Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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wahrem Kummer aber erfuhr ich, daß Frau v. Orbe in Lausanne wäre. Ich ging in ein Wirthshaus, um wieder Kräfte zu sammeln; es war mir unmöglich, einen einzigen Bissen herunter zu bringen, das Getränk erstickte mich, und ich mußte mehrmals ansetzen, um ein Glas zu leeren. Mein Angstgefühl verdoppelte sich, als ich die Pferde wieder vorlegen sah. Ich glaube, ich würde Alles in der Welt darum gegeben haben, wenn ein Rad unterwegs gebrochen wäre. Ich sah nicht mehr Julie; meine verstörte Einbildungskraft zeigte mir nur verworrene Gegenstände; meine Seele war ganz und gar in Aufruhr. Ich kannte Schmerz und Verzweiflung; diesem schauderhaften Zustande würde ich sie vorgezogen haben. Genug, ich kann sagen, daß ich nie in meinem Leben in einer schrecklicheren Aufregung gewesen bin, als auf diesem kurzen Wege, und ich bin überzeugt, daß ich sie einen ganzen Tag lang nicht würde ausgehalten haben.

      Als ich anlangte, ließ ich am Gitter halten, und da ich mich außer Stande fühlte, einen Schritt zu thun, schickte ich den Postillon hinein, um zu sagen, daß ein Fremder Herrn v. Wolmar zu sprechen wünsche. Er war auf dem Spaziergange mit seiner Frau. Die Meldung wurde ihnen gemacht, und sie kamen von einer andern Seite, während ich, die Augen auf die Allee geheftet, wartete und in Todesangst war, Jemanden kommen zu sehen.

      Julie erblickte mich kaum, als sie mich erkannte. Mich sehen, aufschreien, laufen, sich in meine Arme werfen, war die Sache eines Augenblicks. Bei dem Tone ihrer Stimme bebe ich zusammen; ich wende mich um, ich sehe sie, ich fühle sie. O Milord, o mein Freund .... ich kann nicht reden fort Zittern, fort Angst, Bangigkeit, Menschenfurcht. Ihr Blick, ihr Schrei, ihre Geberde geben mir in einem Augenblick Vertrauen, Muth und Kräfte wieder. In ihren Armen gewinne ich Wärme und Leben, und bebe vor Freude, sie mit den meinigen umschließend. Ein heiliger Schauer hält uns lange in schweigender, enger Umarmung, und erst nach dieser süßen Regung fangen unsere Stimmen an, sich zu verschmelzen, und unsere Augen ihre Thränen zu vermischen. Herr v. Wolmar war da; ich wußte es, ich sah es. Aber was hätte ich zu sehen vermocht? Nein, wenn die ganze Welt sich gegen mich vereinigt hätte, wenn Marterwerkzeuge mich umdroht hätten, ich hätte mein Herz nicht der kleinsten dieser Liebkosungen entwunden, den zärtlichen Erstlingsfrüchten einer reinen heiligen Freundschaft, die wir mit in den Himmel nehmen werden.

      Als der erste Ungestüm nachließ, nahm mich Frau v. Wolmar bei der Hand, und sich zu ihrem Manne wendend, sagte sie zu ihm mit einer Unschuld und lauteren Anmuth, wovon ich mich durchdrungen fühlte: Obgleich er mein alter Freund ist, stelle nicht ich ihn Ihnen vor, ich empfange ihn von Ihnen, und nur wenn ihn Ihre Freundschaft beehrt, wird er in Zukunft die meinige besitzen. — Wenn neuen Freunden die Wärme alter fehlt, sagte er, mich umarmend, so werden doch auch sie einmal alte werden und jenen nichts nachgeben. Ich ließ mich umarmen, aber ich ließ es nur, mein Herz war erschöpft.

      Nach diesem kurzen Auftritt bemerkte ich, von der Seite schielend, daß man meinen Koffer abgeschnallt hatte, und meine Chaise in die Remise schob. Julie nahm mich unter den Arm, und ich ging mit ihnen dem Hause zu, fast erdrückt von Freude, als ich sah, daß man Besitz von mir nahm.

      Nun erst, da ich mit mehr Ruhe dieses angebetete Gesicht betrachtete, welches ich entstellt zu finden geglaubt hatte, sah ich mit einer bitter und süß gemischten Ueberraschung, daß es wirklich schöner und strahlender war denn je. Ihre reizenden Züge haben sich noch vollkommner ausgebildet; sie hat etwas mehr Fülle, wodurch ihre blendende Weiße gewonnen hat. Die Pocken haben auf ihren Wangen nur einige leichte, fast unmerkliche Spuren hinterlassen. Statt jener schmachtenden Verschämtheit, in welcher sie sonst unaufhörlich die Augen niederschlug, sieht man das Selbstgefühl der Tugend sich in ihrem züchtigen Blick mit Sanftmuth und Empfindung galten; ihre Haltung, ohne weniger sittsam zu sein, ist weniger schüchtern; ein sicheres Wesen und eine freie Anmuth sind an die Stelle jener mehr befangenen, aus Zärtlichkeit und Scham gemischten Manieren getreten, und wenn sie in dem Gefühl ihres Fehltrittes damals etwas Rührenderes hatte, so giebt ihr das Gefühl ihrer Reinheit jetzt etwas Himmlischeres.

      Kaum waren wir in dem Salon, als sie verschwand und einen Augenblick darauf wieder erschien. Sie kam nicht allein. Was meinen Sie, daß sie mitbrachte? Milord, ihre Kinder! Ihre beiden Kinder, schön wie der Tag und schon auf ihren kindlichen Gesichtern die Anmuth und den Liebreiz ihrer Mutter tragend. Wie ward mir bei diesem Anblick! Das läßt sich nicht sagen, nicht fassen: man muß es fühlen. Tausend streitende Gefühle standen zugleich in mir auf: tausend schmerzliche und selige Erinnerungen theilten sich in mein Herz. O Anblick, o Trauer, ich fühlte mich zerrissen von Schmerz und entzückt von Freude. Ich sah Die, welche mir so theuer war, gleichsam vervielfältigt. Ach! ich sah in demselben Augenblicke den zu lebendigen Beweis, daß sie mir nichts mehr war, und meine Verluste schienen sich mit ihr zu vervielfältigen.

      Sie führte sie mir zu. Da, sagte sie zu mir, mit einem Tone, der mir durch die Seele drang, das sind die Kinder Ihrer Freundin; sie werden einst Ihre Freunde sein: seien Sie von heute an der ihrige. Sogleich drängten sich die beiden kleinen Geschöpfe an mich, faßten mich bei den Händen, und wandelten durch ihre unschuldigen Liebkosungen alle meine Gefühle in Rührung. Ich nahm sie beide in meine Arme und, sie an mein bewegtes Herz pressend, sagte ich mit einem Seufzer: Theure, liebenswürdige Kinder, ihr habt eine große Aufgabe zu erfüllen. Möchtet ihr denen ähnlich werden, von denen ihr das Leben habt! Möchtet ihr ihre Tugenden nachahmen, und eines Tages durch die eurigen der Trost ihrer unglücklichen Freunde werden! Entzückt fiel mir Frau von Wolmar zum zweiten Male um den Hals, und schien mir die Liebe, mit der ich ihre beiden Söhne herzte, mit ihren Liebkosungen vergelten zu wollen. Aber welcher Unterschied zwischen der ersten Umarmung und dieser! Ich empfand es mit Erstaunen. Es war eine Mutter, die ich umarmte; ich sah sie umringt von ihrem Gatten und ihren Kindern; diese Umgebung flößte mir Ehrfurcht ein. Ich fand auf ihrem Gesichte einen Ausdruck von Würde, der mir bis dahin noch nicht aufgefallen war; ich fühlte mich gedrungen, ihr eine neue Art Achtung entgegenzubringen; ihre Traulichkeit war mir fast eine Last; so schön sie mir schien, würde ich mit freudigerem Herzen den Saum ihres Kleides, als ihre Wange geküßt haben: kurz, von Augenblick an erkannte ich, daß sie oder ich verändert sein mußte, und ich begann, mir in allem Ernste Gutes von mir vorherzusagen.

      Herr von Wolmar nahm mich darauf bei der Hand, und führte mich in die für mich bestimmte Wohnung. Dies ist Ihr Zimmer, sagte er, als wir eintraten: Es ist kein Fremdenzimmer, es wird keinen Änderen mehr beherbergen, und künftig leer stehen, wenn Sie es nicht inne haben. Sie können denken, ob mir dieses Compliment angenehm war; aber ich verdiente es noch nicht genug, um es ohne Verwirrung anzuhören. Herr von Wolmar ersparte mir die Verlegenheit einer Antwort. Er lud mich ein, einen Gang durch den Garten mit ihm zu machen. Dort wußte er es so anzustellen, daß mir bald leichter wurde: er sprach in dem Tone eines Mannes, der von meinen alten Verirrungen unterrichtet, aber voll Vertrauen auf meine Rechtschaffenheit ist, sprach wie ein Vater zu seinem Kinde, und machte es mir durch die Hochschätzung selbst, die er mir bezeigte, unmöglich, sie zu Schanden zu machen. Nein, Milord, er hat sich nicht getäuscht; ich werde nicht vergessen, daß ich die seinige und die Ihrige zu rechtfertigen habe. Warum auch muß sich mein Herz bei seinen Wohlthaten zusammenziehen? Warum muß ein Mann, den ich zu lieben gezwungen bin, Juliens Mann sein?

      Dieser Tag schien ausersehen, mich jeder möglichen Prüfung zu unterwerfen. Als wir wieder zu Frau von Wolmar gekommen waren, wurde ihr Mann abgerufen, und ich blieb mit ihr allein.

      Ich befand mich nun in einer neuen Verlegenheit; es war die peinlichste und unvorhergesehenste von allen. Was ihr sagen? Womit anfangen? Sollte ich es wagen, sie an unsere alte Verbindung zu erinnern, an die Zeiten, die meinem Gedächtnis; so gegenwärtig sind? Sollte ich die Meinung erregen, daß ich diese Zeiten vergessen hätte oder mir nichts mehr daraus machte? Welche Folter, Die wie eine Fremde zu behandeln, die man tief in's Herz geschlossen trägt! Wie schändlich, die Gastfreundschaft zu mißbrauchen, um ihr Dinge zu sagen, die sie nicht mehr hören darf! In dieser peinlichen Lage verlor ich alle Fassung; die Glut stieg mir in's Gesicht, ich wagte weder zu sprechen, noch die Augen aufzuschlagen, noch ein Glied zu rühren, und ich glaube, daß ich in diesem gequälten Zustande bis zur Rückkunft ihres Mannes geblieben sein würde, wenn sie mich nicht daraus befreit hätte. Sie selbst schien es in keiner Weise befangen zu machen, daß wir uns mit einander

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