Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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versuchte, noch mehr Heiterkeit und Ungezwungenheit hinein zu legen, und dabei einen Blick anzunehmen, nicht schüchtern noch zärtlich, aber sanft und liebevoll, wie wenn sie mir Muth machen wollte, mich zu fassen und einen Zwang abzulegen, der ihr nicht hatte entgehen können.

      Sie fing von meinen langen Reisen an: sie wollte das Nähere wissen, besonders in Betreff der Gefahren, die ich zu bestehen gehabt, der Leiden, die ich erduldet hatte; denn sie wüßte wohl, sagte sie, daß ihre Freundschaft sie mir zu vergüten hätte. Ach, Julie! sagte ich betrübt, erst einen Augenblick bin ich bei Ihnen, wollen Sie mich schon wieder nach Indien schicken? Keineswegs, versetzte sie lachend, ich vielmehr will ja jetzt hin.

      Ich sagte ihr, daß ich für Sie einen Bericht über meine Reise auf gesetzt und ihr eine Abschrift davon mitgebracht hätte. Sogleich erkundigte sie sich angelegentlich nach Ihnen. Ich erzählte ihr von Ihnen, und das konnte ich nicht, ohne ihr den Kummer zu schildern, den ich gelitten und den ich Ihnen verursacht hatte. Sie war gerührt davon. Sie nahm einen ernsteren Ton an, indem sie auf ihre eigene Rechttfertigung einging, und mir zeigte, daß sie durchaus so hatte handeln müssen, wie sie gehandelt hatte. Herr von Wolmar trat ein, während sie noch mitten in ihrer Auseinandersetzung war. und es machte mich verwirrt, daß sie in seiner Gegenwart ganz so fortfuhr, als wäre er nicht dagewesen. Er konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, als er mir mein Erstaunen ansah. Als sie fertig war, sagte er zu mir: Sie haben da ein Beispiel von der Offenheit, welche hier bei uns herrscht. Wenn Sie aufrichtig tugendhaft sein wollen, so gewöhnen Sie sich auch daran; es ist das meine einzige Bitte, und die einzige Lehre, die ich Ihnen zu geben habe. Es ist immer der erste Schritt zum Laster, wenn man bei unschuldigen Handlungen die Heimlichkeit sucht; wer es liebt, sich zu verstecken, wird früher oder später nöthig haben, es zu thun. Eine einzige Moralvorschrift kann statt aller dienen, nämlich diese: Thue nie und sage nie Etwas, was du nicht die ganze Welt könntest sehen und hören lassen. Ich für mein Theil habe immer als den achtungswerthesten aller Menschen jenen Römer [Den Volkstribun Livius Drusus.] angesehen, der sein Haus so eingerichtet haben wollte, daß man Alles sehen könnte, was darin vorginge.

      Ich habe Ihnen zwei Vorschläge zu machen, fuhr er fort: Wählen Sie in aller Freiheit, aber wählen Sie einen von beiden. Er ergriff darauf seiner Frau Hand und die meinige und sagte, indem er sie mir drückte: Unsere Freundschaft ist im Beginnen, hier ist das theure Band derselben; möge sie unauflöslich sein. Umarmen Sie Ihre Schwester und Freundin: behandeln Sie sie stets als solche; je traulicher Sie mit ihr umgehen werden, desto besser werde ich von Ihnen denken. Jedoch benehmen Sie sich, wenn Sie mit ihr allein sind, als ob ich gegenwärtig wäre, oder aber in meiner Gegenwart, als ob ich nicht da wäre; das ist Alles, was ich von Ihnen verlange. Wenn Sie den letzteren Weg vorziehen, so können Sie es ohne alle Furcht; denn da ich mir das Recht vorbehalte, Ihnen Alles, was mir mißfällt, ehrlich zu sagen, so werden Sie, solange ich nichts sage, die Gewißheit haben, daß mir nichts mißfallen hat.

      Zwei Stunden früher würde mich diese Anrede sehr verlegen gemacht haben; aber Herr von Wolmar hatte bereits eine so große Autorität über mich zu gewinnen angefangen, daß ich fast schon daran gewöhnt war. Wir nahmen das Gespräch unter uns Dreien ruhig wieder auf, und so oft ich mich an Julie wendete, verfehlte ich nicht, sie Madame zu nennen. Sagen Sie mir aufrichtig, unterbrach mich endlich ihr Mann, haben Sie in der Unterredung von vorher auch Madame gesagt? Nein, sagte ich, etwas aus der Fassung gebracht; aber die Wohlanständigkeit .... Die Wohlanständigkeit, verletzte er, ist nur die Maske des Lasters; wo Tugend herrscht, ist sie unnütz; ich mag nichts von ihr wissen. Nennen Sie meine Frau in meiner Gegenwart Julie, oder auch, wenn Sie sie allein sehen, Madame, eines von beiden, mir gleich welches. Ich fing nun an, zu erkennen, mit was für einem Manne ich zu thun hatte, und ich nahm mir vor, mein Herz stets in solcher Verfassung zu erhalten, daß es offen vor ihm daliegen konnte.

      Mein erschöpfter Körper bedurfte sehr der Erquickung und mein Geist der Ruhe; ich fand beides bei Tische. Nach so vielen Jahren der Abwesenheit und der Schmerzen, nach so langem Umherschweifen sagte ich in einer Art Entzücken zu mir selbst: Ich bin bei Julie, ich sehe sie, spreche mit ihr; ich bin mit ihr bei Tische, sie sieht mich ohne Unruhe, nimmt mich ohne Furcht bei sich auf; nichts stört die Freude unseres Beisammenseins. Süße, kostbare Unschuld, ich hatte deinen Reiz nimmer gekostet und erst heute beginne ich zu leben, ohne zu leiden.

      Als ich mich am Abend zurückzog, ging ich an dem Zimmer der Hausherrschaft vorbei. Ich sah sie Beide mit einander hineingehen, schlich traurig nach dem meinigen, und dieser Augenblick war für mich nicht der angenehmste dieses Tages.

      So, Milord, ist dieses so heiß ersehnte und so heilig gefürchtete Wiedersehen abgelaufen. Ich habe, seit ich allein bin, mich zu sammeln versucht, ich habe mich angestrengt, mein Herz zu sondiren, aber die Aufregung des verschwundenen Tages wirkt noch nach, und es ist mir unmöglich, schon jetzt über den wahren Zustand meines Innern zu urtheilen. Ich weiß nur so viel ganz gewiß, daß, wenn mein Gefühl für sie nicht anderer Art geworden, es wenigstens eine ganz andere Form angenommen hat, daß ich immer lebhaft wünsche, einen Dritten zwischen uns zu sehen, und daß ich das Alleinsein eben so sehr fürchte, als ich mich ehedem danach sehnte. Jch gedenke in zwei oder drei Tagen nach Lausanne zu gehen. Ich habe Julie nur erst halb gesehen, solange ich nicht ihre Cousine gesehen habe, diese liebenswürdige und theure Freundin, der ich so viel verdanke, die ewig meine Freundschaft, meine Theilnahme, meine Erkenntlichkeit und alle Empfindungen, deren mein Herz noch fähig ist, mit Ihnen theilen wird. Sobald ich zurückkomme, werde ich Ihnen unverzüglich Weiteres berichten. Ich bedarf Ihrer Rathschläge, und werde mich genau beobachten. Ich kenne meine Pflicht und werde sie erfüllen. Wie süß es mir ist, in diesem Hause zu wohnen, bin ich doch entschlossen, und schwöre, wenn ich merken sollte, daß es mir zu sehr darin gefällt, es augenblicklich zu verlassen.

      Siebenter Brief.

       Frau von Wolmar an Frau von Orbe.

       Inhaltsverzeichnis

      Wenn du unserer Bitte nachgegeben und deine Abreise aufgeschoben hättest, so würdest du noch das Vergnügen gehabt haben, deinen Schützling zu umarmen. Er kam vorgestern an und wollte heute zu dir reisen; aber eine Art Hexenschuß, den er von der Reise und der Anstrengung davongetragen. zwingt ihn, das Zimmer zu hüten, und er ist heute Morgen zur Ader gelassen [Was? Zur Ader gelassen? Ist das auch in der Schweiz Mode?] worden. Uebrigens hatte ich mir fest vorgenommen, zu deiner Strafe ihn nicht so bald fortzulassen; und du kannst nur hierher kommen, wenn du ihn sehen willst; denn sonst, verspreche ich dir, wirst du ihn noch lange nicht zu sehen bekommen. Wahrhaftig, das wäre mir ein schöner Einfall, ihn die Unzertrennlichen getrennt sehen zu lassen.

      In der That, Cousine, ich weiß nicht, was für leere Schreckbilder mir in Betreff seines Herkommens den Geist benebelt hatten, und ich schäme mich jetzt, daß ich mich so heftig dagegen sträubte Je mehr ich das Wiedersehen fürchtete, desto mehr würde es mir nun leid sein müssen, wenn ich ihn nicht gesehen hätte; denn seine Gegenwart hat die Furcht zerstreut, welche mich noch innerlich quälte, und die leicht zu einer gegründeten hätte werden können, wenn ich mich weiter in Gedanken mit ihm beschäftigt hätte. Die Anhänglichkeit, welche ich für ihn habe, beängstigt mich jetzt so wenig, daß ich glaube, ich würde mir weniger trauen, wenn ich fände, daß er mir weniger theuer wäre; aber ich liebe ihn so zärtlich wie jemals, ohne ihn jedoch auf dieselbe Weise zu lieben. Aus der Vergleichung dessen, was ich jetzt bei seinem Anblicke empfinde, und was ich ehemals empfand, schöpfe ich die Ruhe über meinen gegenwärtigen Zustand, und in diesen so verschiedenartigen Empfindungen ist der Unterschied um so fühlbarer, je größer ihre Lebhaftigkeit ist.

      Was ihn betrifft, so habe ich ihn zwar im ersten Augenblicke erkannt, habe ihn aber doch sehr verändert gefunden, und, was ich mir früher nicht hätte möglich denken können, in vieler Hinsicht, wie mir scheint, zu seinem Vortheil. Den ersten Tag ließ er einige Verlegenheit blicken, und ich selbst hatte Mühe, ihm die meinige zu verbergen, aber es

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