerien« ihn gekannt und vor ihm gezittert habe; er sagte, die Hälfte dieser Halunken müsse geköpft, die andere Hälfte »mit dem nächsten Schinderkarren« verbrannt werden. So war seine ganze geschwätzige und heftige Politik voll Großsprechereien, fabelhaften Geschichten in dem Bedürfnis nach Lärm und Spaß, das den Pariser kleinen Geschäftsmann dazu treibt, bei Straßenkämpfen den Fensterflügel zu öffnen, um die Toten zu sehen. Als Florent von Cayenne zurückkam, witterte unser Gavard einen Hauptspaß und sann darüber nach, wie er in einer ganz besonders findigen Weise sich über den Kaiser, das Ministerium und die Beamten, bis hinab zum letzten Polizisten, lustig machen könnte.

      Das Betragen Gavards Florent gegenüber war das eines Mannes, der verbotene Freuden genießt. Er betrachtete ihn mit geheimnisvoll zwinkernden Augen, sprach im Flüstertone, um ihm die einfachsten Dinge von der Welt zu sagen und legte in seine Händedrücke eine freimauererische Heimlichkeit. Endlich hatte er ein Abenteuer gefunden, endlich hatte er einen wirklich bloßgestellten Kameraden und konnte, ohne allzustark zu lügen, von den Gefahren reden, die er lief. Er fühlte ohne Zweifel eine uneingestandene Furcht angesichts dieses Menschen, der aus dem Sklavenhause zurückkam und dessen Magerkeit seine langen Leiden kündete; aber diese köstliche Furcht hob ihn in den eigenen Augen und brachte ihm die Überzeugung bei, daß er etwas sehr Erstaunliches tue, wenn er diesen sehr gefährlichen Menschen als Freund aufnehme. Florent ward ihm heilig; er schwor nur mehr bei Florent und er nannte Florent, wenn ihm die Gründe ausgingen und er die Regierung ein für allemal vernichten wollte.

      Gavard hatte in der Jakobstraße einige Monate nach dem Staatsstreiche seine Frau verloren. Er behielt die Ausbraterei bis zum Jahre 1856. Zu jener Zeit erzählte man sich, er habe ansehnliche Summen gewonnen, indem er in Gemeinschaft mit einem Gewürzkrämer trockene Gemüse für die Orientarmee lieferte. Die Wahrheit war, daß er die Ausbraterei verkauft und ein Jahr lang von seinen Renten gelebt hatte. Aber er sprach nicht gern von dem Ursprung seines Vermögens; dies hinderte ihn, rundheraus seine Meinung über den Krimkrieg zu sagen, den er »ein abenteuerliches Unternehmen« nannte, »nur in Szene gesetzt, um den Thron zu festigen und gewissen Leuten die Taschen zu füllen«. Nach Verlauf eines Jahres langweilte er sich tödlich in seiner Junggesellenwohnung. Da er dem Ehepaar Quenu-Gradelle fast täglich seinen Besuch machte, zog er näher zu ihnen in die Cossonnerie-Straße. Da verlockten ihn die Markthallen mit ihrem Lärm und ihrem riesigen Getratsche. Er entschloß sich, einen Verkaufsplatz in der Geflügelabteilung zu mieten, bloß um sich zu zerstreuen, um seine müßigen Tage mit dem Marktgetriebe auszufüllen. Nun lebte er in endlosem Klatsch auf dem laufenden über die geringsten Skandale des Stadtviertels, ihm summte der Kopf von dem ewigen Stimmengewirre, das ihn umgab. Er genoß da vergnügt tausend selige Freuden, denn er hatte sein Element gefunden und versenkte sich darin mit der Wollust eines Karpfens, der im Sonnenschein dahin schwimmt. Florent erschien manchmal in seinem Stande, um ihm guten Tag zu sagen. Die Nachmittage waren noch sehr warm. Die Weiber saßen in den schmalen Gängen und rupften Geflügel. Zwischen den zurückgeschlagenen Zeltdächern fielen einzelne Sonnenstrahlen hernieder; die Federn flogen unter den rupfenden Fingern gleich einem flatternden Schnee in der heißen Luft, in dem Goldstaub der Sonnenstrahlen. Zurufe, ein ganzer Zug von Angeboten und Schmeichelworten folgten Florent auf seinem Wege. »Eine schöne Ente, mein Herr ... Kommen Sie hierher ... Ich habe schöne, fette Hühner ... Mein Herr, kaufen Sie dieses Paar Tauben ...« Belästigt, betäubt trachtete er loszukommen. Die Weiber fuhren fort zu pflücken und zu streiten; ein Flaumenregen ging auf ihn nieder und erstickte ihn schier gleich einem Rauch, gleichsam erhitzt und verdichtet durch den starken Geruch des Geflügels. Endlich fand er in der Mitte des Ganges nahe bei den Brunnen Gavard in Hemdärmeln, die Arme über den Brustlatz seiner blauen Schürze gekreuzt, vor seinem Stande in eifrigem Reden begriffen. Hier herrschte Gavard mit der Miene eines gütigen Herrn inmitten einer Gruppe von zehn oder zwölf Weibern. Er war der einzige Mann auf dem Markte. Er war ein solcher Schwätzer, daß er, nachdem er mit vier oder fünf Mädchen, die er nacheinander zur Führung seines Standes genommen, sich überworfen hatte, sich entschloß, seine Ware selber zu verkaufen, indem er einfach erklärte, daß diese dummen Gänse den ganzen langen, lieben Tag verträtschen und daß er mit ihnen nicht auskommen könne. Da aber jemand seinen Standplatz hüten mußte, wenn er sich entfernte, hatte er Marjolin zu sich genommen, der sich auf dem Straßenpflaster herumtrieb, nachdem er mit allerlei kleinen Verrichtungen in den Hallen sein Glück versucht hatte. Florent blieb oft eine Stunde bei Gavard, erstaunt über sein unerschöpfliches Klatschen und über sein Behagen inmitten all dieser Weiber, der einen das Wort abschneidend, mit der anderen in einer Entfernung von zehn Ständen sich zankend, einer dritten einen Käufer wegnehmend, für sich allein mehr Lärm machend, als die hundert und etlichen Nachbarinnen, deren Geschrei die gußeisernen Platten erzittern ließ, daß sie tönten wie ein Tamtam.

      Die Familie des Geflügelhändlers bestand aus einer Schwägerin und einer Nichte. Als seine Frau starb, ward sie von der älteren Schwester derselben, der seit einem Jahre verwitweten Frau Lecoeur, in einer geradezu übertriebenen Weise beweint; fast jeden Abend erschien sie, um dem unglücklichen Gatten Worte des Trostes zu spenden. Sie mochte damals die Hoffnung nähren, ihm zu gefallen und den noch warmen Platz der Verstorbenen einzunehmen. Allein Gavard verabscheute die mageren Weiber; er sagte, es verursache ihm Schmerz, die Knochen unter der Haut zu fühlen; mit Katzen und Hunden spielte er nur, wenn sie sehr fett waren; er fand ein ganz besonderes Vergnügen an den runden, wohlgenährten Hälsen. Frau Lecoeur war dadurch verletzt, wütend darüber, daß die Hundertsousstücke des Ausbraters ihr entgingen, faßte sie tödliche Rachsucht gegen ihn. Ihr Schwager war der Feind, mit dem sie ihre ganze Zeit ausfüllte. Als sie sah, daß er in den Hallen sich niederließ,

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