Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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ich deine Tochter umarme, so glaube ich, dich an mein Herz zu drücken. Wir haben es ja hundert Mal gesagt, wenn wir unsere kleinen Püppchen um uns spielen sehen, so machen unsere verbundenen Herzen keinen Unterschied, und wir wissen nicht mehr, welcher von uns jedes von den dreien gehört.

      Aber es ist noch nicht Alles: Ich habt sehr triftige Gründe, dich unaufhörlich bei mir zu wünschen, und deine Abwesenheit ist in mehr als einer Hinsicht hart für mich. Bedenke nur, wie sehr ich jeder Verstellung feind bin, und daß ich nun seit fast sechs Jahren in einer beständigen Zurückhaltung dem Manne gegenüber leben muß, der mir von allen Menschen der theuerste ist. Dies verhaßte Geheimhalten drückt mich je länger, desto mehr, und scheint mir doch mit jedem Tage unerläßlicher. Je mehr die Ehrlichkeit fordert, daß ich mich ihm offenbare, desto mehr verhindert mich die Klugheit, es zu thun. Begreifst du, welch ein schrecklicher Zustand es für eine Frau ist, wenn sich Mißtrauen, Lüge und Furcht bis in die Umarmungen ihres Gatten drängen, wenn sie nicht wagt, ihr Herz Dem zu öffnen, der es besitzt, und vor ihm die Hälfte ihres Lebens verbirgt, um die Ruhe der andern Hälfte sicher zu stellen? Und vor wem, o mein Gott, muß ich meine geheimsten Gedanken verstecken, und das Innere einer Seele verschließen, mit der er so viel Ursache hatte zufrieden zu sein? Vor Herrn von Wolmar, vor meinem Manne, dem würdigsten Gatten, mit dem nur der Himmel die Tugend eines züchtigen Mädchens hätte belohnen können. Weil ich ihn einmal betrogen habe, muß ich ihn alle Tage betrügen, und mich ohne Unterlaß der Güte unwerth fühlen, mit der er mir begegnet. Kein Zeichen seiner Achtung wagt mein Herz sich anzueignen; seine zärtlichsten Liebkosungen machen mich schamroth, und alle Beweise von Achtung und Vertrauen, die er mir giebt, verwandelt mein Genüssen in Vorwürfe und Aeußerungen der Geringschätzung. Es ist recht hart, wenn man sich unablässig sagen muß: Die, welche er ehrt, ist eine Andere als ich; ach, wenn er mich kennte, würde er mir nicht so begegnen. Nein, ich kann diesen schrecklichen Zustand nicht ertragen; ich bin nie allein mit diesem achtungswürdigen Manne, ohne daß es mich drängt, mich vor ihm auf die Knie zu werfen, ihm meinen Fehltritt zu bekennen, und zu seinen Füßen vor Schmerz und Scham zu sterben.

      Jedoch die Gründe, welche mich von Anfang an zurückgehalten haben, gewinnen jeden Tag an Kraft, und Alles, was mich bestimmen sollte zu reden, ist ebenso sehr ein Grund zu schweigen. Wenn ich die friedliche Stille unseres Familienlebens ansehe, denke ich nur mit Entsetzen daran, daß ein einziges Wort es unwiederbringlich zerrütten kann. Soll ich, nachdem sechs Jahre in so vollkommener Eintracht verflossen sind, die Ruhe eines so guten und verständigen Mannes stören, der keinen andern Willen hat, als den seiner glücklichen Gattin, und keine andere Freude, als Ordnung und Frieden in seinem Hause herrschen zu sehen? Soll ich durch häuslichen Verdruß die alten Tage eines Vaters trüben, den ich so zufrieden und so entzückt über das Glück seiner Tochter und seines Freundes sehe? Soll ich diese lieben Kinder, diese guten und so viel versprechenden Kinder der Gefahr aussetzen, eine vernachlässigte, oder ärgerliche Erziehung zu erhalten, die traurigen Opfer der Zwietracht ihrer Eltern zu werden, zwischen einen von gerechtem Unwillen entflammten, von Eifersucht getriebenen Vater und eine unglückliche und strafbare, stets in Thränen gebadete Mutter gestellt? Ich kenne Herrn von Wolmar als den Mann, der seine Frau achtet: weiß ich, wie er sein wird, wenn er sie nicht mehr achten kann? Vielleicht ist er dieser gemäßigte Mann nur, weil die Leidenschaft, die in seinem Charakter die herrschende sein würde, noch nicht Gelegenheit gefunden hat, sich zu entwickeln. Vielleicht wird er in der Hitze des Zornes ebenso heftig sein, als er jetzt, da es ihm an Ursache zum Zorne fehlt, sanft und ruhig ist.

      Wenn ich meiner ganzen Umgebung so viele Rücksichten schuldig bin, bin ich nicht auch einige mir selbst schuldig? Machen sechs Jahre sittsamen und regelmäßigen Lebens nicht etwas von den Verirrungen der Jugend gut? Und ist es noch nöthig, mich der Strafe eines Fehltritts preiszugeben, den ich seit so langer Zeit beweine? Ich will es dir gestehen, Cousine, nicht ohne Widerstreben richte ich meinen Blick auf die Vergangenheit; sie demüthigt mich, ja, sie drückt mich ganz darnieder; Schande ist mir zu empfindlich, um nur daran denken zu können, ohne wieder in eine Art Verzweiflung zu fallen. Die Zeit, welche seit meiner Verheirathung verflossen ist, muß ich in's Auge fassen, wenn ich ruhig sein will. Mein gegenwärtiger Zustand giebt mir ein Selbstvertrauen, das die zudringlichen Erinnerungen mir rauben wollen. Ich erfrische gern mein Herz mit dem Gefühle einer ehrenhaften Stellung, die ich wieder gewonnen zu haben glaube. Der Stand der Gattin und Mutter hebt mir die Seele, und hält mich aufrecht gegen die Gewissensbisse, die aus einer früheren Lage herrühren. Wenn ich mich von meinen Kindern und ihrem Vater umgeben sehe, scheint Alles um mich her Tugend zu athmen; sie verbannen aus meinem Geiste jeden Gedanken an meine alten Fehltritte. Ihre Unschuld ist der Schutz der meinigen, sie werden mir nur immer theuerer, indem sie mich besser machen; und ich habe einen solchen Abscheu vor Allem, was der Ehrbarkeit zuwider ist, daß ich mich kaum für dieselbe Person halten kann, die einst fähig war, sie aus den Augen zu setzen. Ich fühle mich so entfernt von meiner früheren Gemüthsverfassung, und der gegenwärtigen so sicher, daß ich das, was ich zu sagen hätte, fast wie ein Geständniß ansehe, das nicht mich angeht, und das ich nicht zu machen nöthig hätte.

      So schwanke ich unaufhörlich in Unruhe und Angst hin und her, wenn du nicht da bist. Weißt du, was einmal daraus entstehen wird? Mein Vater wird bald nach Bern reisen, und ist entschlossen, nicht eher zurückzukommen, als bis dieser langwierige Proceß beendigt sein wird, den er uns nicht hinterlassen will, daß auch wir uns noch damit quälen, und wohl auch, weil er uns nicht zutraut, daß wir ihn mit rechtem Eifer fortführen würden. Die ganze Zeit bis er wiederkommt, werde ich mit meinem Manne allein sein, und da, fühle ich, wird es fast unmöglich sein, daß mir mein unseliges Geheimniß nicht entwische. Wenn Jemand da ist, weißt du wohl, verläßt Herr von Wolmar oft die Gesellschaft und streift gern in der Gegend umher; er Plaudert mit den Bauern, erkundigt sich nach ihren Verhältnissen, sieht, wie es mit ihrer Wirthschaft steht, hilft ihnen nöthigenfalls mit Geld und gutem Rathe aus. Aber wenn wir allein sind, geht er nur mit mir spazieren; er verläßt dann Frau und Kinder wenig, und giebt sich ihren kleinen Spielen mit so liebenswürdiger Unbefangenheit hin, daß ich in solchen Fällen mich noch zärtlicher für ihn gestimmt finde, als gewöhnlich. Diese gemächlichen Augenblicke sind für die Zurückhaltung um so gefährlicher, als er mich selbst anregt, von ihr zu lassen, und tausend Mal Aeußerungen gethan hat, die mich zu offenem Aussprechen aufzufordern schienen. Früher oder später werde ich ihm mein Herz öffnen müssen, das fühle ich; aber da du willst, daß wir uns zuvor darüber besprechen, und daß es mit aller Vorsicht geschehe, zu welcher die Klugheit räth, so komm nur, und bleibe nicht wieder so lange weg, oder ich stehe für nichts.

      Meine süße Freundin, ich muß zu dem Letzten übergehen, und was ich noch zu sagen habe, ist wichtig genug, um mir am schwersten zu fallen. Du bist mir nicht nur nothwendig, wenn ich mit meinen Kindern oder mit meinem Manne allein bin, sondern vorzüglich, wenn ich allein bin mit deiner armen Julie. Die Einsamkeit ist mir gerade deshalb gefährlich, weil sie mir süß ist, und ich sie oft unwillkürlich suche. Nicht, daß mein Herz noch seine alten Wunden fühlte, nein. Du weißt, es ist geheilt, ich fühle es, ich weiß es ganz gewiß: ich wage es, mich für tugendhaft zu halten. Nicht die Gegenwart ist, was ich fürchte; was mich quält, ist die Vergangenheit. Es giebt Erinnerungen, die so furchtbar sind, wie Etwas das man wirklich fühlt; man wird wehmüthig in der Rückerinnerung, man schämt sich, Thränen in den Augen zu fühlen, und man weint nur desto mehr. Diese Thränen, es sind Thränen des Mitleids, der Klage, der Reue; die Liebe hat keinen Theil daran, sie ist für mich nichts mehr; aber ich weine über das Wehe, das sie gestiftet, ich weine über das Schicksal eines achtungswerthen Mannes, dem eine unvorsichtig genährte Flamme die Ruhe, vielleicht das Leben geraubt hat. Ach! gewiß ist er umgekommen auf dieser langen gefahrvollen Reise, die er aus Verzweiflung unternahm. Wenn er noch am Leben wäre, vom Ende der Welt würde er uns Nachricht von sich gegeben haben; es sind fast vier Jahre seit seiner Abreise verflossen. Das Geschwader, mit welchem erging, hat, wie man hört, tausend Unfälle erlitten, drei Viertel seiner Mannschaft eingebüßt; mehrere Schiffe sollen gänzlich untergegangen sein, und von den übrigen weiß man jetzt auch nichts mehr. Er ist todt, er ist todt; eine geheime Ahnung sagt es mir. Der Unglückliche wird eben so wenig als so viele Andere dem Schicksale entronnen sein. Das Meer, Krankheiten, die noch grausamere Trübsal wird seine Tage abgekürzt haben. So geht hienieden Alles hin, was einen

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