Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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zu leben, tausend geheime Liaisons die Frucht sein müssen. Alle Welt räumt das heut zu Tage ein, und die abgeschmackte Meinung, daß man die Versuchung besiegen könne, indem man sie vervielfältigt, ist von der Erfahrung widerlegt. Man sagt also nicht mehr, dieser Brauch sei anständiger, sondern nur, er sei angenehmer, und das ist, meiner Meinung nach, eben so wenig wahr, denn was kann da für Liebe herrschen, wo die Schamhaftigkeit zu Spott gemacht ist? Und welchen Reiz kann ein Leben haben, dem die Liebe wie die Sitte fehlt? Auch ist es den Frauen hier, wie denn Langweile überhaupt die größte Plage aller dieser zerfahrenen Menschen ist, weniger darum zu thun, geliebt zu werden, als sich zu amüsiren, Galanterie und Aufmerksamkeiten gelten bei ihnen mehr als Liebe, und wenn man nur beharrlich ist, so fragen sie nicht danach, ob es aus Leidenschaft geschieht. Selbst die Worte Liebe und Liebster sind aus dem vertrauten Umgange der beiden Geschlechter verbannt und nebst denen wie „Bande" und „Flamme" in die Romane verwiesen, die man nicht mehr liest.

      Die ganze natürliche Ordnung der Gefühle scheint hier umgekehrt. Das Herz knüpft keine Bande; es ist den jungen Mädchen gar nicht erlaubt, ein Herz zu haben; dieses Recht ist den verheirateten Frauen vorbehalten und schließt von ihrer Wahl Niemanden aus als ihren Mann. Besser, daß die Mutter zwanzig Liebhaber als daß die Tochter Einen habe. In dem Ehebruche findet man nichts Empörendes; er ist nicht gegen die Schicklichkeit; die anständigsten Romane, die welche alle Welt zu ihrer Belehrung liest, sind voll von ihm, und die Unsittlichkeit hat nichts Tadelnswerthes mehr, sobald sie mit Untreue gepaart ist. Ach Julie, und Frauen, die sich nicht gescheut haben, hundert Mal das eheliche Bett zu besudeln, dürfen sich unterstehen, unsere keusche Liebe mit ihrem unreinen Munde anzuklagen und die Bereinigung zweier aufrichtigen Herzen, die sich nie die Treue brachen, zu verdammen? Man sollte meinen, daß die Ehe in Paris nicht dasselbe sei, was sie überall sonst ist. Sie ist, sagen sie, ein Sacrament und dieses Sacrament hat nicht die Kraft des geringfügigsten bürgerlichen Vertrages, sie scheint weiter nichts zu sein als eine Uebereinkunft zwischen zwei Personen, mit einander zu wohnen, einerlei Namen zu führen, die nämlichen Kinder ihre zu nennen, aber ohne Aufgebung ihrer Freiheit, ohne irgend eine Art Recht auf einander;

      und einem Ehemanne, der sich hier einfallen ließe, auf die schlechte Aufführung seiner Frau ein Auge zu haben, würde das nicht weniger verdacht werden, als bei uns Dem, der der seinigen offenkundige Unordnungen nachsähe. Die Frauen nehmen es auch ihrerseits nicht so genau mit ihren Männern, und man sieht eben nicht, daß sie sie zur Bestrafung ziehen, wenn dieselben es in der Untreue ihnen nachthun. Uebrigens wie kann man beiderseits etwas Besseres von Bündnissen erwarten, bei denen das Herz nicht gefragt worden ist? Wer nur nach Vermögen oder Stand heiratet, ist der Person nichts schuldig.

      Die Liebe selbst, auch sie hat ihre Rechte verloren und ist nicht minder ausgeartet als die ehe. Wenn die Eheleute hier Junggesellen und Jungfern sind, die mit einander Haus halten, um desto mehr in Freiheit leben zu können, so sind Liebende Personen, die einander gleichgültig sind, und sich nur Ergötzens halber, aus eitelkeit, aus Gewohnheit oder um augenbliklicher Nothdurft willen sehen; das Herz hat mit diesen Liaisons nichts zu schaffen, man sieht dabei nur auf die Bequemlichkeit und gewisse äußere Ziemlichkeiten. Es ist, wenn man will, sich kennen, mit einander leben, sich verabreden, sich sehen und noch weniger wo möglich. Eine galante Liaison dauert Weniges länger als eine Visite, es ist eine Sammlung von artigen Unterhaltungen und artigen Briefen, voller Portraits, Maximen, Philosophie und Geist. Hinsichts des Physischen, ist nicht gar so viel Heimlichkeit nöthig; man hat sehr sinnig herausgefunden, daß sich je nach der Dringlichkeit der Begierde die Leichtigkeit sie zu befriedigen richten müsse: die erste beste und der erste beste, der Liebhaber oder ein anderer, ein Mann ist immer ein Mann; alle sind so ziemlich gleich gut, und wenigstens ist Consequenz hierin, denn warum sollte man dem Liebhaber treuer sein als dem Manne? Sodann und auch bei gewissen Jahren alle Männer so ziemlich der nämliche Mann und alle Frauen die nämliche Frau, alle diese Puppen sind aus demselben Putzladen, und es ist nichts Anderes für die Wahl entscheidend als was am bequemsten zur Hand ist.

      Ich weiß zwar in diesem Punkte nichts aus Erfahrung; aber es sind mir hinsichts desselben so absonderliche Aeußerungen vorgekommen, daß es mir nicht möglich war, das Verhältniß recht zu fassen. So viel ich begriffen habe, ist bei den meisten Frauen der Liebhaber gleichsam einer von ihren Leuten; wenn er seine Schuldigkeit nicht thut, schickt man ihn fort und nimmt einen anderen; findet er es anderswo besser oder ist er des Geschäfts überdrüssig, so dankt er ab und man nimmt einen anderen. Es giebt, sagt man, sogar Frauen, die wunderlich genug sind, es mit dem Herrn vom Hause zu probiren, denn im Grunde ist er doch auch eine Art Mann. Das ist eine Caprice, die nicht vorhält; wenn sie vorüber ist, läßt man ihn laufen und nimmt einen anderen, oder, falls er halsstarrig ist, behält man ihn und nimmt den anderen dazu.

      Aber, sagte ich zu Dem, der mir diese wunderlichen Bräuche erklärte, wie stellt sich eine Frau nachher gegen alle diese Anderen, die so ihren Abschied erhalten oder genommen haben? Ganz einfach! antwortete er; sie stellt sich gar nicht. Man sieht sich nicht mehr, man kennt sich nicht mehr. Wenn man je den Einfall hätte, wieder anzuknüpfen, so wäre von neuem Bekanntschaft zu machen, und es wäre schon viel, wenn man sich erinnerte, sich schon einmal gekannt zu haben. Aha! sagte ich; aber wenn ich auch alle Uebertreibungen abziehe, ich begreife doch nicht, wie man nach einer so zärtlichen Verbindung sich mit kaltem Blute sehen kann, wie das Herz nicht schlägt beim Namen dessen, was man einmal geliebt hat, wie man nicht von Zittern befallen wird, wenn man es wieder erblickt. Sie machen mich lachen, rief er, mit Ihrem Zittern, Sie möchten also wohl, daß unsere Frauen nichts weiter thäten, als in Ohnmacht fallen?

      Nimm einen Theil von dieser Schilderung hinweg, die ohne Zweifel stark übertrieben ist, stelle Julie neben das Uebrige und erinnere dich meines Herzens: ich brauche dir nichts weiter zu sagen.

      Indessen muß ich gestehen. daß man gegen manchen dieser unangenehmen Eindrücke durch die Gewöhnung abgestumpft wird. Wenn das Schlechte mehr in die Augen springt als das Gute, verhindert es doch dieses nicht, endlich auch hervorzutreten; Reize des Geistes und des Naturells stellen die persönlichen Reize in's Licht. Ist der anfängliche Widerwille einmal überwunden, so schlägt er bald in das entgegengesetzte Gefühl um. Dies ist die Kehrseite des Bildes, und es wäre ja ungerecht, es nur von der anderen, unvortheithaften zu zeigen.

      Der vornehmste Uebelstand in großen Städten ist, daß in ihnen die Menschen zu etwas Anderem werden als sie im Grunde sind, daß ihnen die Gesellschaft, so zu sagen, ein ihnen fremdes Wesen aufdrückt. Dies ist vorzugsweise in Paris wahr und vorzugsweise in Betreff der Frauen, die allen Werth auf das legen, was sie in den Augen Anderer

      scheinen. Wenn man sich einer Dame in Gesellschaft nähert, findet man anstatt einer Pariserin, wie man erwartet, nichts weiter als ein Modefigürchen. Ihre Höhe, ihre Breite, ihr Gang, ihr Wuchs, ihr Hals, ihre Farbe, ihre Miene, ihr Blick, ihre Reden, ihre Manieren, nichts von allem ist ihr eigen, und sähe man sie in ihrem natürlichen Wesen, so würde man sie nicht wiedererkennen. Jene Wandlung ist Denen, die sie mit sich vornehmen, selten günstig, wie denn im Allgemeinen bei Allem, was man künstlich an die Stelle der Natur setzt, nichts herauskommt. Ganz läßt sie sich aber nie verwischen; sie bricht immer irgendwo durch, und in einer gewissen Geschicklichkeit, sie da zu ergreifen, besteht eigentlich die Kunst der Beobachtung. Diese Kunst ist den hiesigen Frauen gegenüber nicht schwer, denn da sie mehr Natürlichkeit besitzen, als sie meinen, so darf man nur ausdauernd mit ihnen umgehen, darf sie nur von der ewigen Repräsentation, in der sie sich so sehr gefallen, losmachen, um sie bald so zu sehen wie sie wirklich sind, und dann geht alle Abneigung, die sie einem Anfangs eingeflößt haben, sicher in Achtung und Freundschaft über.

      Dies hatte ich vergangene Woche Gelegenheit bei einer Landparthie zu beobachten, zu welcher uns einige Frauen ziemlich leichtfertig eingeladen hatten, mich und einige andere Neulinge, ohne sich vorher viel Gewißheit zu verschaffen, ob wir für sie passen, oder vielleicht auch nur, um das Vergnügen zu haben, sich über uns lustig zu machen. Dies blieb denn auch am ersten Tage nicht aus. Sie überschütteten uns mit einer Wolke von feinem, spitzen Pfeilen, die alle niederfielen, ohne zurückzuprallen und so ihren Köcher bald erschöpften. Nunmehr zogen sie sich mit Anstand aus dem Handel, und da sie

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