Die Hölle um Maria Giotti. Robert Heymann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Hölle um Maria Giotti - Robert Heymann страница 4
Auch die Schränke in den angrenzenden Zimmern sind erbrochen, Schubladen aufgerissen, Schreibtische durchwühlt. In dem Schlafzimmer des Grafen sind sogar die Betten zerfetzt. Ein Spiegelschrank in dem Damenschlafzimmer (das offenbar von der Gattin des Grafen bewohnt wird), ist eingestoßen. Dieses Zimmer ist in Weiß und Purpur gehalten, ein Stil zwischen Biedermeier und Empire, mit steifen Möbeln und domartig gewölbter Decke. Es ist ein feierliches Zimmer ohne Freude. Das Speisezimmer dagegen hat eine lilablaue, blumenreiche Tapete mit hellen Vorhängen an den hohen Fenstern. Kostbares Porzellan steht auf der mahagonifarbenen Anrichte. An der Wand hängt ein Bild in lodernden Farben, der Tisch ist von windhundschlanken Stühlen umstanden. Eine gelbe Tür, flankiert von einer kleinen, jonischen Säule, führt zurück in ein Kinderzimmer, das wieder mit dem Schlafzimmer der Gräfin zusammenhängt. Da sind bunteste Bilder, da ist alles hell und rosa und voller Licht und Duft.
Alle Fenster in allen Räumen, auch in der Küche, sind verschlossen.
Nachdem der Leutnant seinen Rundgang beendet hat, stellt sich der herbeigerufene Arzt ein. Er erklärt, daß der Tod schon vor mehreren Tagen eingetreten ist. „Dreizehn Stiche! Drei davon unbedingt tödlich! Ein heftiger Kampf muß stattgefunden haben. Der Überfallene hat verzweifelten Widerstand geleistet!“
Die Beamten treffen ein. Kommissar Grassi, Polizeiinspektor Beghi, ein Stab von Begleitern, der Photograph, Carabinieri. Man hört die kühlen, kräftigen Stimmen durcheinanderklingen.
Leutnant Sonzo geht den Beamten entgegen, erstattet kurz und schnell Bericht. Kommissar Grassi hört zu, die Augen auf den Boden gerichtet. Deutet auf die Kokosmatte: „Hier — da, Herr Inspektor Beghi: Der Mörder ist hier durchgegangen. Wenn Herr Leutnant Sonzo alle Fenster verschlossen gefunden hat, dann gibt uns diese Spur sichere Anhaltspunkte.
Eine deutliche Fußspur! — Sofort photographieren, bitte, Abdruck nehmen, muß in der Kriminalabteilung rekonstruiert werden. Blutspritzer!“ Der Kommissar, dessen Untersuchung der Inspektor schweigend und zustimmend folgt, deutet auf das Parkett im Arbeitszimmer. „Laufspuren! Nach vorne, in der Gehrichtung, immer nochmals ein kleinerer ovaler Spritzer. Der Täter verließ hier das Zimmer, ging zur Tür. Bitte, Herr Inspektor, die zugespitzten, gezackten Ränder der Spuren weisen deutlich die Gehrichtung. Hier —“, der Kommissar geht den Weg zurück zur Wohnungstür — „hier am Fenster blieb der Verbrecher stehen. Bitte, diese runden Spuren — wie Blumendolden — kaum gezackt — Stehtropfen!“
Der Kommissar öffnet die Wohnungstür, blickt hinaus, sein Auge schweift die Treppe empor. Er lächelt, auch der Inspektor hat bereits gesehen, daß die äußere Tür ganz oben Einschnitte eines Messers zeigt.
„Das ist uns in der Dunkelheit des Treppenhauses entgangen! Versuche, die Wohnungstür auszuschneiden“, sagt Grassi. „An der dicksten Stelle! Der Mann hält uns für Narren. Ein Verbrecher schneidet so die Türfüllung nicht aus. Das ist Mache! Wir sollen glauben, ein Berufsverbrecher sei am Werk gewesen. Diese Komödie zeigt uns aber, daß kein Berufsverbrecher die Tat begangen hat.
Avanti, meine Herren! Zu dem Toten!“
Alle Beamten arbeiten bereits. Peinlich werden die Fingerabdrücke festgestellt. Der Inspektor bemerkt, daß der Mörder Gummiabsätze getragen hat. Der Absatz läßt sich rekonstruieren.
Grassi kniet neben dem Toten. „Nie läßt es ein gewiegter Verbrecher auf solch einen ungleichen Kampf ankommen. Und dieser Kampf war furchtbar.“
Die Beamten gehen durch alle Zimmer. Blitzschnell flammt es da und dort auf. Der Photograph macht Aufnahmen.
„Der Täter ist mit einem Nachschlüssel eingedrungen. Er hat die. Wohnung auf dem gleichen natürlichen Wege wieder verlassen und die Tür hinter sich abgeschlossen“, sagt der Kommissar. „Allem Anschein nach war er mit der Örtlichkeit gut vertraut. Kaum anzunehmen, daß niemand ihn gesehen haben soll.“
„Weibergeschichten“, bemerkt Cavaliere Beghi, der Polizeiinspektor, lakonisch. Er steht in dem Schlafzimmer des Grafen, hat in dem Papierkorb gekramt und eine in der Mitte durchgerissene Karte herausgeholt, die noch halb im Briefumschlag, steckt. Die Karte geht von Hand zu Hand, nachdem sie sofort auf Fingerabdrücke untersucht worden ist. Sie lautet:
„27. August
Ich komme um zehn Uhr zu Dir, wie immer,
Carissimo! Laß die Tür offen!
Deine Giulietta.“
„Diese Giulietta werden wir ja wohl bald gefunden haben“, meint Leutnant Sonzo. „Die Art der Handschrift verrät gewöhnlichen Durchschnitt. Eine kleine amica — man kennt diese Art Briefchen —“
Der Inspektor betrachtet finster das entfärbte Gesicht des Toten. Seine Hand streicht langsam über das Kinn.
„Die Gräfin Martini ist eine rührend schöne Frau“, sagt er. Die Bemerkung ist ganz unmotiviert.
Cavaliere Beghi, der mit seinen Gedanken öfters abseits ist, wirft einen schnellen Blick auf seine Kollegen. Aber nur Sonzo fragt: „Kennen Sie die Gräfin, Herr Inspektor?“
„Vom Sehen. Eine Tochter Professor Giottis.“
„Giotti?“
„Ja. Eine berühmte Persönlichkeit. Ein großer Arzt.“ Die Leiche Martinis wird mit einem Teppich bedeckt. Die Portière wird hereingerufen, die Gräfin Scudellari, eine Kusine des Toten — die Cicognani kennt sie —, telephonisch benachrichligt. Sie sagt ihr sofortiges Erscheinen zu, um Aufschlüsse zu geben.
Carabinieri haben das Treppenhaus gesäubert, die Straße ist in weitem Umkreis abgesperrt.
Inzwischen erscheint aufgeregt der bekannte Außenredakteur eines der meistgelesenen Morgenblätter: Erneste Grandi. Ein Berichterstatter, der nicht vorgelassen worden war, hat ihm die Alarmnachricht gemeldet. Grandis Aufsätze gegen die Opposition finden seit Jahren das stärkste Interesse Bolognas. Eine Kampfnatur, ergeht er sich sofort in den wildesten Verwünschungen des unbekannten Mörders.
„Das mußte so kommen! Die Frauen! Die Frauen! Was sollte Martini denn beginnen? Ich kenne die Geschichte seiner Ehe mit der Gräfin. Mit dieser Frau könnte kein Mann leben! Die Familie! Der Vater Atheist, der Bruder hemmungslos, die Mutter unterdrückt, die Tochter Maria eine eigenwillige, sich selbst hofierende Frau, emanzipiert. Der Graf mußte ja schließlich galante Abenteuer suchen!“
Inspektor Beghi mahnt den Redakteur zur Ruhe. Es sei hier nicht der Ort, seinem Temperament die Zügel schießer zu lassen und das Eheleben des Grafen zu schmähen. Trotzdem läßt sich Beghi einige Auskünfte erteilen. Ob die Gräfin etwa keinen gemeinsamen Haushalt mit dem Grafen führte? Es seien getrennte Schlafzimmer in der Wohnung, ferner sei es seltsam, daß der Graf allein nach Bologna komme — oder ob das Ehepaar in Venedig eine zweite Wohnung besitze?“
„Ja! Sie wohnen augenblicklich in Venedig, das ist mir bekannt! Es konnte auch kein Geheimnis bleiben, daß Maria Giotti ihren Gatten bereits einmal böswillig verlassen hat. Dann kehrte sie wieder reumütig zurück. Der Graf, ein Mensch von beispielloser Güte, nahm sie wieder auf. Sie lebten aber bald wieder getrennt in der gemeinsamen Wohnung, und Martini trug sich mit dem Gedanken, die Kinder in einem vornehmen Erziehungsheim unterzubringen, um sie dem Einfluß der Mutter zu entziehen!“
„Das ist alles sehr traurig, für uns aber nicht uninteressant“, entgegnet Beghi nachdenklich. „Sind Sie ein Freund der Familie?“