Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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auch sein Glück stets bei sich trage. Ich merkte an seiner Antwort, daß diese kleine Stichelei, die nichts Beleidigendes für ihn haben konnte, hinreichend war, um seinen Eifer anzuspornen, und daß er stark darauf rechnete, mir am andern Morgen deinen Freund wohl vorbereitet zuzuschicken. Mehr hatte ich nicht gewollt, denn obwohl ich im Grunde, ebenso wie du, nicht viel von dieser schwatzenden Philosophie halte, bin ich doch überzeugt, daß ein ordentlicher Mann sich immer einigermaßen schämt, vom Abend auf den Morgen seine Maximen zu wechseln und sich in seinem Herzen heute von dem loszusagen, was gestern seine Vernunft gutgeheißen hatte.

      Herr von Orbe wollte sich ebenfalls anschließen und den Abend mit ihnen zubringen: aber ich bat ihn, es nicht zu thun: er würde sich nur gelangweilt, oder die Unterhaltung gelähmt haben. Der Antheil, welchen ich an ihm nehme, verhindert mich nicht, zu gestehen, daß er von dem Schwunge der beiden Anderen nichts hat. Das männliche Denken starker Seelen, welches eine so eigenthümliche Ausdrucksweise erzeugt, ist eine Sprache, von der er nicht die Anfangsgründe versteht. Als sie gingen, fiel mir der Punsch ein, und aus Furcht vor vorzeitigen Eröffnungen, ließ ich lachend ein Wort darüber gegen Milord fallen. Seien Sie ruhig, sagte er, ich hänge meinen Gewohnheiten nur nach, wenn ich keine Gefahr dabei sehe; aber ich habe mich nie zu ihrem Sklaven gemacht; es geht hier um die Ehre Juliens, um das Schicksal, vielleicht um das Leben eines Menschen und meines Freundes, Ich werde Punsch trinken wie gewöhnlich, um nicht der Unterhaltung einen Anstrich von Gesuchtem zu geben, aber es soll statt Punsches Limonade sein, und da er jetzt keinen trinkt, so wird er es nicht bemerken. Findest du nicht, meine Liebe, daß man sich recht schämen muß, Gewohnheiten angenommen zu haben, die zu dergleichen Vorsichtsmaßregeln zwingen?

      Ich habe die Nacht in großer Aufregung zugebracht, und nicht ganz nur deinetwegen. Unsere unschuldigen Jugendfreuden, die Süßigkeit eines so langen traulichen Umganges, der noch engere Anschluß seit einem Jahre zwischen ihm und mir, den die Schwierigkeit eures Zusammenkommens veranlaßt hatte, Alles das machte mir diese Trennung so bitter. Ich fühlte, daß ich mit der Hälfte deines Selbst einen Theil meines eigenen Daseins verlieren sollte. Ich zählte unruhig die Stunden und als ich es Morgen werden sah, konnte ich nicht ohne Zittern den Tag anbrechen sehen, der über dein Schicksal entscheiden mußte. Ich brachte den Morgen damit hin, mir Alles auszudenken, was ich sagen wollte, und mir den Eindruck vorzustellen, den meine Worte hervorbringen könnten. Endlich schlägt die Stunde und ich sehe deinen Freund eintreten. Er sah unruhig aus und fragte mich hastig nach dir; denn er wußte, daß du seit dem Auftritte mit deinem Vater krank warst, und Milord Eduard hatte ihm gestern noch gesagt, daß du seitdem das Bette nicht verlassen hattest. Um hierüber nicht in's Einzelne gehen zu müssen, sagte ich geschwind, ich hätte dich gestern Abend besser verlassen und setzte hinzu, er würde augenblicklich mehr hören, da Hans, den ich zu dir geschickt, sogleich wiederkommen müßte. Meine Vorsicht half mir nicht; er that hundert Fragen über deinen Zustand, und da sie mich von meinem Gegenstande abzogen, gab ich kurze Antworten und that meinerseits Fragen an ihn.

      Ich fing damit an, seine Stimmung auszuforschen. Ich fand ihn ernst, nachdenklich und ganz in der Verfassung, das Gefühl auf die Wage der Vernunft zu legen. Gott sei Dank, sagte ich bei mir, mein Weiser ist wohl bereitet; es kommt nun darauf an, ihn auf die Probe zu stellen. Man pflegt zwar traurige Nachrichten sonst immer nur allmählig vorzubringen, aber da ich seine stürmische Einbildungskraft kannte, die nur eines Wortes bedarf, um Alles aufs Aeußerste zu treiben, so beschloß ich einen entgegengesetzten Weg einzuschlagen und wollte ihn lieber im ersten Augenblick niederschmettern, um sodann die Milderungen eintreten zu lassen, als seine Schmerzen ohne Noth vervielfältigen und ihm tausend Schläge statt eines einzigen versetzen. Ich nahm also einen ernsteren Ton an, und sagte, indem ich ihn fest ansah: Freund, kennen Sie die Grenzen des Muthes und der Tugend in einer starken Seele, und glauben Sie, daß es eine übermenschliche Kraftanstrengung sei, dem zu entsagen, was man liebt? Augenblicklich sprang er auf wie ein Rasender; dann seine Hände zusammenschlagend und sie so gefaltet an seine Stirn dringend rief er: Ich verstehe Sie; Julie ist todt, Julie ist todt, wiederholte er mit einem Tone, bei dem es mich kalt überlief: ich sehe es, Sie wollen mich hinhalten, Sie wollen mich schonen. Thörichtes Bemühen, das mir den Tod nur langsamer, grausamer macht!

      Obgleich erschrocken über seine plötzliche Bewegung, errieth ich doch im Augenblicke die Ursache und begriff wohl, wie die Nachricht von deiner Krankheit, Milord Eduard's Moralpredigten, die Aufforderung heute Morgen zu mir zu kommen, meine ausweichenden Antworten und meine Fragen ihm zusammen diesen falschen Schrecken verursacht hatten. Ich erkannte auch sogleich, welchen Nutzen ich von seinem Irrthume ziehen könnte, wenn ich ihn einige Augenblicke darin ließ, aber ich konnte mich zu dieser Barbarei nicht entschließen. Der Gedanke des Todes dessen, was man liebt, ist so schrecklich, daß es keinen giebt, der nicht an seiner Stelle süß wäre, und ich nahm geschwind diesen Vortheil wahr. Sie werden Sie vielleicht nicht wiedersehen, sagte ich; aber sie lebt und liebt Sie. Ha! wenn Julie todt wäre, würde dann Clara Ihnen etwas zu sagen haben? Danken Sie dem Himmel, der Ihnen in Ihrem Unglücke Leiden erspart, mit denen er Sie überhäufen könnte. Er war so erstaunt, so erschüttert, so verwirrt, daß ich, nachdem ich ihn wieder hatte niedersitzen lassen, Zeit fand, ihm Alles, was er wissen mußte, der Ordnung nach vorzutragen; ich stellte Milord Eduard's Benehmen in das schönste Licht, um in seinem edlen Herzen dem Schmerze durch den Reiz der Erkenntlichkeit eine Diversion zu machen.

      Dies, mein Lieber, fuhr ich fort, ist die Lage der Sache. Julie schwebt am Rande des Abgrundes; öffentliche Schmach, Unwillen ihrer Familie, Mißhandlungen von Seiten eines heftigen Vaters und ihre eigene Verzweiflung brechen über sie herein. Die Gefahr wächst mit jedem Augenblicke; das Messer, von der Hand ihres Vaters oder ihrer eigenen, ist jeden Augenblick nur zwei Finger von ihrem Herzen entfernt. Ein einziges Mittel ist noch übrig, um allem Unglücke vorzubeugen und dieses Mittel hängt allein von Ihnen ab. Das Schicksal Ihrer Geliebten liegt in Ihren Händen. Sehen Sie zu, ob Sie den Muth haben, sie zu retten, indem Sie sich von ihr entfernen, da es ihr auch ohnehin nicht mehr verstattet ist, Sie zu sehen, oder ob Sie lieber Urheber und Zeuge ihres Unterganges und ihrer Schmach sein wollen. Nachdem sie Alles für Sie gethan hat, wird sie nun erfahren, was Ihr Herz für sie thun kann. Ist es ein Wunder, daß ihre Gesundheit ihren Leiden erliegt? Sie sind in Sorge um ihr Leben, wissen Sie denn, daß Sie Herr darüber sind?

      Er hörte mich an, ohne mich zu unterbrechen; sobald er begriff, um was es sich handelte, sah ich an ihm die lebhafte Geberde, den funkelnden Blick, die scheue aber zuckende Miene, welche er zuvor gehabt, verschwinden, Bestürmung und Trübsinn überzog mit dunklem Schleier sein Gesicht; sein düsteres Auge und seine erloschenen Züge kündigten die Niedergeschlagenheit seines Herzens an: kaum hatte er die Kraft, den Mund aufzuthun, um mir zu antworten. Es muß geschieden sein, sagte er mit einem Tone, den ein Anderer für ruhig gehalten haben würde; gut! ich werde gehen. Habe ich nicht genug gelebt? Nein, gewiß nicht! antwortete ich sogleich; Sie müssen leben für Die, welche Sie liebt; haben Sie vergessen, daß ihre Tage von den Ihrigen abhängen? Man müßte sie also ungetrennt lassen, fiel er rasch ein; sie konnte es, sie kann es noch. Ich that, als hörte ich die letzten Worte nicht, und suchte einige Hoffnung in ihm anzuregen, der seine Seele jedoch nicht zugänglich war; da trat Hans ein, und brachte mir gute Nachricht. In dem Augenblick der Freude, welche er darüber empfand, rief er aus: Ha! sie lebe, sie sei glücklich .... wenn es möglich ist. Ich will ihr nur mein letztes Lebewohl sagen, und dann gehe ich. Vergessen Sie, sagte ich, daß es ihr nicht mehr erlaubt ist, Sie zu sehen? Ach! euer Lebewohl ist gesagt, ihr seid schon getrennt, Ihr Schicksal wird weniger hart sein, wenn Sie fern von ihr sein werden; Sie werden wenigstens die Freude haben, ihre Sicherheit bewirkt zuhaben. Eilen Sie noch heute fort von hier, den Augenblick; daß Sie nicht ein Opfer von solcher Größe bringen und bringen es zu spät. Zittern Sie, ihren Tod noch zu verursachen, nachdem Sie sich schon für sie dahingegeben! Wie? rief er mit einer Art Wuth, ich soll hinweggehen, ohne sie zu sehen? Wie? Ich soll sie nicht mehr sehen? Nein! Nein! Wir werden beide sterben, wenn es sein muß; der Tod, ich weiß es, wird ihr mit mir nicht hart dünken; aber ich will sie sehen, was auch daraus entstehe; ich will mein Herz, mein Leben zu ihren Füßen lassen, ehe ich mich von mir selbst reiße. Es ist mir nicht schwer geworden, ihm die Thorheit und Grausamkeit eines solchen Vorhabens zu zeigen. Aber dieses „Wie? ich soll sie nicht mehr sehen?" das immer wieder und mit immer schmerzlicherem

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