Die Hölle um Maria Giotti. Robert Heymann
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Читать онлайн книгу Die Hölle um Maria Giotti - Robert Heymann страница 6
Richter Castel zeigt bei der Betrachtung dieses Bildes keine Bewegung. Sein regelmäßiges Gesicht bleibt starr wie eine Maske, seine Augen sind überschattet von den starken Brauen, die sich langsam zusammenziehen, bis sie einen einzigen drohenden Strich bilden, eine schwarze Warnung. Sein geschliffener Mund, eine Degenklinge in rhetorischen Duellen, der Mund eines Asketen, an dem zurückgehaltene Leidenschaften um Entfesselung ringen, zieht sich spitz zusammen und verrät Hohn, Ablehnung, Haß.
Inzwischen ist es Richter Castell entgangen, daß die Beamten, eigentlich Leutnant Sonzo, eine wichtige Entdeckung gemacht haben, die für die Ermittlungen den Kriminalisten das bedeutet, was der Schöpferrausch dem Dichter ist, für den Diplomaten die Schwäche des Gegners:
Die Spur.
Sonzo hat unter dem Teppich im Mordzimmer einen zerknitterten Zettel gefunden. Er lautet:
„Für fünfhundert Lire ärztliche Instrumente in Pfand genommen.
Strozzi.
Bologna, 20. August.“
Die Bestätigung ist mit kräftiger Handschrift niedergeschrieben.
„Strozzi“, sagt der Kommissar. „Unbekannt. Einen solchen Pfandleiher gibt es in Bologna nicht.“
„Wir müssen ihn in den Kneipen suchen“, erwidert der Inspektor. Sein Fingernagel deutet auf zwei Worte auf der Rückseite. Der beschmutzte Zettel ist das Stück einer Speisekarte. Uova con — das Weitere ist abgerissen. „Soll heißen: Uova con prosciuto, Eier mit Schinken. Hektographiert! Ein kleines Restaurant also.
Meine Herren, wir haben die Spur des Verbrechers.“
3.
Am Abend des 24. August, zwei Tage also vor der Abreise des Grafen Martini aus Venedig, war es zur letzten Auseinandersetzung zwischen ihm und seiner Gattin gekommen.
Die Szene war so furchtbar, daß Ferdinand Pichi, der Kammerdiener, schreckensbleich nach dem Schlafzimmer der Gräfin stürzte, um ihr zu Hilfe zu kommen. Aber vor der Tür blieb er stehen. Sie war angelehnt, man konnte jedes Wort im Korridor verstehen. Frieda, die Köchin, stand in einem Winkel, Adele, die Zofe, war zu den weinenden Kindern geeilt.
Der Graf war, von einigen angezechten Freunden begleitet, nach Hause gekommen. Vor dem Tor des alten Palazzo hatten sich die Freunde verabschiedet.
Mit schweren Schritten war Francesco Martini die Marmorstufen emporgestiegen. Dieser Palast stammte, wie so viele andere aus der Umgebung des Canal Grande, noch aus den Glanzzeiten der venezianischen Adelsgeschlechter. In den mächtigen Räumen des Inneren versanken förmlich die Menschen, wie die Jahrhunderte in ihnen versunken waren. Nur die Schatten blieben …
Vor dem Gemach der Gräfin blieb Martini stehen.
„Maria“ — er klopft an die schwere Eichentür — „Maria, schläfst du?“
„Nein, Francesco“, tönt die helle Stimme der Gräfin zurück. „Schlafe wohl! Buona notte!“
„Der Teufel soll — —“ brummte Francesco. Und laut: „Öffne, angelo mio!“
„Nein, Francesco, ich bin müde!“
„Aber meine Liebste! Carissima! Nur ein paar Minuten! Ich möchte noch mit dir plaudern!“
Die Gräfin stand vor dem großen Spiegel. Sie trug bereits ihr seidenes Nachtkleid, an den kleinen Füßen bunte Pantoffel. Eher klein als groß, glich sie nicht den norditalienischen Frauen, von denen die Turinerinnen die schönsten sein sollen. Das zarte Gesicht ist nur Hintergrund für die großen, ovalen Augen. Sie können durch Wände und Türen sehen, durch Häuser und Städte, weithin zum Meer, zu fremden Gestaden und Blumen. Sie sind voll Verträumtheit, und die Stirne blüht hell und weiß.
Wieder pochte Martini. Sie fuhr zusammen und raffte die Seide über der mädchenhaften Brust. Mit zuckenden Brauen schaute sie hochmütig zur Tür.
„Wir haben vereinbart, Francesco …“
„Aber nicht, daß ich kein Recht habe, dich zu sehen!“
„Du hast versprochen — geschworen —“
„Alles, Liebste! Nur sehen —“
„Zu so später Nachtstunde“, sagte sie tonlos bittend, legte dann den Kopf zurück. „Nein, Francesco, ich öffne nicht!“
Er hatte auf dies Stichwort gewartet. Vom Wein erhitzt, berauscht von Gesprächen mit den Freunden, erotischen Aufschneidereien, wüsten Phantasien, warf er sich plötzlich mit seinem schweren Körper gegen die Tür, die in ihren Angeln krachte. Sein Brüllen dröhnte durch das ganze Haus. Ein Schwall von Worten folgte. Er sei Herr hier. Nicht nur Mann, — Herr! Was sie sich denke? Ob er etwa noch mit Puppen spiele? Er habe nicht einmal als Knabe dazu Lust gehabt. Sie mache ihn lächerlich, ihn, den Grafen Martini! Vor den Domestiken! Ihr liege eben nichts daran, was Dienstboten denken! Sie mache sich gemein mit ihnen, seine Frau! Die Gräfin Martini! Ihm sei es aber nicht gleichgültig! In seinen Adern fließe — —
Aber da merkt er, daß Marias Hand schon den Riegel zurückgezogen hat.
Die Kinder sind erwacht von dem Lärm und weinen. Maria steht mitten in dem kalten Raum. Es war keine Zeit, diesen runden Turm mit Geschmack auszustatten, sie wohnt ja nur vorübergehend hier. Ein heftiger Sturm weht durch die schlecht schließenden Fenster und läßt die Vorhänge aufwallen, rüttelt an allen Türen im Hause.
Wie zerbrochen steht die junge Gräfin, mit schmerzhaft hochgezogenen Brauen, die Augen voll Erstaunen und Armut. So sind die Männer?
Kalt, frierend, das Unverständliche mit Ekel ablehnend, tritt sie zurück. Er wuchtet ihr nach mit seinem hünenhaften Körper, das Gesicht rot, mit Blicken dem Weib die Hüllen abreißend, sich an vorgefühlter Nacktheit, an ratloser Ablehnung weidend. Seine Hände reißen sie zu sich, betasten sie, ergreifen Besitz.
Sie stöhnt auf, entwindet sich, entkommt, flüchtet leichtfüßig, wirft Raum zwischen ihn und sich, Abgründe schimmern in ihrem Antlitz, ihr roter kleiner Mund zittert vor Entschlossenheit und Gegenwehr.
Ernüchtert starrt er. Schmeichelt. Noch fremder ist er ihr als Bettler. Sie entgegnet zornig. Ihre Nase ist schmal, aber die Flügel beben, hohnvoll wird ihre Abweisung. Sie entflieht ihm wieder, weicht aus, — er taumelt über den Fußschemel, sein Zorn raucht aus Schmerz und Mannqual. Er beugt sich vor, ganz nahe ihren bösen, grüngoldenen Augen. Der Hauch ihres jungen Körpers schlägt über ihn. Er sagt furchtbare Worte. Sie sind nie wieder gut zu machen. Er schleift alles durch den Schmutz: Die Liebe der ersten Zeit ihrer Ehe — ihre Kinder — ihre Familie (ein besonders beliebtes Thema) — und dann fliegen Gegenstände durcheinander. Selbst der Sturm über dem Meer verstummt vor dem Toben dieses Rasenden. Seine Stimme überschlägt sich: „Zu zart bist du? Zu zart für die Liebe? Für meine Liebe? Du Heuchlerin! Du Weibsbild! Ja, ich weiß! Ich habe vor dem Kardinal geschworen, dich nicht zu berühren! Aber man hat mich getäuscht! Man hat mich erpreßt! Du warst aus meinem Haus geflohen! Was sollte ich tun? Man hat mir von deiner schwachen Gesundheit vorgeredet! Ecco! Du bist gesund wie der Fisch im Wasser! Du bist schön, blühst, bist jung! Ich, ein Mann, kraftvoll, die Weiber drehen sich nach mir um, ich soll an dir vorbeischleichen wie ein Aussätziger! Ich will nicht! Nein! Ich will nicht!“