Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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dabei; ich sah mit Erstaunen, daß ich mich mit ihnen besser verständigen konnte als es mir mit vielen Männern möglich ist. Sie zierten mit ihrem Witze jetzt so sehr einen natürlichen Verstand, daß ich nur beklagen konnte, wie viel sie gewöhnlich thun, ihn zu verunstalten, und es that mir weh, als ich ein besseres Urtheil über die hiesigen Frauen gewann, daß so viele liebenswürdige Personen nur deshalb keine Vernunft zeigten, weil sie keine haben wollten. Ich fand, daß der Annehmlichkeit eines vertraulichen, natürlichen Umganges auch die Künstelei der städtischen Manieren unvermerkt wich; denn immer paßt man sein ganzes Benehmen unwillkührlich dem an, was gesprochen wird, und es macht sich nicht, daß man vernünftige Reden mit den Grimassen der Coketterie begleite. Ich fand sie viel artiger, seit sie sich nicht mehr so viel Mühe gaben, es zu sein, und ich fühlte, daß sie, um zu gefallen, nichts zu thun brauchten, als sich nicht zu verstellen. Ich baute hierauf die Vermuthung, daß Paris, vorgeblich der Sitz des guten Geschmackes, vielleicht derjenige Ort der Weit ist, wo man ihn am wenigsten suchen muß, weil Alles, was daselbst geschieht, um zu gefallen, nur dazu angethan ist, die wahre Schönheit zu verunstalten.

      Wir brachten so vier oder fünf Tage mit einander hin, zufrieden mit einander und jeder mit sich selbst. Anstatt Paris mit seinen Thorheiten durchzuhecheln, dachten wir gar nicht an die Stadt. Wir ließen uns nichts angelegen sein, als den Genuß einer angenehmen, holden Geselligkeit. Wir hatten keine Spöttereien und Satyren nöthig, um uns zu erheitern, und unser Gelächter kam nicht aus Bosheit, sondern aus frohem Uebermuth, wie bei deiner Cousine.

      Noch ein Umstand machte mich Vollends anderer Meinung über die hiesigen Frauen. Oft, während wir mitten im lebhaftesten Gespräche waren, kam Jemand, der der Frau vom Hause etwas in's Ohr sagte. Sie ging hinaus, schloß sich in ihr Cabinet ein, um zu schreiben, und kam lange nicht wieder. Es war nichts leichter, als bei diesen Empfindungen auf eine Herzenscorrespondenz zu muthmaßen oder doch was hier so heißt. Eine andere Frau ließ darüber ein Wort fallen, das jedoch üble Aufnahme fand; ich schloß daraus, daß, wenn die Abwesende keine Liebe aber hätte, sie wenigstens Freunde haben müsse. Aber aus Neugier forschte ich weiter und wie erstaunt war ich, als ich hörte, daß die vermeintlichen Grisons von Paris nichts als Bauern aus dem Kirchspiel wären, welche sich in bedrängter Lage an ihre Dame wandten, um deren Protection zu erbitten, der eine, weil man ihn zu Gunsten eines Reicheren übersteuert, der andere, weil man ihn ohne Rücksicht auf sein Alter und seine Kinder enrolirt hatte [Im vorigen Kriege geschah dergleichen; im gegenwärtigen nicht, so viel ich weiß. Man schont die verheirateten Männer und hat dadurch viel Anlaß zum Heiraten gegeben.], dieser von einem mächtigen Nachbar durch einen ungerechten Prozeß erdrückt, jener durch Hagelschaden ruinirt, indessen die Pacht mit Strenge von ihm eingetrieben wurde; kurz, Alle hatten um irgend eine Gnade zu bitten. Alle wurden mit Geduld angehört, keiner wurde abgewiesen, und die Zeit, welche wir Liebesbriefchen zugetheilt hatten, diente Schreibereien zu Gunsten dieser Unglücklichen. Ich kann dir nicht sagen, wie erstaunt ich war, daß eine so junge und in Zerstreuungen lebende Frau so viel Vergnügen daran findet, dergleichen liebenswürdige Pflichten zu erfüllen, und ohne im Geringsten Prunk damit zu treiben. Wie? sagte ich ganz gerührt; wenn es Julie wäre, könnte sie nicht anders handeln. Von dem Augenblick an habe ich diese Frau nur noch mit Achtung angesehen und alle ihre Fehler sind in meinen Augen ausgelöscht.

      Sobald meine Aufmerksamkeit einmal auf diese Seite gelenkt war, erfuhr ich tausenderlei Vortheilhaftes über dieselben Frauen, welche ich Anfangs so unausstehlich gefunden hatte. Alle Fremde stimmen darin überein, daß, wenn man das Modegeschwätz fern hält, kein Land der Welt Frauen aufzuweisen hat von aufgeklärteren Begriffen und die im Allgemeinen sinniger und verständiger zu sprechen und nöthigen Falls besser Rath zu geben wüßten. Von dem galanten und schöngeistigen Geplauder ganz abgesehen, was hat man von der Unterhaltung einer Spanierin, einer Italienerin, einer Deutschen? Nichts, und du weißt, Julie, wie es gemeinlich mit unseren Schweizerinnen bestellt ist. Habe jedoch Einer den Muth, für nicht sehr galant gelten zu wollen und die Französinnen aus dieser Festung zu treiben, aus der sie allerdings nicht gern herausgehen, so findet er Personen, mit denen sich auf offenem Felde sprechen läßt, und man glaubt mit Männern zu streiten, so trefflich wissen sie sich mit Vernunft zu bewaffnen und aus der Noth eine Tugend zu machen. Was die Charaktergüte betrifft, so will ich kein Gewicht darauf legen, daß sie ihren Freunden mit großem Eifer dienen, denn es könnte wohl darin etwas Eigennutz mitspielen, wie überall in der Welt; aber wie sie gemeinlich nichts lieben als sich selbst, so bringt doch die Länge der Gewohnheit, wenn sie Beständigkeit genug haben, sich solche zu erwerben, auch bei ihnen das hervor, was sonst nur eine schon recht lebhafte Neigung wirkt. Diejenigen, welche ein Attachement von zehn Jahren durchsetzen können, behalten es gewöhnlich ihr ganzes Leben bei, und sie lieben ihre alten Freunde inniger, wenigstens treuer als ihre jungen Liebhaber.

      Es ist eine ziemlich gewöhnliche Bemerkung, und wie es zunächst scheint, nicht zur Ehre der Frauen, daß durch sie hier zu Lande Alles geschieht: mithin mehr Böses als Gutes; aber zu ihrer Rechtfertigung dient, daß sie das Böse von den Männern getrieben, das Gute aber aus eigener Bewegung thun. Das widerspricht nicht dem zuvor Erwähnten, daß das Herz bei dem Umgang der beiden Geschlechter keine Rolle spielt, denn die französische Galanterie hat den Frauen eine unumschränkte Macht eingeräumt, die zu ihrer Behauptung keines zärtlichen Gefühles bedarf. Alles hängt von ihnen ab, nichts geschieht anders als durch sie oder ihretwegen; Olymp und Parnaß, Ruhm und Glück stehen gleichermaßen unter ihrem Gesetze. Ein Buch hat keinen Werth, ein Schriftsteller erwirbt keinen Beifall, als insoweit es den Frauen gefällig ist; sie entscheiden in Machtvollkommenheit über die höchsten Gegenstände der Erkenntniß wie über die angenehmsten. Poesie, Literatur, Philosophie, selbst Politik — man sieht es den Büchern gleich am Style an, daß sie zur Belustigung hübscher Frauen geschrieben sind, und auch die Bibel hat man in galante Geschichten gebracht [L'Histoire du peuple de Dieu vom Pater Berruyer. Erster Theil, 1728; zweiter Th. 1753. D. Ueb.]. In den Geschäften erlangen sie Alles, was sie durchsetzen wollen, durch ein natürliches Uebergewicht, das sich selbst auf ihre Männer erstreckt, nicht weil dieselben ihre Männer, sondern weil sie Männer sind, und weil es hergebracht ist, daß ein Mann einer Frau Nichts abschlägt, und wäre es seine eigene.

      Uebrigens setzt diese Macht keinerlei persönliche Zuneigung oder Werthschätzung voraus, sondern nur Höflichkeit und den Weltton, denn nebenbei gehört es eben so wesentlich zur französischen Galanierie, die Frauen zu verachten, als ihnen zu dienen. Diese Verachtung ist eine Art Rechtstitel auf ihre Ehrfurcht, ein Beweis, daß man genug mit ihnen gelebt hat, um sie zu kennen. Wer ihnen Hochachtung beweisen wollte, gäbe sich dadurch als einen Novizen zu erkennen, als einen Paladin, einen Mann, der die Frauen nur aus Romanen kennt. In ihrer eigenen Meinung von sich sind sie so unparteiisch, daß Der, welcher sie ehren wollte, sich dadurch nur unwerth machen würde, ihnen zu gefallen, und die vornehmste Eigenschaft des homme à bonnes fortunes [Bonnes fortunes, das Glück, das man bei Weibern macht, homme à bonnes fortunes, Weibergünstling. D. Ueb.] ist, im höchsten Grade impertinent zu sein.

      Wie dem nun sei, und was sie sich auch auf Bosheit zu Gute thun, sie sind trotzdem gut, und wozu ihre Herzensgüte gut ist, wirst du sogleich sehen. Ueberall in der Welt sind sehr beladene Geschäftsleute abstoßend und fühllos, und da Paris der Mittelpunkt aller Geschäfte des größten Volkes in Europa ist, so sind Die, welche sie besorgen, die allerhärtesten Menschen. Daher wendet man sich mit Bittgesuche an die Frauen, sie sind die Zuflucht der Unglücklichen, sie verschließen den Klagen derselben nie ihr Ohr, sie hören sie an, trösten sie und dienen ihnen. Inmitten des leichtsinnigen Lebens, das sie führen, wissen sie ihren Vergnügungen Augenblicke abzustehlen, die sie ihrem guten Gemüthe schenken, und wenn einige wenige mit den Diensten, die sie erzeigen, ein niederträchtiges Gewerbe treiben, so sind doch tausend andere täglich damit beschäftigt, dem Armen mit ihrem Beutel und dem Unterdrückten mit ihrem Einflusse unentgeldlich beizustehen. Es ist wahr, daß sie ihre Theilnahme oft nicht recht anbringen und unbedenklich dem Unglücklichen, den sie nicht kennen, schaden, um dem zu dienen, den sie kennen; aber wie soll man auch in einem so großen Lande alle Welt kennen? und was vermag überdies Seelengüte ohne wahre Tugend? denn deren höchstes Trachten ist darauf gerichtet, nicht sowohl Gutes zu thun, als nie Unrecht zu thun. Davon abgesehen ist es gewiß, daß sie Hang zum Guten

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