Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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aber der habgierige Europäer, seinem wilden, menschenfeindlichen Sinne folgend, erlaubt dem friedlichen Indianer nicht, sie zu bewohnen, und läßt sich Gerechtigkeit widerfahren, indem er sie selbst nicht bewohnt.

      Ich sah an den Küsten von Mexiko und Peru dasselbe Schauspiel wie in Brasilien: ich sah die selten gewordenen unglücklichen Eingeborenen, traurige Ueberbleibsel von zwei mächtigen Völkern, beladen mit Ketten, Schmach und Elend, mitten unter ihren reichen Metallschätzen den Himmel weinend anklagen, daß er sie ihnen geschenkt hat. Ich sah eine ganze Stadt widerstandslos und ohne Vertheidiger schändlich niederbrennen. Das ist so Kriegsrecht unter den gebildeten, humanen und policirten Völkern Europas; man beschränkt sich nicht darauf, seinen Feinden allen Schaden zuzufügen, von welchem man selbst Profit ziehen kann, sondern man rechnet sich jeden Schaden zum Profite, den man ihnen um nichts und wieder nichts zufügt. Ich fuhr fast die ganze Westseite von Amerika entlang, nicht ohne mich von Bewunderung ergriffen zu fühlen, indem ich fünfzehnhundert Lieues Küste und das größte Meer der Welt unter der Herrschaft einer einzigen Macht sah, die, so zu sagen, die Schlüssel einer Hälfte des Erdballs in ihrer Hand hält.

      Nachdem ich das große Meer passirt hatte, fand ich auf dem andern Continente ein neues Schauspiel. Ich sah die zahlreichste und merkwürdigste Nation der Welt einer Hand voll Räuber unterworfen; ich sah dieses berühmte Volk in der Nähe, und wundere mich nicht mehr über seine Sklaverei. Eben so oft erobert, als angegriffen, war es stets die Beute des ersten Besten, und wird das bis an's Ende der Zeiten sein. Ich fand, daß es sein Loos verdient, da es nicht einmal den Muth hat, darüber zu seufzen. Schriftenkundig, feig, heuchlerisch und prahlerisch, viel Worte machend ohne Sinn, voll Spitzfindigkeit ohne Geist, reich an Zeichen und arm an Gedanken, höflich, voll Complimente, gewandt, spitzbübisch und betrügerisch, alle Pflichten in ceremoniöse Bräuche, alle Moral in Schnörkeleien setzend, und die Menschlichkeit in Grußformeln und Verbeugungen suchend. Ich landete auf einer andern wüsten und noch unbekannteren, noch reizenderen Insel, als die erste war, und wo uns der entsetzlichste Zufall beinahe auf immer eingesperrt hätte. Ich war vielleicht der Einzige, den ein so anmuthiges Exil nicht erschreckte. Bin ich denn nicht überall im Exile? Ich fand an dieser Stätte der Wonne und des Grauens genug, was menschlichen Kunstfleiß reizen könnte, um den civilisirten Menschen aus einer Einöde, in der ihm nichts fehlt, zu reißen, und ihn abermals in einen Abgrund neuer Bedürfnisse zu stürzen. Ich sah auf dem weiten Ocean, wo es Menschen hätte so entzücken sollen einander zu begegnen, zwei große Schiffe sich finden, sich anfallen, sich wüthend schlagen, als ob dieser unermeßliche Raum für jedes von ihnen zu eng gewesen wäre. Ich sah sie Eisen und Flammen gegen einander speien. In einem Kampfe, der von ziemlich kurzer Dauer war, sah ich ein Bild der Hölle; ich hörte das Freudengeschrei der Sieger, welches das Jammern der Verwundeten und das Aechzen der Sterbenden überschallte. Ich nahm erröthend meinen Antheil an einer unermeßlichen Beute; ich nahm ihn, aber in Verwahrung, und wurde er Unglücklichen abgenommen, so soll er Unglücklichen erstattet werden.

      Ich sah Europa an das äußerste Ende Afrika's verpflanzt durch die Anstrengungen jenes habsüchtigen, ausdauernden und arbeitsamen Volkes, welches mit Hülfe der Zeit und der Ausdauer Schwierigkeiten überwunden hat, welche der gesammte Heroismus aller übrigen Völker nicht bemeistert hätte. Ich sah die weiten, unglücklichen Gegenden,welche nur dazu bestimmt scheinen, die Erde mit Sklavenhorden zu bedecken. Bei ihrem scheußlichen Anblick wendete ich die Augen voll Verachtung, Grauen und Mitleid ab; ich sah den vierten Theil meiner Mitgeschöpfe in Vieh zum Dienste Anderer verwandelt, und ich grämte mich, ein Mensch zu sein.

      Endlich sah ich in meinen Reisegefährten ein stolzes, unerschrockenes Völkchen, dessen Beispiel und Freiheit die Ehre meines Geschlechtes in meinen Augen wieder herstellte. Leute, denen Schmerz und Tod Nichts ist. und die nichts auf der Welt fürchten außer Hunger und Langeweile. Ich sah in ihrem Führer einen Capitän, einen Soldaten, einen Piloten, einen Weisen, einen großen Mann, und. was vielleicht noch mehr ist, den würdigen Freund Eduard Bomston's. Aber was ich auf der ganzen Welt nicht gesehen habe, ist ein Wesen, ähnlich Claren v. Orbe und Julien v. Étange, welches ein Herz, das diese zu lieben wußte, über ihren Verlust trösten könnte.

      Ob ich genesen bin? Was soll ich sagen? Von Ihnen muß ich erfahren, ob ich es bin. Ob ich freier, ob ich vernünftiger wiederkehre, als ich gegangen bin? Ich bin kühn genug, es zu glauben, für gewiß sagen kann ich es nicht. Dasselbe Bild herrscht fort und fort in meinem Herzen; Sie wissen, ob es möglich ist, daß es daraus verschwinde. Aber seine jetzige Herrschaft ist seiner würdiger, und wenn ich mich nicht selbst täusche, so herrscht es in diesem unglücklichen Herzen, wie es in dem Ihrigen herrscht. Ja, Cousinchen, es ist mir so, als habe ihre Tugend mich bezwungen, als sei ich ihr nur der beste und zärtlichste Freund, den es je gegeben hat, als bete ich sie nicht anders an, als Sie selbst sie anbeten; oder vielmehr, es kommt mir vor, als seien meine Gefühle nicht geschwächt, wohl aber auf den rechten Weg gelenkt, und mit welcher Sorgfalt ich mich immer prüfe, finde ich sie so rein, als den Gegenstand, welcher sie mir einflößt. Was kann ich Ihnen mehr sagen bis zu der Probe, die mir allein zu einem Urtheil über mich verhelfen kann? Ich bin aufrichtig und wahr; ich will so sein, wie es meine Pflicht ist; aber wie könnte ich für mein Herz einstehen, bei so großer Ursache ihm zu mißtrauen? Habe ich die Vergangenheit in meiner Macht? Kann ich es ungeschehen machen, daß mich tausend Gluten einst verzehrten? Wie werde ich durch die bloße Kraft der Einbildung das, was ist, von dem, was war, unterscheiden, und wie nur Die als Freundin vorstellen können, die ich nie anders denn als Geliebte sah? Was Sie meiner Eile auch für einen geheimen Beweggrund unterlegen mögen, meine Absicht ist redlich und vernünftig; sie verdient Ihre Billigung. Für sie wenigstens kann ich im Voraus einstehen. Verstatten Sie, daß ich Sie sehe, und prüfen Sie mich selbst, oder lassen Sie mich Julien sehen, und ich werde wissen, wie es mit mir steht.

      Ich muß Milord Eduard nach Italien begleiten, ich werde bei Ihnen durchkommen, und ich sollte Sie nicht sehen? Glauben Sie, daß das möglich ist? O, wenn Sie die Barbarei hätten, es zu fordern, verdienten Sie, daß man Ihnen nicht gehorchte. Aber warum sollten Sie es fordern? Sind Sie nicht dieselbe Clara, so gut und mitleidig als klug und tugendhaft, die mich von zartester Jugend ihrer Liebe würdigte, und die mich jetzt ja noch weit mehr lieben muß, da ich ihr Alles verdanke [Was verdankt er ihr denn so Großes, ihr, die ihn unglücklich gemacht hat? Unseliger Frager! Er verdankt ihr die Ehre, die Tugend, die Ruhe der Geliebten; er verdankt ihr Alles.]? Nein, nein, liebe, reizende Freundin, eine so grausame Abweisung wäre weder in Ihrer Art, noch für mich gemacht; sie wird nicht mein Elend auf den Gipfel treiben. Noch einmal, noch einmal in meinem Leben werde ich mein Herz Ihnen zu Füßen legen. Ich werde Sie sehen, Sie werden es erlauben. Ich werde sie sehen, sie wird es erlauben. Sie wissen Beide zu gut, wie ich sie achte. Sie wissen, ob ich der Mann dazu bin, mich ihr vor die Augen zu stellen. wenn ich mich unwürdig fühle, vor ihr zu erscheinen. Sie hat so lange das Werk ihrer Reize beseufzt, ach! sehe sie nun einmal das Werk ihrer Tugend!

      N. S. Milord Eduard sieht sich noch einige Zeit durch seine Geschäfte hier zurückgehalten: wenn ich Erlaubniß erhalte, Sie zu sehen, was sollte ich nicht vorausreisen, um eher bei Ihnen zu sein?

      Vierter Brief.

       Herr v. Wolmar an Juliens Liebsten.

       Inhaltsverzeichnis

      Obwohl wir uns noch nicht kennen, bin ich beauftragt, Ihnen zu schreiben. Die verständigste und geliebteste der Frauen hat ihr Herz ihrem glücklichen Gatten aufgeschlossen. Er hält Sie für werth, von ihr geliebt worden zu sein und bietet Ihnen sein Haus an. Unschuld und Friede herrschen darin; Sie werden dort Freundschaft, Gastlichkeit, Vertrauen finden. Befragen Sie Ihr Herz, und wenn nichts Darin ist, was Ihnen bange macht, so kommen Sie ohne Furcht. Sie werden nicht von hier scheiden, ohne einen Freund zurückzulassen.

      Wolmar.

      N. S. Kommen Sie, mein Freund, wir erwarten Sie mit Ungeduld. Ich werde nicht den Schmerz haben, daß Sie es uns

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