Neuer Terrorismus – Reale Bedrohung oder konstruiertes Forschungsparadigma?. Julia Klein
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![Neuer Terrorismus – Reale Bedrohung oder konstruiertes Forschungsparadigma? - Julia Klein Neuer Terrorismus – Reale Bedrohung oder konstruiertes Forschungsparadigma? - Julia Klein Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag: Sozialwissenschaften](/cover_pre914577.jpg)
Weitere Schlagwörter bei der Unterscheidung zwischen Altem Terrorismus und Neuen Terrorismus, die bis zum 11. September 2001 zur Diskussion standen, sich aber in dieser Art nicht weiter durchsetzen konnten, bezogen sich auf die Zusammensetzung der terroristischen Organisationen. Bruce Hoffman beschrieb einen Wandel von hauptberuflichen, professionellen Terroristen, die ihre gesamte Zeit und ihren vollen Einsatz in der terroristischen Organisation einbringen, wie dies die Mitglieder der RAF taten, hin zu einem „Amateurterrorismus“. Während die alten terroristischen Organisationen nahezu vollständig aus diesen ganztags, professionellen Terroristen bestünden, sei dies bei neuen terroristischen Organisationen nur noch teilweise der Fall. Dies erklärte er als Folge der medialen Entwicklung: Durch das Internet war es für fast jeden möglich geworden, sich über Methoden, wie den Bau einer Bombe, zu informieren, während früher die Befähigung zum Terroristen in Trainingscamps erlernt werden musste, was zeitaufwendig war und sich deshalb wenig mit einem normalen Leben kombinieren ließ. Die wachsende Anzahl von Amateurterroristen machte er unter anderem mitverantwortlich für die wachsende Gewalttätigkeit des Neuen Terrorismus, da ihnen die zentrale Kontrolle durch eine Autorität fehlt.62
Walter Laqueur beschrieb eine andere Beobachtung, die er „Lone Terrorist“ nannte. Er ging von Einzeltätern oder maximal kleinen Gruppen aus, die ohne jegliche Kontrollinstanz auch nicht vor grausamen Anschlägen zurückschrecken würden. Neben einer höheren Gewaltbereitschaft sollten sich diese durch ungewöhnliche Ideologien auszeichnen.63 Kai Hirschmann sah die Zukunft des Terrorismus im „Privatterroristen“, der den Terror mit dem Geschäft vermischt. Dem Privatterroristen stünden hohe finanzielle Ressourcen zur Verfügung, die er teilweise auch aus legalen Geschäften erhält, wobei er jedoch trotz seiner extremen politischen und religiösen Ansichten nicht direkt an den Aktionen beteiligt werden möchte. Als Beispiel sah er Osama bin Laden, der einen Großteil seines Vermögens in die direkte und indirekte Finanzierung des Terrors steckte. Des Weiteren brachte Kai Hirschmann den Begriff „Single Issue-Terrorism“ mit in die Diskussion um den Neuen Terrorismus ein. Er bezog sich dabei auf einen Text von G. Davidson Smith aus dem Jahr 1998.64 Dieser beschrieb den Single Issue-Terrorismus als einen Terrorismus, der sich gegen einen Missstand stellt, der aus politischem Handeln bzw. Nicht-Handeln resultiert. Dabei handelt es sich um Einzelthemen, wie Abtreibung, Tierschutz und Umweltschutz. Die Mitglieder kommen aus allen sozialen Schichten und Berufsgruppen und finden sich nicht in den Organisationen zusammen, um eine gesamte gemeinsam geteilte Ideologie zu verteidigen, sondern um eine Schnittpunkthema ihrer Ideologien mit terroristischen Mitteln durchzusetzen. Die Anschläge finden lokal statt, jedoch existiert das Phänomen weltweit. Die Kommunikation untereinander findet damals schon hauptsächlich durch das Internet statt.65 Keine dieser drei Arten hat sich jedoch weiter als ein Typus des Neuen Terrorismus in der Diskussion verfestigt. Meist wurden Abtreibungsgegner zu rechts-konservativen oder religiösen terroristischen Organisationen mit dazu gezählt und die Ökoterroristen zu links-sozialrevolutionären terroristischen Organisationen. Im Laufe der Zeit hat sich zumindest der Ökoterrorismus als eigenständige Terrorismusform in der wissenschaftlichen Diskussion etabliert, jedoch abseits des Neuen Terrorismus.66
2.2 Alter und Neuer Terrorismus in der Literatur nach dem 11. September 2001
Nach den Anschlägen des 11. September 2001 erscheint die Einteilung in Alten und Neuen Terrorismus in der Diskussion eindeutiger und einheitlicher. Die unterscheidende Line verläuft nicht mehr hauptsächlich zwischen alten und neuen Anschlägen, sondern auch zwischen alten und neuen terroristischen Organisationen. Al Qaeda hat sich mit dem Anschlag auf das World Trade Center, das Pentagon und das Weiße Haus zum Prototyp des Neuen Terrorismus qualifiziert, an dem sich die Eigenschaften im Diskurs messen lassen müssen. Organisationen wie die ETA, IRA, PLO, RAF stehen nun als typische alte terroristische Organisationen Al Qaeda als typischer neuer terroristischer Organisation gegenüber.67
Eine neue Unterscheidung zwischen alten und neuen terroristischen Organisationen erkennen Autoren wie Steven Simon, Paul Wilkinson, Wolfgang Kraushaar oder Lord Anthony Giddens in der Struktur der terroristischen Organisationen. Alleine Bruce Hoffman hatte bereits 1998 und 1999 auf diese Unterschiede hingewiesen.68 Während alte terroristische Organisationen meist kleine, hierarchisch angeordnete Organisationen mit einer strikten Befehls-, Kontroll- und Kommunikationsstruktur sind,69 stellen sich die neuen terroristischen Organisationen als große, diffuse und amorphe Gebilde dar. Die neuen terroristischen Organisationen bestehen nur noch aus autonomen, lose miteinander verbundenen Zellen, ohne eine hierarchische, teilweise sogar ganz ohne eine klar erkennbare Organisations- und Mitgliederstruktur.70 Meist ist die Führung nur noch spirituell und nicht mehr strategisch. Der Zusammenhalt der Organisationen bleibt trotz der fehlenden strategischen Führungsperson bestehen. Ein gemeinsamer Glaube und eine spirituelle Inspiration ersetzen diese.71
Es gibt jedoch auch einige Autoren, die die Entwicklung zu komplett autonomen, dezentralisierten Gebilden mit Einschränkungen sehen. Peter Neumann beschreibt die neuen terroristischen Organisationen nach wie vor als kleine Organisationen, deren Strukturen nur diffuser geworden sind.72 An dieser Stelle spiegelt sich das unterschiedliche Verständnis von „Organisation“ und „Netzwerk“ wieder. Die Unsicherheit, wann eine Organisation schon ein Netzwerk ist und in wie viele Ebenen es sich aufteilen lässt, zeigt sich besonders bei Al Qaeda. Während einige Autoren Al Qaeda als eine terroristische Organisation beschreiben,73 die sich in netzwerkartig miteinander verbundene Zellen teilt, ist sie für andere: „… eine Organisationsstruktur, die ähnlich wie ein globales Unternehmensnetzwerk aufgebaut ist und aus Terrorgruppen in über 40 Ländern besteht.“74 Brian Michael Jenkins und Paul Wilkinson sehen bei Al Qaeda noch eine hierarchische Kommunikations- und Führungsstruktur als vorhanden an, während Martha Crenshaw dagegen Al Qaeda nach 2001 als ein vollkommen dezentralisiertes Netzwerk beschreibt. Dies bleibt jedoch für sie das einzige Beispiel einer dezentralisierten religiösen terroristischen Organisation.75 Renate Mayntz, die sich ausführlich mit Organisationsformen von terroristischen Organisationen beschäftigt hat, sieht die Grenze allerdings fließend und spricht von Hybriden-Organisationen: „… the boundary between a decentralized organization and a well-connected network may appear fluid …“