Stadt, Land, Frust?. Группа авторов

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Stadt, Land, Frust? - Группа авторов Kirche im Aufbruch (KiA)

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Prozesse – Schrumpfung und Säkularisierung – mit einer durch die EKD und die EKM getragenen kalkulatorischen Logik zusammentreffen, erzeugt bei ›Planenden‹ und ›Beplanten‹ im Kirchenkreis das allseitige Gefühl, selbst nicht in einer gestaltenden Position zu sein: Hauptamtliche müssen Träger_innen von Einsparungen sein, sind jedoch auch deren Auswirkungen sowie den Vorwürfen Ehrenamtlicher ausgesetzt. Ehrenamtliche wiederum würden gerne intervenieren, sehen sich aber einerseits einer wachsenden Intransparenz ausgesetzt, die sie andererseits aufgrund der Komplexität und des schnellen Verlaufs der Anpassungsprozesse auch durch vermehrtes Engagement nicht aufklären können.«38

      Mit dieser Beobachtung werden von Meyer/Miggelbrink (Frustrations-)Prozesse beschrieben, die in der Forschung als »Peripherisierung« bezeichnet werden. Kühn/Weck haben eine Analyse dessen, was Peripherisierung ausmacht, kürzlich umfassend erarbeitet und dargestellt.39 Insgesamt machen Kühn/Weck vier wesentliche Dimensionen in Peripherisierungsprozessen aus: Abwanderung, Abkopplung, Abhängigkeit und Stigmatisierung.40 Abwanderung ist ein allgemeiner, sozioökonomischer Indikator für die Strukturschwäche einer Region.41 Es wird damit angezeigt, dass es einen brain drain gibt (junge, qualifizierte Menschen gehen) und eine schrumpfende und überalterte Bevölkerung zurückbleibt.42 »Eine ›Abkopplung‹ von Städten und Regionen bedeutet, dass sich ihre Integration in die übergeordneten Regulierungssysteme von Markt und Staat lockert und Zugänge dazu erschwert werden.«43

      Durch Abkopplung wird vor allem die Innovationsfähigkeit geschwächt.44 Abhängigkeit bezeichnet die Sachlage, dass peripherisierte Räume von Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft außerhalb abhängig sind und so eine fehlende Autonomie die eigenen Handlungsmöglichkeiten stark einschränkt.45 Mit Stigmatisierung kann sozialpsychologisches Hemmnis beschrieben werden, welches Prozesse aller Art vor Ort erschwert.

      Beispielsweise wäre die von Meyer/Miggelbrink festgestellte »Ohnmacht« der Dimension »Stigmatisierung« zuzurechnen. Stigmatisierung ist keinesfalls nur eine negative Zuschreibung an bestimmte Räume von außen, sondern auch ein Phänomen, welches in Problemregionen als eine Art »Selbst-Stigmatisierung« anzutreffen ist. So konnten Steinführer/Kabisch ein Auseinanderfallen von Binnen- und Außenimage der stark von Peripherisierung betroffenen Stadt Johanngeorgenstadt in Sachsen feststellen.46 Während Urlaubsgäste ein positives Bild der Stadt haben, schätzen sich die Bewohner samt ihren Möglichkeiten sehr negativ ein. Die hohe Bewertung der eigenen Probleme sowie geringe Aussichten auf Besserung wirken sich negativ auf die Möglichkeit von konstruktiven Veränderungsprozessen aus (»Ohnmachtsgefühl«).47 Wirth/Bose sprechen hier von einer »Peripherisierung im Kopf«.48 Dieses mentale Phänomen beobachtete Matthiesen in einem anderen Forschungsprojekt im deutsch-polnischen Grenzgebiet Brandenburgs.49 Matthiesen fasst zusammen:

      »An diesem Syndrom aus Angst, Verzweiflung und Überforderung, von Trotz und Fluchttendenzen, gemischt mit weiterhin durchaus anschlussfähigen Formen von Renitenz und lokalem Stolz, von Einsatzwillen und Innovationsbereitschaft scheinen nun externe Lernangebote auf örtlicher und teilregionaler Ebene folgenlos abzufließen.«50

      Neben dem objektiven Rückgang bzw. Schrumpfungsprozessen spielt offenbar die subjektive Einschätzung der Akteure vor Ort, die als »Ohnmachtsgefühl« oder »Peripherisierung im Kopf« beschrieben werden kann, eine wesentliche Rolle in der Wahrnehmung der Lage und bezüglich der Verbesserungsmöglichkeiten.

      Dies wirft auch die Frage auf, inwiefern Pfarrer in diesen Gebieten unter erhöhten Arbeitslasten zu leiden haben – entweder als Personen, die diesbezüglich selbst belastet sind oder als Verantwortliche, die es in Sachen ehrenamtlicher Unterstützung besonders schwer haben.

      Anhand der hier dargestellten, derzeit ablaufenden Vorgänge wird die Komplexität der Problematik von kirchlichem Rückbau unter gesellschaftlichen Veränderungen sowie deren Auswirkung auf haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende bestenfalls angedeutet. Die praktisch-theologische Forschung steht hier erst am Beginn der Erfassung und Unterscheidung von komplexen gesellschaftlichen Prozessen und deren Bedeutung für die Kirche als Ganze. Offensichtlich ist jedoch, dass die Frage nach der Gesundheit und Erschöpfung im kirchlichen Dienst nicht allein Thema der Pastoraltheologie oder des Personalmanagements sein kann, sondern Kirchentheorie und Organisationsentwicklung mit bedacht werden müssen, wenn es darum geht, die Situation für die Mitarbeitenden zu verbessern.

       4 Forschung zu Gesundheit und Arbeitsbelastung in den ländlichen Räumen Englands

      Im Vergleich zur deutschsprachigen Forschung zu ländlichen Räumen machte der anglikanische Theologe, Pädagoge und Psychologe Leslie J. Francis früh auf die Problemlagen ländlicher Räume aufmerksam. Schon 1985 beschreibt er die Problemlagen im ländlichen England: »The problems faced by rural Anglicanism during the past twenty years have been greatly compounded by the sharp decrease in the resources available to it.«51 Francis beschreibt den Rückgang der Finanzen, der zu Zusammenlegungen von Parochien führte und die eingeschränkten Möglichkeiten, Pfarrer in Vollzeit anzustellen. Hinzu kamen Personalmangel sowie die Verteilung des vorhandenen Personals zu Ungunsten ländlicher Gebiete.52

      1996 widmet Francis der Kirche in ländlichen Räumen ein ganzes Buch, um »Ländlichkeit« genauer zu beschreiben und zu erfassen.53 Er folgt darin der Beschreibung verschiedener Siedlungsstrukturen und statistischen Markern.54 2016 wird dann auf der Grundlage von Francis und anderen ein Modell zur Unterscheidung von ländlichen und urbanen anglikanischen Diözesen vorgelegt.55 Edwards empfiehlt sein 10-Faktor-Modell für künftige Forschung, damit ländliche und urbane Diözesen miteinander verglichen werden können. Daran wird zweierlei deutlich: Erstens: die praktisch-theologische Forschung in England untersuchte zunächst die Problemlagen ländlicher Räume eigenständig. Zweitens: erst später kam die Abgrenzung und Unterscheidung städtischer Diözesen hinzu, um für die generierten Forschungsergebnisse als Kontrollgruppe zu fungieren. Das bedeutet nun insgesamt, dass Vergleiche hinsichtlich der Unterschiede bei Pfarrern auf dem Land und in der Stadt noch am Beginn der Erforschung stehen!

      Die Forschungsergebnisse von Francis und Arbeiten aus seinem Umfeld haben demnach zuerst ihren Mehrwert in der Beschreibung dessen, was ländlich ist und der Anwendung unterschiedlicher psychologischer Inventare, die helfen, die Herausforderungen und Ressourcen der Probanden vor diesem Hintergrund zu verstehen. Die Kenntnis der ländlichen Situation gibt so Aufschluss über mögliche Ressourcen oder auch unumgängliche Problemlagen, die der kirchlichen Organisation auf diesem Feld begegnen. So kommen die Forscher in England in ihren Umfragen wiederholt zu dem Ergebnis, dass 32 % der Probanden stark bis sehr stark belastet sind.56 Gleichfalls haben 83 % dieser Probandengruppe eine hohe oder sehr hohe Arbeitszufriedenheit.57 Zusätzlich konnten Gründe für Belastungen und Potentiale zur Verbesserung erhoben werden.58 Sieht man nun die Ressourcen und Problemlagen im Zusammenhang mit den Möglichkeiten, die in einer ländlich-peripheren Umgebung gegeben sind, wäre es kirchenleitend möglich, mit vorhandenen Potentialen und zielgerichteten, neuen Strukturen oder Maßnahmen zur Stressreduktion und damit Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Pfarrer beizutragen.

      Neben der Frage nach kontextspezifischen Gegebenheiten für die Implementierung salutogenetischer Maßnahmen steht die Frage, inwiefern der Kontext selbst einen positiven oder negativen Einfluss auf die Mitarbeiterschaft hat. Die Ergebnisse der praktisch-theologischen Forschung aus England zeigen hier ein differenziertes Bild:59 Bei der Verwendung eines für den kirchlichen Dienst angepassten Burnout-Inventars (modifiziertes Maslach Burnout Inventar60) konnten auf den ersten Blick keine signifikanten Unterschiede zwischen Probanden in ländlichen und städtischen Diözesen festgestellt werden.

      Das Maslach Burnout Inventar konzeptionalisiert Burnout in drei Bereiche: emotionale Erschöpfung, Depersonalisation und das Gefühl, etwas (oder dann

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