Ida Pfeiffer: Ausgewählte Werke. Ida Pfeiffer
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Als wir das Städtchen betraten, befiel uns eine unbeschreibliche Wehmuth. Es lag noch halb im Schutte nach einem der furchtbarsten Erdbeben, welches im Jahre l839 hier besonders zerstörend gewüthet hatte. Wie mag es damals ausgesehen haben, da es noch jetzt, wo überall nachgeholfen und gebaut wird, einem halben Schutthaufen gleicht. Wir sahen ganz eingestürzte Häuser, viele sehr beschädigt, ganze Risse und Spalten in den Mauern, zusammengefallene Terrassen und Thürme — kurz, wir wandelten allenthalben auf Ruinen. Bei diesem Erdbeben sollen gegen viertausend Menschen, mehr als die halbe Bevölkerung, ihren Tod gefunden haben.
Wir stiegen bei einem jüdischen Arzte ab, welcher hier in Ermanglung eines Gasthofes die Fremden aufnimmt. Ich war ganz erstaunt, bei diesem Manne alles sehr nett und rein zu finden. Die Zimmerchen waren einfach aber bequem eingerichtet, der kleine Vorhof mit großen Steinplatten gepflastert und in der Vorhalle standen rings an den Wänden weich gepolsterte, sehr schmale Bänke. So sehr wir durch diese schöne Ordnung und Reinlichkeit überrascht waren, so stieg unsere Verwunderung noch mehr, als wir die Juden, deren es so viele in Tabarieh gibt, weder türkisch noch griechisch, sondern ganz so gekleidet fanden wie bei uns in Pohlen und Galizien. Auch sprachen die meisten unter ihnen deutsch. Ich erkundigte mich gleich nach der Ursache dieser Eigentümlichkeit und erfuhr, daß alle hier ansäßigen Judenfamilien aus Rußland und Polen gekommen seien, um im gelobten Lande wenigstens zu sterben. Überhaupt nähren alle Juden eine große Sehnsucht, die letzten Tage ihres Lebens in der Heimath ihrer Vorältern zuzubringen, um da wenigstens begraben zu werden.
Wir ersuchten die junge Hausfrau, (ihr Mann war abwesend) uns eine tüchtige Portion Pilav nebst einigen Hühnern recht bald zu bereiten, während dessen würden wir die Stadt und die nahen Bäder am See Genesareth besuchen, und längstens in anderthalb Stunde zurückkehren.
Wir gingen an den See Genesareth, der süßes Wasser enthält, setzten uns in eine Fischerbarke, um auch dazu schiffen, wo Jesus einst den Sturm beschwichtigt hatte, und ließen uns bis an die warmen Quellen führen, welche einige hundert Schritte außerhalb der Stadt, ganz nahe am Gestade entspringen. Auf den See hatten wir, Gott sei Dank, keinen Sturm, allein kaum an das Land getreten, ging es mit den Fischern stürmisch her. Wenn man hier zu Lande mit den Führern, Trägern u.s.w. nicht jeden Schritt und Tritt in vorhinein genau aushandelt, so sind sie hintendrein mit ihren Forderungen über alle Maßen überspannt. So geschah es auch bei dieser kleinen Parthie, welche höchstens eine halbe Stunde dauerte. Wir setzten uns in die Barke, ohne den Fahrpreis zu besprechen, beim Aussteigen aber wurde ihnen eine sehr gute Belohnung gereicht. Allein sie warfen das Geld hin und begehrten dreißig Piaster, während sie bei einer Unterhandlung gewiß nicht zehn verlangt hätten. Man gab ihnen fünfzehn, um sie los zu werden; es war ihnen noch nicht genug, sie schrien und lärmten vielmehr dergestalt, daß die Diener der Grafen schon mit den Stöcken Ruhe und Ordnung herzustellen drohten. Dieß brachte sie endlich in so weit zur Vernunft, daß sie wenigstens gingen, jedoch beständig zankend und schreiend.
Wir fanden bei den warmen Quellen ein Badehaus in runder Form erbaut und mit einer Kuppel gedeckt, und trafen da eine ziemlich bedeutende Pilgerschaar, meistens Griechen und Armenier aus der nahen Umgebung, die nach Nazareth und Jerusalem wallten. Sie hatten an dem Badehause ihr Lager aufgeschlagen. Die Hälfte dieser Leute befand sich im Vollbade, worin es höchst lebhaft zuging. Wir wollten auch hinein, nicht um zu baden, sondern nur, um die innere Schönheit und Einrichtung, worüber so Manches in Büchern geschrieben steht, in Augenschein zunehmen; allein ein solcher Dunst und Qualm strömte uns entgegen, daß wir nicht ganz hineinzudringen vermochten. Doch sah ich genug, um mich auch hier wieder zu überzeugen, daß Übertreibung oder Poesie so manche Feder weit über die Wahrheit hinausleitet. Sowohl das Äußere dieses Bades als das Vorgemach und der Blick in das Innere erregte nicht sehr mein Erstaunen, oder meine Neugierde. Von außen gleicht es einem sehr mittelmäßigen kleinen Gebäude, an dem wir durchaus nichts Schönes entdecken konnten. Im Innern war viel Marmor angebracht, z. B. die Täfelung des Bodens, die Einfassung des Bades u.s.w. Marmor ist hierzu Lande nichts so Seltenes, um seinetwegen ein Wunder aus diesem Badekiosk zu machen, — und desselben mehr als vorübergehend zu erwähnen. Ich sehe alles, wie es wirklich ist, und gebe es wieder ungeschmückt und naturgetreu in dem einfachen Tagebuche meiner Reisen.
Abends um 8 Uhr kehrten wir ganz müde und voll Eßlust in unsere freundliche Wohnung zurück und schmeichelten uns, das einfache Mahl, das wir vor mehreren Stunden bestellt hatten, rauchend und dampfend auf dem gedeckten Tische zu finden. Ach, wir fanden weder in der Vorhalle noch in einem der Zimmerchen einen ungedeckten Tisch, viel weniger etwas Anderes. Halb erschöpft lagerten wir uns auf Stühle oder Bänke und sahen mit ungestillter Sehnsucht dem Mahle und der darauf folgenden Ruhe entgehen. Ein Bote nach dem andern wurde in die Küche gesendet, um zu forschen, ob die gekochten Hühner noch immer nicht im eßbaren Zustande seien. Wir wurden von einer Viertelstunde auf die andere vertröstet — und es kam nichts. Endlich um 10 Uhr ward ein Tisch gebracht, dann ein Stuhl, dann wieder einer, und endlich ein reines Tischtuch, und so ging es fort bis 11 Uhr. Da erschien der Herr des Hauses, welcher eben erst von einer kleinen Landreise heimgekommen war, und mit ihm ein gekochtes Hühnchen. — Ach, es trug sich bei unserer Mahlzeit kein Wunder zu, wie in Saphed's Ebene, wo viertausend Menschen mit einigen Broten und Fischen gespeist wurden, — — wir waren doch nur sieben Personen, da hätte sich dieß Hühnchen nur siebenmahl vermehren dürfen, und wir wären gesättiget gewesen; — so aber erhielt jeder nur ein Rippchen und damit Punktum. Freilich kam dann ein Gericht nach dem andern, das wußten wir aber nicht, eben so wenig die Anzahl der bereiteten Speisen, sonst hätten wir uns das Ding schon eingetheilt, und ein Jeder hätte ein Gericht ganz für sich behalten, denn im Laufe von fünf Viertelstunden kamen neun bis zehn Tellerchen zum Vorschein; aber mit lauter winzigen Portionen, so daß man im eigentlichen Sinne des Wortes nur überall kosten konnte. Wir hätten zwei derbe Speisen all diesem Firlefanz vorgezogen. Die Gerichte bestanden aus einem gekochten, einem gebratenen und einem eingemachten Hühnchen, aus einem Tellerchen gefüllter Gurken, aus einem solchen roher Gurken, aus einem Bischen Pilav und einigen Stückchen Schöpsenfleisch.
Für die Unterhaltung bei Tisch sorgte unser Wirth, indem er eine gräuliche Scene aus der Zeit des Erdbebens nach der andern erzählte. Auch er hatte dabei sein Weib und seine Kinder verloren, und nur, weil er gerade auf einem Krankenbesuche in der Umgebung war, entkam er selbst diesem Schicksale.
Eine halbe Stunde nach Mitternacht suchten wir unsere Schlafstellen. Der Arzt räumte uns sehr gefällig seine drei Kämmerchen ein, da war aber die Hitze so drückend, daß wir es vorzogen, im Hofe auf den Steinen unser Lager aufzuschlagen. Ein hartes Lager, dagegen eine leichte Verdauung des großen Mahles.
16. Juni 1842.
Um 5 Uhr früh empfahlen wir uns und kehrten auf demselben Wege, nur nicht zum zweiten Male über den Berg Tabor, sondern längs desselben, in sechs Stunden nach Nazareth zurück. Ich besuchte heute noch einmal alle die Orte, die ich zwei Tage früher halb todt besehen hatte und brachte auf diese Art einige Stunden recht angenehm zu.
17. Juni 1842.
Morgens um halb sechs Uhr sagten wir den würdigen Priestern zu Nazareth für immer Lebewohl und ritten unausgesetzt bis zwei Uhr, also neunthalb Stunden