Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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      Dreiundzwanzigster Brief.

       Juliens Liebster an Frau von Orbe.

       Inhaltsverzeichnis

      An Sie, reizende Cousine, habe ich meinen Bericht über die Oper abzustatten, denn obschon Sie in Ihren Briefen Nichts davon erwähnen und Julie Sie auch nicht verrathen hat, sehe ich doch, von wannen ihr ihre Neugier kommt. Ich war einmal dort, um die meinige zu befriedigen; noch zweimal bin ich Ihretwegen hingegangen. Damit, bitte ich schön, lassen Sie mich denn nach diesem Briefe entbunden sein. Ich könnte wohl, wenn Sie es beföhlen, wieder hingehen, gähnen, mich quälen, umkommen; aber wach und aufmerksam dabei zu bleiben, ist mir nicht möglich.

      Bevor ich Ihnen meine eigene Meinung über diese berühmte Schaubühne sage, will ich Ihnen das allgemeine Urtheil darüber, das hier im Schwange ist, mittheilen. Das Urtheil der Kenner wird dem meinigen zur Berichtigung dienen, wenn ich mich etwa täusche.

      Die Pariser Oper gilt in Paris für das prachtvollste, genußreichste, bewundernswürdigste Schauspiel, das je menschliche Kunst erdacht hat Es ist, sagt man, das glänzendste Monument der Magnificenz Ludwig's XIV. Es hat nicht Jeder so sehr die Freiheit, als Sie vielleicht glauben, seine Meinung über diesen hochwichtigen Gegenstand abzugeben. Man darf hier über Alles disputiren, nur nicht über die Musik und die Oper; in diesem einzigen Punkte ist es gefährlich, sich ohne Verstellung zu äußern. Die französische Musik behauptet sich vermittelst einer äußerst strengen Inquisition, und das Erste, was allen Fremden, die hierher kommen, förmlich eingetrichtert wird, ist, alle Fremden seien darüber einig, daß es in der ganzen Welt nichts so Schönes weiter gebe, als die Pariser Oper. Es ist in der That wahr, daß die Gescheiteren dazu stillschweigen und sich nur unter sich darüber lustig zu machen wagen.

      Indessen muß man gestehen, daß daselbst mit vielem Aufwandt nicht nur alle Wunder der Natur vorgestellt werden, sondern auch noch viele andere Wunder, die keines Menschen Auge je gesehen hat, und gewiß hat Pope an dieses wunderbarliche Theater gedacht bei der Schilderung jenes, auf welchen, man wie Kraut und Rüben durcheinander Götter, Kobolde, Ungethüme, Könige, Schäfer, Feen, Wuth, Freude, eine Feuersbrunst, eine Gigue, eine Schlacht und einen Ball sieht.

      Dieses prächtige und herrlich geordnete Gemengsel wird so angesehen, als ob es das Alles wirklich enthielte, was es vorstellt. Wenn man einen Tempel erscheinen sieht, so wird man von heiliger Ehrfurcht ergriffen und gesetzt noch, seine Göttin sei hübsch, so ist das Parterre halb Heide. Man ist hier nicht so schwierig wie in der Comédie Françoise. Dieselben Zuschauer, welche sich dort einen Schauspieler nicht in die Person, die er vorstellt, hineindenken können, können ihn in der Oper nicht davon trennen. Es ist, als ob sich die Geister gegen eine vernünftige Illusion verhärteten und sich, je gröber und abgeschmackter diese ist, desto williger ihr hingäben, oder vielleicht fällt es ihnen weniger schwer, sich Götter zu denken, als heroische Menschen. Da Jupiter anderes Wesens ist als wir, so kann man bei ihm denken was man will; aber Cato war ein Mensch, und wie viel Menschen haben ein Recht, zu glauben, daß es je einen Cato habe geben können?

      Also die Oper ist hier nicht wie anderwärts eine Truppe von Leuten, die dafür bezahlt werden, um sich vor dem Publikum sehen zu lassen; allerdings sind es Leute, die bezahlt werden und die sich sehen lassen, aber das Alles ändert im Augenblick seine Natur, wenn es eine königliche Musik-Akademie ist, eine Art von oberstem Gerichtshof, der in eigener Sache ohne Berufung richtet und sich sonst nicht eben aus Gerechtigkeit oder Treue viel macht [Mit offeneren Worten herausgesagt, würde die Sache nur um desto wahrer sein. Aber hierin bin ich Partei und muß schweigen. Ueberall wo man weniger den Gesetzen als den Menschen unterworfen ist, muß man Ungerechtigkeit ertragen lernen.]. Sehen Sie da, Cousine, wie mancher Orten das Wesen der Dinge an dem Schalle hängt und es nur einen ehrbaren Namen braucht, um Sachen, die nichts weniger sind, in Ehren zu bringen.

      Die Mitglieder dieser edeln Akademie gehen als solche ihres Adels nicht verlustig; dafür aber sind sie excommunicirt, ganz das Gegentheil von anderwärts. Vielleicht haben sie die Wahl gehabt und wollten lieber adlig und verdammt sein, als bürgerlich und benedeit. Ich habe einen modernen Cavalier auf dem Theater gesehen, der so stolz war auf sein Handwerk, als vor Zeiten der arme Laberius, wenn er gleich nur gezwungen auftrat und nur seine eigenen Werke recitirte, sich dadurch gedemüthigt fand [Von dem Tyrannen gezwungen, die Bühne zu besteigen, klagte er über sein Schicksal in Versen, die sehr rührend und ganz geeignet sind, jeden wackern Mann gegen diesen so gepriesenen Cäsar aufzubringen. ,,Nachdem ich", sagt er, „sechzig Jahre mit Ehre gelebt, habe ich diesen Morgen meinen Herd als römischer Ritter verlassen und bin am Abend als ein elender Histrio heimgekehrt. Ach! ich habe einen Tag zu lange gelebt. O Fortuna, mußte ich einmal entehrt sein, warum zwangst du mich nicht dazu, als mir Jugend und Kraft noch ein gefälliges Aeußere gelassen hatten? Aber jetzt, was für einen traurigen Gegenstand habe ich dem Auswurf des römischen Volkes vor Augen gestellt! eine gebrochene Stimme, einen hinfälligen Körper, einen Leichnam, ein lebendiges Grab, woran nichts mehr von mir als mein Name." Der ganze Prolog, welchen er bei dieser Gelegenheit sprach, die Ungerechtigkeit, die ihm Cäsar anthat, beleidigt durch die edle Freimüthigkeit, mit welcher er seine gekränkte Ehre roch, die Beschimpfung, die er im Circus erlitt, die Gemeinheit Cicero's, ihn wegen des erlittenen Schimpfs zu verhöhnen, die feine und spitze Antwort, die ihm Laberius hierauf gab, Alles das hat uns Aulus Gellius aufbewahrt, und es ist meinem Geschmacks nach das merkwürdigste und interessanteste Stück in seiner sonst faden Sammlung. R. Gellius erwähnt des Laberius I, 7 und XVI, 7; aber das Alles, was R. hier anführt, steht nicht bei ihm, sondern bei Macrobius Saturn, II, 7. D. Ueb.]. Auch konnte der alte Laberius seinen Platz unter den Rittern im Circus nicht wieder einnehmen, während der neue alle Tage den seinigen auf den Bänken der Comédie Françoise unter der ersten Noblesse des Landes findet, und nie hat man in Rom mit so viel Achtung von der Majestät des römischen Volkes reden hören, als man in Paris von der Majestät der Oper spricht.

      Soviel habe ich aus den Aeußerungen Anderer über dieses glänzende Schauspiel abnehmen können; jetzt will ich sagen, was ich selbst daran gefunden habe.

      Stellen Sie sich eine Platte vor, etwa fünfzehn Fuß breit und verhältnißmäßig lang; diese Platte ist die Bühne. Zu beiden Seiten werden in gemessenen Abständen Schirmwände aufgestellt, auf denen die Gegenstände, welche die Scene vorstellen soll, grob gemalt sind. Den Hintergrund bildet eine große Gardine, ebenso gemalt und fast immer durchlöchert oder zerfetzt, was dann Schlünde in der Erde oder Löcher im Himmel, je nachdem es trifft, zur Schau stellt. Jeder, der hinter der Gardine entlang geht und sie zufällig berührt, bringt eine Erschütterung hervor, die von einem Erdbeben herzurühren scheint und sehr komisch anzusehen ist. Der Himmel ist durch etliche blaue Lappen vorgestellt, welche an Stäben oder Schnüren schweben, wie zum Trocknen aufgehängte Wäsche, Als Sonne (denn sie kommt manchmal vor) dient eine Kerze hinter einem Rahmen. Die Wagen der Götter und Göttinnen bestehen aus vier aneinander gefügten Wänden, die in langen Seilen schweben wie eine Schaukel; zwischen den Seitenwänden geht ein Brett querüber, auf welchem die Gottheit sitzt, und vorn hängt ein Stück bekleckstes Sacktuch, das zu diesem kostbaren Wagen als Wolke figurirt. Im Grunde der Maschine bemerkt man eine Beleuchtung von zwei bis drei qualmenden und schlecht geputzten Lichtern, welche die Person, während sie sich auf ihrer Schaukel hin- und herschwankend zerarbeitet und heiser schreit, nach Herzenslust einräuchern: ein Weihrauch ganz eines Gottes würdig.

      Da die Götterwagen das wichtigste Stück der Opernmaschinerie sind, so können Sie von ihnen einen Schluß auf das Uebrige machen. Das bewegte Meer ist aus langen kantigen Walzen zusammengesetzt, die man auf gleichlaufende Spindeln gesteckt hat und von kleinen Jungen umdrehen läßt. Der Donner ist ein schwerer Wagen, den man auf dem oberen Boden hin- und herfährt und der nicht das schlechteste Instrument bei der ganzen rührenden Musik abgiebt. Die Blitze entstehen durch etwas Colophonium, das man durch ein Licht bläst; der Wetterstrahl ist eine

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