Ida Pfeiffer: Ausgewählte Werke. Ida Pfeiffer
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V. Jerusalem.
Aufenthalt in Jerusalem.
Gerade als die Morgenröthe anbrach, standen wir an den Mauern Jerusalems, und mir ging der schönste Morgen meines Lebens auf! — Ich war so in Gedanken, und in Lobpreisungen versunken, daß ich nicht sah und hörte, was um mich vorging. Und dennoch wäre es mir nicht möglich zu sagen, was ich Alles dachte, was ich Alles fühlte. Zu groß und mächtig war mein Gefühl — zu arm und kalt ist meine Sprache, es auszudrücken.
Am 29. Mai Morgens halb 5 Uhr kamen wir an das Bethlehemer-Thor. Eine halbe Stunde mußten wir noch warten, bis das Thor aufgeschlossen wurde, dann zogen wir durch die stillen, noch unbelebten Gassen Jerusalems, der nuova casa (Pilgerhaus) zu, welche von den Franziskanern zur Aufnahme für Reich und Arm, für Lateiner (Christkatholische) und Protestanten bestimmt ist.
Ich gab meine Effekten in das mir angewiesene Zimmer und eilte in die Kirche, um mein Herz durch ein inniges Gebet zu erleichtern. Der Eintritt in die Kirche gleicht dem eines Hauses. Sie selbst ist klein, doch für die hier ansäßigen Lateiner groß genug. Der Altar ist reich, die Orgel sehr schlecht. Die Männer stehen abgesondert von den Weibern, so auch die Knaben von den Mädchen, und Alles sitzt oder kniet auf dem Boden — Bänke gibt es in der Kirche nicht. Die Christen sind eben so gekleidet wie die Morgenländer. Die Weiber tragen Stiefeletten von gelbem Saffian und darüber Pantoffeln, welche sie beim Eingange in die Kirche ablegen. Das Gesicht haben sie auf der Gasse ganz verhüllt, in der Kirche nur zum Theil, die Mädchen gar nicht. Ihre Kleidung besteht aus einem weißleinenen Rocke, einem großen Tuche von demselben Zeuge, in welches sie sich ganz einhüllen. Alle waren rein und nett gekleidet.
Die Andacht ist aber unter diesen Leuten so gering, daß sie durch jede Kleinigkeit gestört werden. So z. B. war ich für diese Leute eine ganz neue Erscheinung, weßhalb sie mich beständig von Kopf bis zum Fuß betrachten, und sich ihre Bemerkungen über mich so unverholen durch Worte und Zeichen mittheilten, daß ich wirklich keinen ernsten Gedanken fassen konnte. Manche unter ihnen stießen an mich an, oder langten nach meinem Hut u.s.w. Sie schwazten sehr eifrig und beteten sehr wenig, die Kinder machten es nicht besser; sie aßen während der Messe ihr Morgenbrot, und stießen sich manchmal herum, vermuthlich um nicht einzuschlafen. Die Leute hier müssen glauben, ein Gott gefälliges Werk auszuüben, wenn sie zwei, drei Stunden in der Kirche zubringen: — um das Wie scheint sich kein Mensch zu bekümmern, sonst hätte man sie doch eims Besseren belehrt.
Nachdem ich über eine Stunde in der Kirche war, kam ein Geistlicher zu mir, und sprach mich in meiner Muttersprache an. Er war ein Deutscher, und sogar ein Landsmann. Er versprach mir, mich in einigen Stunden zu besuchen. Ich kehrte dann in das Pilgerhaus zurück, und jetzt erst betrachtete ich mein Zimmer. Es war höchst einfach möblirt, die ganze Einrichtung bestand aus einer eisernen Bettstelle sammt Matratze, Polster und Decke, einem sehr schmutzigen Tische, 2 Stühlen, einer kleinen Bank und einem Wandkästchen, Alles von weichem Holze. Alle diese Effekten, so wie die Fenster, an denen einige Scheiben zerbrochen waren, mögen wohl vor undenklichen Zeiten rein gewesen seyn. Die Wände waren mit Kalk übertüncht, der Boden mit großen Steinplatten gepflastert. Kamine sind nirgends mehr zu sehen. Ich sah erst wieder welche, als ich nach Sizilien kam.
Ich legte mich auf eine oder zwei Stunden nieder, um nur ein Bischen auszuruhen, denn seit der Abreise von Konstantinopel bis hieher war es in einem Zuge fortgegangen.
Um 11 Uhr besuchte mich der deutsche Geistliche, Pater Paul, um mir die Ordnung des Hauses kund zu machen. Des Mittags wird um 12 Uhr, des Abends um 7 Uhr gespeiset. Zum Frühstück bekommt man schwarzen Kaffee; des Mittags eine eingekochte Suppe, die aber von Schöpsenfleisch bereitet ist, dann gekochtes Ziegenfleisch, etwas Gebackenes in Oel oder sonst ein Gericht von Gurken, und zum Schlusse gebratenes oder eingemachtes Schöpsenfleisch. Zweimal in der Woche Freitags und Samstags, werden Fastenspeisen gegeben, fällt aber das Fest eines besonderen Heiligen, was sehr oft der Fall ist, so kommen drei Fasttage, nämlich auch der Tag vor dem Heiligenfeste. Die Fastenspeisen bestehen aus einem Linsengerichte, einer Omelette und zwei Gerichten Stockfisch, eines warm, das andere kalt. Brot und Wein, so wie die Portionen der Speisen bekommt man in hinlänglicher Quantität. Aber Alles ist höchst mittelmäßig zubereitet, und lange braucht es, bis man sich an die immerwährenden Schöpsengerichte gewöhnt. In Syrien werden im Sommer weder Ochsen noch Kälber geschlachtet, ich genoß daher vom 19. Mai bis Anfangs September, wo ich nach Egypten kam, weder einen Tropfen Rindsuppe, noch ein Stückchen Rindfleisch.
Im Kloster bezahlt man weder für Kost noch Wohnung, und darf sich einen ganzen Monat aufhalten. Man gibt höchstens eine freiwillige Gabe auf Messen; — ob man aber viel, wenig oder nichts gibt, ob man ein Lateiner oder von einer andern Religion ist, darnach wird nicht gefragt. In diesem Punkte ist der Franziskaner-Orden höchst human. Die Geistlichen sind meistens Spanier und Italiener, sehr wenige von anderen Nationen.
Pater Paul war so gütig, sich mir als Führer anzutragen, und in seiner Gesellschaft sollte ich heute noch mehrere der heiligen Orte besuchen.
Wir begannen mit der via dolorosa, dem Wege, auf welchem Christus zum letzten Male auf Erden als Gottmensch, gebeugt unter der Last des Kreuzes, zur Schädelstätte ging. Die Stellen, wo Christus fiel, sind mit Stücken von Säulen bezeichnet, welche die heil. Helena an beiden Orten in die Mauern der Häuser einmauern ließ. Die dritte Stelle sieht man im Innern eines Hauses. Von da gelangten wir zur Zwerchgasse, und zwar zu demselben Orte, an welchem die heilige Maria in größter Eile gekommen war, ihren Sohn noch einmal zu sehen. Ja wohl sah sie ihn — daherwanken, von der Last und dem Schmerze gebeugt. Ihr Mutterherz erlag auf Augenblicke, eine Ohnmacht beraubte sie ihrer Besinnung, aber nur auf kurze Zeit, — sie mußte noch das Aergste schauen.
Nun wandelten wir zum Hause des Pilatus, welches zum Theile in Ruinen liegt, zum Theile den Türken als Kaserne dient. Man zeigt die Stelle, wo die heilige Stiege war, über welche Jesus ging, und die ich auf meiner Rückreise in Rom, in der Basilika St. Giovanni di Laterano, sah. Auch der Ort, wo Jesus von Pilatus dem Volke gezeigt wurde, ist noch bekannt. Gleich neben demselben steht ein kleines, dunkles, thurmartiges Gewölbe und in dessen Mitte der Stein, an welchen Christus gebunden und gegeißelt wurde.
Wir stiegen auf die höchste Terrasse dieses Hauses, weil man von hier aus den besten Überblick über die schöne Moschee Omar hat, die in einem sehr großen Hofe steht. Man muß sich mit diesem Überblicke begnügen, da die Türken hier viel fanatischer sind als in Konstantinopel und manchen andern Städten. Es ist daher eine vergebene Mühe, auch nur einen Versuch zu machen, in den Vorhof zu kommen. Ein Steinregen wäre der Empfang, den man dort zu gewärtigen hätte. So strenge sie ihre Religion und Gebräuche halten, eben so sehr achten sie jene Christen, die ihrerseits religiös und andächtig sind.
Mit vollkommener Ruhe kann der Christ an all' den Orten, die ihm heilig sind, seine Andacht verrichten, ohne im geringsten von vorübergehenden Türken bespöttelt oder beleidigt zu werden. Im Gegentheile, der Türke geht ihm ehrerbietig aus dem Wege, denn auch er ehrt Christus als einen großen Propheten, und die heilige Maria als seine würdige Mutter.
Unweit vom Hause des Pilatus steht jenes des Herodes, aber nur als Ruine. Das Haus des Prassers, vor welchem der arme Lazarus lag, hatte dasselbe Schicksal, doch kann man noch aus den Ruinen auf seine einstige Größe schließen.
Im Hause der heiligen Veronika ist eine Steinplatte eingemauert, auf welcher ein Fußtritt Jesu zu sehen ist. In einem andern Hause sieht man zwei Fußtritte der Maria. Auch jene Häuser, die an den Orten stehen, wo Maria und Maria Magdalena geboren wurde, wies mir Pater Paul. Alle