Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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      Ich habe die ganze Nacht italienische Musik gehört oder mitgemacht, denn es kamen auch Duos vor und ich mußte mich daran wagen.

      Ich getraue mir noch nicht, dir über die Wirkung, die sie auf mich machte, etwas zu sagen; ich besorge, daß der Eindruck vom gestrigen Souper sich noch auf das erstreckt hat, was ich hörte, und daß ich die Wirkung deines verführerischen Wesens für den Zauber der Musik genommen habe. Warum sollte nicht dieselbe Ursache, die sie mir in Sion langweilig machte, sie mir hier in entgegengesetzter Lage angenehm machen können? Bist du nicht die erste Quelle aller Affectionen meiner Seele? Und bin ich gegen die Nachwirkungen deiner Magie gestählt? Wenn wirklich die Musik den Zauber hervorgebracht hätte, so würde sie ihn ja wohl auf alle Hörer geübt haben. Aber während diese Gesänge mich hinrissen, schlief Herr von Orbe ganz süß in einem Lehnstuhl und mitten unter den Ausbrüchen meines Entzückens begnügte er sich, statt alles Lobes, zu fragen, ob deine Cousine italienisch verstünde.

      Morgen soll das alles ins Klare kommen; denn wir haben auf den Abend wieder eine musikalische Zusammenkunft verabredet. Milord will sie vollständig machen, er hat eine zweite Violine von Lausanne bestellt, einen Mann, sagt er, der ziemlich darauf eingespielt ist; ich werde meinerseits französische Scenen, Cantaten und dergleichen mit hinnehmen, und wir werden sehen.

      Ich kam in großer Abspannung nach Hause, die von der Ungewohnheit des nächtlichen Schwärmens herrührte, sich aber während des Schreibens verloren hat. Indessen muß ich versuchen, ein paar Stunden zu schlafen. Sei bei mir, süße Freundin; verlaß mich nicht während meines Schlummers; ob aber dein Bild ihn störe oder begünstige, ob es mir Fanchon's Hochzeit vorführe oder nicht, Ein köstlicher Augenblick kann mir nicht entgehen, den es mir bereitet, das Gefühl meines Glückes beim Erwachen.

      Achtundvierzigster Brief.

       An Julie.

       Inhaltsverzeichnis

      Ach, meine Julie, was habe ich gehört! Welche ergreifende Töne! was für Musik! welch eine köstliche Quelle von Empfindungen und Genüssen! Verliere keinen Augenblick, geschwind, lies alle deine Opern, deine Cantaten, deine ganze französische Musik zusammen; mach' ein großes, recht flackerndes Feuer an, und hinein mit dem ganzen Bettel! aber schüre das Feuer wohl, damit so viel Eis darin verzehrt werden könne und wenigstens einmal dazu diene, warm zu machen. Bringe dieses Sühnopfer dem Gotte des Geschmacks, um dein Verbrechen und das meinige zu büßen, daß wir deine Stimme mit dieser schwerfälligen Psalmodie entweiht haben, daß wir so lange für Sprache des Herzens hielten, was weiter nichts war als ein Lärm, die Ohren zu betäuben. O wie Recht hatte dein würdiger Bruder! In welchem seltsamen Irrthum habe ich bisher über die Wirksamkeit dieser bezaubernden Kunst gelebt! ich fühlte die geringe Wirkung und maß dieselbe ihrer Ohnmacht bei. Ich sagte: Musik ist nichts als leerer Klang, der dem Ohre schmeichelt und auf die Seele nur auf einem Umwege und nur schwach wirkt: der Eindruck der Harmonien ist etwas rein Mechanisches, Physikalisches: was hat er mit den Gefühlen zu schaffen? Und warum sollte ich erwarten, von einem schönen Zusammenklang lebhafter bewegt zu werden als von einem schönen Farbenaccord? Ich entdeckte in den Accenten der Melodie, welche sich denen der Sprache anfügen, nicht die mächtige, geheime Verwandtschaft der Leidenschaft mit den Klängen: ich bemerkte nicht, daß die Nachahmung der mannichfaltigen Töne, mit denen die Gefühle die redende Stimme beleben, ihrerseits wieder der singenden Stimme die Macht verleiht, das Herz zu rühren, daß das wirkungsvolle Gemälde der Bewegungen, welche in der Seele dessen vorgehen, der sich vernehmen läßt, eben das ist, worin für die Hörenden der wahre Zauber liegt.

      Dies brachte mir der Sänger, den Milord hatte, zum Bewußtsein, der für einen Musikus auch recht leidlich über seine Kunst zu reden weiß. Die Harmonie, sagte er mir, ist in der nachahmenden Musik nur ein untergeordnetes Nebenmittel; in der Harmonie im eigentlichen Sinne liegt nicht das Prinzip der Nachahmung. Sie sichert allerdings die Intonationen; sie giebt Gewähr für deren Richtigkeit; und indem sie die Modulationen fühlbarer hervorhebt, giebt sie dem Ausdruck mehr Kraft und der Melodie mehr Anmuth. Aber von der Melodie allein geht jene unüberwindliche Macht der leidenschaftlichen Accente aus; von ihr rührt die ganze Gewalt der Musik über die Seele her. Bildet die gelehrtesten Folgen von Accorden ohne melodischen Fortschritt, und ihr werdet nach Verlauf einer Viertelstunde ermüdet sein. Schöne Melodien ganz ohne harmonische Unterstützung sind lange davor sicher, zu ermüden. Lasset den Ausdruck des Gefühls die einfachsten Melodien beleben, und sie werden fesseln. Dagegen eine Melodie, die nicht spricht, singt auch immer schlecht, und die bloße Harmonie hat nie zum Herzen zu sprechen gewußt.

      Hierin, fuhr er fort, liegt die Täuschung der Franzosen über die Kraft der Musik. Da sie in einer Sprache, die ohne Accent ist, keine Melodie haben und haben können, und über einer manierirten Poesie die nie von Natur gewußt hat, wissen sie nicht anders zu wirken als durch reiche Harmonie und brillante Stimmführung, wodurch kein angenehmerer Gesang, sondern nur mehr Getöse erreicht wird; und sie haben mit dem, was sie erreichen wollen, so viel Unglück, daß ihnen sogar die Harmonie selbst, um die es ihnen zu thun ist, entwischt; weil sie es auf Ueberladung absehen, treffen sie keine Auswahl, wissen nichts was Effect macht, machen lauter Ausfüllung; sie verderben sich das Ohr, und haben für nichts mehr Empfindung als für großen Lärm, so daß für sie die schönste Stimme diejenige ist, welche sich am lautesten vernehmen läßt. So haben sie, in Ermanglung eines eigenen Genre, stets nichts gethan, als schwerfällig und von weitem unseren Mustern nachgetreten; und seit ihrem berühmten Lulli, oder vielmehr unserem, der nur die Opern nachbildete, deren Italien zu seiner Zeit schon einen Ueberfluß hatte, hat man sie immer nur, um dreißig, vierzig Jahre hinterher unsere allen Autoren copiren, verderben, und es mit unserer Musik ungefähr so machen sehen, wie es die anderen Völker mit ihren Moden machen. Wenn sie sich ihrer Chansons rühmen, so sprechen sie damit ihre eigene Verdammung aus; wenn sie Gefühle zu singen verstünden, würden sie nicht witzige Einfälle singen. Aber weil ihre Musik nichts ausdrückt, so paßt sie besser für das Chanson als für die Oper; und weil die unsrige durch und durch Leidenschaft ist, so ist sie geeigneter für die Oper als für das Chanson.

      Hierauf recitirte er mir ohne Gesang einige italienische Scenen, und ließ mich die Beziehungen fühlen zwischen der Musik und den Worten im Recitativ, zwischen der Musik und dem Gefühle in der Arie, und überall die Kraft, welche die genaue Maßhaltung und die Auswahl in den Accorden dem Ausdrucke verleibt. Endlich dann, nachdem ich mich außer meiner Bekanntschaft mit der Sprache, so gut ich irgend konnte, in den oratorischen und pathetischen Ausdruck hineingedacht hatte, d. h. in die Kunst, zu dem Ohre und zu dem Herzen in einer Sprache ohne articulirtes Wort zu reden, machte ich mich daran, diese bezaubernde Musik zu hören, und ich fühlte bald an der Aufregung, welche sie mir verursachte, daß diese Kunst eine weit gewaltigere Macht habe, als ich mir je gedacht. Ein unbeschreibliches Lustgefühl nahm mich allmählig ein. Nicht mehr eine leere Reihenfolge von Klängen vernahm ich wie bei unseren Recitativen. Bei jeder Phrase trat ein Bild in meine Vorstellung oder eine Empfindung in mein Herz; das Vergnügen blieb nicht beim Ohre stehen, es drang in die Seele; der Vortrag floß anstrengungslos, mit reizender Leichtigkeit dahin; alle Mitwirkenden schienen von Einem Geiste beseelt; der Sänger, der seine Stimme beherrschte, zog ungezwungen Alles, was Melodie und Worte erforderten, heraus; und es gewährte mir eine wahrhafte Erquickung, nicht die Schwere dieser Cadenzen, nicht diese peinliche Anstrengung der Stimmen, nicht den Zwang zu fühlen, welche bei uns der ewige Streit zwischen Melodie und Metrum dem Sänger auferlegt, wobei, weil Beides nie zusammen geht, der Zuhörer nicht weniger abgemattet wird als der Ausführende.

      Als aber nach einer Reihe von gefälligen Arien zu jenen großen handlungreichen Stücken übergegangen wurde, welche das Gewirr stürmender Leidenschaften schildern und in der Seele erwecken, da verlor ich mit jedem Augenblick mehr den Gedanken an Musik, Gesang, Nachahmung; ich glaubte die Stimme des Schmerzes, der Wuth, der Verzweiflung zu hören; ich glaubte jammernde Mütter, verrathene Liebende, tobende Tyrannen zu sehen, und in der Aufregung,

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