Richter und Henker - Roland Benito-Krimi 8. Inger Gammelgaard Madsen

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Richter und Henker - Roland Benito-Krimi 8 - Inger Gammelgaard Madsen Rolando Benito

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Trolle absichtlich auf den Rücksitz setzte, um jegliche Form von Kommunikation zu vermeiden. Glücklicherweise wurde das dem Inder bald klar, also drehte er das Radio lauter und konzentrierte sich stattdessen auf die Fahrt durch den Aarhuser Hauptverkehr.

      Der Mercedes holperte über die Bremsschwellen des St. Bilchers Wegs, bis der Chauffeur plötzlich anhielt. Trolle sah aus dem Fenster. Jetzt verstand er es. Warum hatte er dem Fahrer diese Adresse gegeben? Vielleicht aus einer alten Gewohnheit heraus? Das Haus sah aus wie immer. Nichts hatte sich verändert. Nicht einmal das Grünzeug in den Gartentöpfen. Der vereiste Bürgersteig benötigte eine kräftige Portion Salz. Das war immer seine Aufgabe gewesen. Ein bitteres Gefühl machte sich in seiner Brust breit, als er das rosarote Fahrrad erblickte, das auf seinem Ständer neben dem offenen Carport stand. Es war kein Dreirad mehr. Es war ein richtiges Mädchenfahrrad. Lærke war im Dezember neun Jahre alt geworden. Er hatte ihr ein Geschenk und eine Karte geschickt, aber keine Antwort zurückbekommen. Nur das Paket.

      Es war nicht Cecilies Auto, das dort im Carport stand. Es war ein schwarzer Opel Insignia. Sie war also immer noch mit ihm zusammen. Das Gefühl in seiner Brust veränderte sich. Noch nie zuvor hatte er eine stärkere Rachsucht in sich verspürt, die nun in seinen Adern pochte. Es fühlte sich gut an. Er lebte, trotz allem. Der Inder musterte ihn prüfend im Rückspiegel, offenbar hatte er seinen Preis schon gesagt und wartete nun auf sein Geld.

      „Soll ich Ihnen mit der Tasche helfen?“, fragte er und wollte bereitwillig die Autotür öffnen.

      „Nein danke. Können Sie mich wieder zurückfahren? In die Bushøj-Straße.“

      „Welche Nummer?“, fragte der Chauffeur verdutzt und fuhr los, während seine kohlrabenschwarzen Augen den merkwürdigen Passagier noch immer überwachten.

      Benjamin Trolle suchte nach dem Zettel in seiner Tasche. Er fand ihn, las ihre hübsche Handschrift und gab dem Fahrer die Adresse. Bald würde sie zu Hause sein. Durch Heckscheibe warf er einen letzten Blick auf das Haus. Stand da nicht jemand am Küchenfenster und guckte verwundert dem Taxi nach? Lærke? War das Lærke? Das Haus verschwand hinter den Bäumen. Sein Herz hämmerte und er bekam Atemnot.

      Er musste sich merken, niemals mehr zurückzuschauen.

      Kapitel 5

      Anne Larsen räusperte sich kräftig und hielt ihr zerzaustes Haar fest, das wie eine schwarze Wolke im eiskalten Wind hochwirbelte. Sie hatte das Haargummi von ihrem Pferdeschwanz gezogen, nachdem sie der Kameramann Mikael Flasher, genannt Flash, gebeten hatte, ein wenig seriöser und mehr wie eine Moderatorin auszusehen. Er hatte sie sogar gebeten, Make-up aufzulegen, was sie abgelehnt hatte, bis er ihr entschlossen einen Spiegel und die Kosmetiktasche entgegenstreckte. Da gab es nichts zu diskutieren. Normalerweise benutzte sie Schminke nur, wenn sie zu einer Party wollte, meist nicht einmal dann, doch das Spiegelbild zeigte ein bleicheres Gesicht als gewöhnlich, wie erfroren, auch die Lippen waren spröde und die Nase rot. Sie war es nicht gewohnt, auf diese Weise vor der Kamera zu stehen und das war eigentlich auch gar nicht der Plan gewesen, doch als Neue musste sie ein wenig Einsatz zeigen, wenn Not am Mann war. Und das war jetzt der Fall. Die Journalistin Jytte Thomson, die die Neuigkeiten mit ihrer langjährigen Erfahrung und nicht zuletzt ihrem geeigneteren Gesicht als Annes ankündigen sollte, hatte angerufen, um abzusagen. Ihr Kind war im Hort von einem Baum gefallen und hatte sich das Bein gebrochen.

      „Bist du bereit?“, fragte der Kameramann.

      Anne nickte und räusperte sich erneut. Sie rieb ein paarmal ihre Lippen aneinander, um den Lippenstift zu verteilen und nahm das orangefarbene Mikrofon mit dem TV2-Logo, das er ihr reichte. Sie standen vor der stillgelegten Tulip-Schlachtanlage in Brabrand, die mit dem Sperrband der Polizei abgezäunt war. Die Leichen der drei Jungen waren bereits abgeholt worden, nur die Kriminaltechniker waren noch an der Arbeit im Gebäude, doch viel mehr war nicht dran an der Story. In letzter Zeit hatten sich die Selbstmorde gehäuft, sodass die Leute schon fast abgestumpft wirkten, aber das Gerücht darüber, dass es möglicherweise der Schuss aus der Dienstwaffe eines Polizisten war, der einen der erhängten Jungen verletzt haben könnte, bot großen Sensationswert. Niemand aus dem Polizeipräsidium Aarhus wollte sich dazu äußern, was die ganze Sache noch suspekter machte.

      Der Kameramann nickte ihr ein Startzeichen zu und sie hörte die Stimme des Moderators in ihrem In-Ear-Kopfhörer. Sie hatte eine schnelle Zusammenfassung dessen bekommen, was gefragt werden würde, doch für die Vorbereitung der Antworten war nicht viel Zeit geblieben. Jetzt war sie auf Sendung. Live. Das rote Licht an der Kamera leuchtete. Ein Lächeln eignete sich nicht für diese Situation, daher setzte sie eine ernste Miene auf und verstellte ihren Tonfall, sodass sie ein wenig wie Jytte klang, der sie schon einige Male zugehört hatte.

      „Nein, wir haben noch keine Informationen darüber, wer die drei Jungen sind und ob es tatsächlich die Diebe waren, auf die die Polizei gestern Abend nach dem Einbruch im Sportladen am Telefonplatz geschossen hat“, antwortete sie auf die Frage des Moderators im Studio und blickte direkt in die Kamera, justierte den Kopfhörer, der dabei war, ihr aus dem Ohr zu gleiten, zurück auf seinen Platz und lauschte. „Nein, es wurde noch nicht bestätigt, dass das Projektil, von dem eines der Opfer getroffen wurde, aus der Dienstwaffe stammt. Soweit ich informiert bin, wurde das Projektil noch nicht gefunden.“ Sie lauschte erneut der Stimme aus dem Kopfhörer und nickte, um zu zeigen, dass sie ihn hörte und verstand. Der Moderator konnte im Studio dasselbe sehen, was auf den Bildschirmen in den Wohnzimmern all jener zu sehen war, die jetzt TV2 Ostjütland schauten.

      „Gibt es Neuigkeiten über den Polizisten, der schoss?“, fragte der Moderator.

      Anne schüttelte den Kopf.

      „Die DUP, die Dänische Unabhängige Polizeibeschwerdestelle, wird auf den Fall angesetzt. Selbstverständlich bleiben wir dran.“

      Sie wusste, dass sie zuvor einen Filmclip von der Schießerei gezeigt hatten, der von einem Zeugen mit seinem Smartphone aufgenommen und auf YouTube gestellt worden war. Es war jedoch dunkel und die Bilder unscharf und verwackelt, sodass schwer zu erkennen war, wer schoss und worauf geschossen wurde. Deshalb konnten die Täter anhand der Bilder nicht identifiziert werden. Der Moderator bedankte sich bei der Journalistin Anne Larsen und versprach, um 19.30 Uhr mit weiteren Neuigkeiten zurück zu sein. Die Verbindung brach ab. Anne zog den Stöpsel aus dem Ohr und bemerkte erst jetzt, dass ihr Herz chaotisch galoppierte.

      „Gut gemacht, Anne! Fast schon professionell. Super für das erste Mal jedenfalls“, sagte der Kameramann und stupste ihr mit der Faust kameradschaftlich gegen die Schulter. „Außerdem siehst du verdammt gut aus, wenn du so zurechtgemacht bist.“ Er zwinkerte ihr schmeichelnd zu.

      Annes dankbares Lächeln zitterte in den Mundwinkeln; jetzt brauchte sie eine Zigarette. Als sich der Geschmack einer weißen Kings in Mundhöhle und Kehle breitmachte, erlebte sie eine Reaktion wie nach einer geglückten Sportleistung – glaubte sie jedenfalls, denn besonders viele solcher Art hatte sie nicht gemacht. Jedenfalls hatte sie es nicht vermasselt oder irgendeinen Fehler gemacht, keine peinlichen Pausen gehalten oder sich nervös an ihrer Spucke verschluckt; ihr Mund war trocken gewesen, aber das hatte man nicht hören können, hoffte sie. Es war ein richtig tolles Gefühl, etwas mündlich anstatt schriftlich zu vermitteln. Irgendwie mächtiger.

      „Bereit für die nächste Show?“, fragte der Kameramann.

      Anne zog an ihrer Zigarette und nickte eifrig. Sie würde das hier noch zu schätzen wissen, auch wenn sie ihre Bedenken gehabt hatte, als sie sich wieder dazu entschlossen hatte, Freelance-Journalistin zu werden und sich TV2 Ostjütland dann auch noch völlig unerwartet mit einer Aufgabe für sie gemeldet hatte. Sie hatten wohl ihren Diskussionsbeitrag in der dänischen Tageszeitung Politiken gelesen, diese Kritik an der Berichterstattung im Media House Denmark, die ihr Kündigungsschreiben

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