Neuer Terrorismus – Reale Bedrohung oder konstruiertes Forschungsparadigma?. Julia Klein
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![Neuer Terrorismus – Reale Bedrohung oder konstruiertes Forschungsparadigma? - Julia Klein Neuer Terrorismus – Reale Bedrohung oder konstruiertes Forschungsparadigma? - Julia Klein Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag: Sozialwissenschaften](/cover_pre914577.jpg)
Besonders die Religion als Ideologie des Neuen Terrorismus bietet immer wieder Angriffsfläche in der Diskussion um die Neuwertigkeit. Alexander Spencer und Isabelle Duyvesteyn weisen darauf hin, dass die Religion schon seit Jahrtausenden als Motiv für terroristische Organisationen existiert. Zum anderen führen sie terroristische Organisationen auf, denen sie einen religiösen Anteil in der Ideologie zusprechen, die in der Debatte um den Neuen Terrorismus jedoch als alte terroristische Organisationen bezeichnet werden. Dazu zählen zum Beispiel die Ulster Freedom Fighters (UFF), die IRA, die Irgun, die Front de Libération de Nationale (FLN), und die Ethniki Organosis Kyprion Agoniston (EOKA).139
Nicht nur die Religion als Ideologie terroristischer Organisationen muss sich diesem Vorwurf stellen. Anthony Field erkennt eine gewisse Kontinuität im Verhalten terroristischer Organisationen und schreibt 2009 über den Neuen Terrorismus: „In short, it appears that the characteristics of the ‚new terrorism‘ are not particularly new.“140 Er stellt neben der Religion ebenso die Unverhandelbarkeit der Ziele, den Einsatz von Massenvernichtungswaffen, die Internationalisierung, die Netzwerkartigkeit, die Tödlichkeit und die undifferenzierte Opferwahl von terroristischen Organisationen in Frage.141 David Tucker dagegen sieht zumindest den Einsatz von Massenvernichtungswaffen als neuen Weg der Aufmerksamkeitserregung an: „In sum, the one thing new about the new terrorism ist the increased likehood of the use of CBNR weapons.“142 Für Alexander Spencer ist auch der Selbstmordterrorismus kein neuer Aspekt terroristischer Organisationen. Als Beispiel führt er die Assassinen an, die bereits ca. 1100 nach Christus in vollem Bewusstsein dazu bereit waren, bei Angriffen ihr Leben zu opfern. Auch die Tamil Tigers, die er offensichtlich zu der Kategorie des Alten Terrorismus zählt, führt er hierbei als Beispiel auf. Er verweist auf den außergewöhnlich hohen Anteil von Selbstmordattentaten am gesamten Terrorismus zwischen 1980 und 2000.143
An diesen Beispielen wird deutlich, dass nicht nur die Argumente für, sondern auch gegen die Existenz eines Neuen Terrorismus zum Großteil nur durch einzelne Fallbeispiele getragen werden, aber auch wie abhängig die Richtung der Argumentation von der Definition eines Neuen Terrorismus ist. Neben der Datenproblematik144 dieses Fallbeispiels liegt das Problem vor allem in der Verwendung der terroristischen Organisation als Untersuchungsbereich. Dass die LTTE als Gegenbeispiel für das Verhalten des Alten Terrorismus über einen Zeitraum von 1980 bis 2000 herangezogen wird, impliziert zum einen, dass sie in die Kategorie „alte terroristische Organisation“ gehört, auch nach 1990 weiterhin zur dieser Kategorie gehört und eine Veränderung im Verhalten ausgeschlossen wird. Zum anderen zeigt die reine Betrachtung der Anwendung von Selbstmordattentaten durch die LTTE, dass diese erst seit 1990 zum Repertoire der LTTE gehören, obwohl sie schon seit 1975 mit Anschlägen aktiv ist. Versteht man Neuen Terrorismus als eine Verhaltensänderung des Terrorismus insgesamt und nicht als ein umfassendes Verhaltenskonzept einzelner terroristischer Organisationen, spricht diese Datenlage jedoch eher für das Forschungsparadigma eines Neuen Terrorismus, da in diesem von einem Anstieg der Selbstmordattentate seit Beginn der neunziger Jahre ausgegangen wird.
Auch Thomas Copeland kritisiert, dass sich die Argumentation vor allem auf einzelne Anschläge als Beweise für den Neuen Terrorismus stützt. Den Beginn des Neuen Terrorismus Anfang der neunziger Jahre versucht er mit Gegenbeispielen zu widerlegen: Die Anschläge 1993 auf das World Trade Center und 1995 auf das Murrah Federal Building in Oklahoma City beschreibt er zwar als schockierend jedoch nicht als neu, da es bereits davor Anschläge auf amerikanische Staatsbürger gab, wie zum Beispiel den Anschlag 1983 auf Marine Kasernen in Beirut. Dem Anschlag 1995 auf die U-Bahn in Tokio gesteht er zwar zu, die psychologische Hemmschwelle zum Gebrauch von Massenvernichtungswaffen durchbrochen zu haben, weist jedoch darauf hin, dass es seit 1968 bereits 60 Versuche gab, Massenvernichtungswaffen einzusetzen. Zum anderen sieht er in vielen Anschlägen, die als typische Anschläge des Neuen Terrorismus gelten, einige Eigenschaften, die eher unter die Kategorie Alter Terrorismus fallen. In dem Anschlag 2000 auf die USS Cole im Jemen sieht er keinen klassischen Anschlag des Neuen Terrorismus, da dieser gezielt gegen Militärpersonal gerichtet ware und mit einer konventionellen Bombe durchgeführt wurde. Vor allem die Anschläge von 2001 auf das World Trade Center, das Pentagon und das Weiße Haus ein Beweis sind für ihn ein Beweis gegen die These eines Neuen Terrorismus. Wie bei vielen Anschlägen in der Vergangenheit nutzten die Attentäter die Methode einer Flugzeugentführung und beschränkten sich auf Messer als Waffen. Auch aufgrund der hohen symbolischen Wirkung der Ziele und der staatlichen Unterstützung durch Afghanistan und den Irak in Form von Rückzugsgebieten, Dokumenten, Geld und Informationen lässt er die Anschläge nicht als Beweis für die Existenz eines Neuen Terrorismus gelten. Insgesamt kommt er zu der Erkenntnis, dass die gelieferten Argumente nicht ausreichen und es zum damaligen Zeitpunkt zu früh sei, um einen Paradigmenwechsel auszurufen.145
Den Autoren des Neuen Terrorismus werden in der Metadiskussion neben dem Wunsch nach wissenschaftlicher Erkenntnis auch weitere Absichten unterstellt, die sie dazu verleiten einen Paradigmenwechsel in der Terrorismusforschung zu unterstützen. Martha Crenshaw richtet hierbei Vorwürfe explizit in Richtung der wissenschaftlichen Gemeinde. Sie unterstellt einigen Autoren, vor allem aber Anfängern, eine absichtliche Eingrenzung des Untersuchungsbereichs. Die zeitliche Eingrenzung auf den Zeitraum nach 1990 und die Fokussierung auf die Religion als alleinige erklärende ideologische Variable sieht sie als Ausweg um sich nicht mit dem gesamten komplexen Phänomen des Terrorismus auseinander setzen zu müssen. Den Grund für politische Akteure auf das Bild des Neuen Terrorismus zurückzugreifen sieht sie ebenfalls im Bereich der Komplexitätsreduktion. Das Zurückgreifen auf einfache Metaphern und Analogien, wie sie häufig bei der Beschreibung des Neuen Terrorismus verwandt werden, erspare diesen Akteuren Zeit und Energie in einer komplexen Informationswelt.146
Der häufigste Vorwurf der den Autoren des Neuen Terrorismus jedoch gemacht wird, ist die politische Erwünschtheit des Paradigmenwechsels. Das Szenario des Neuen Terrorismus impliziert das Bild einer in diesem Ausmaß noch nie dagewesenen Bedrohung, die nach entsprechenden Gegenmaßnahmen verlangt. Der Neue Terrorismus bietet ein präzises und bedrohliches Feindbild eines global agierenden, wahllosen und unverhandelbaren Terrorismus, der einen neuen globalen Kampf gegen den Terrorismus rechtfertigt. Der Zuschauer wird damit von der Notwendigkeit der Maßnahmen überzeugt, um die Legitimation für eine Ressourcenerhöhung der einzelnen Akteure zu erreichen. Es würden hierbei sogar direkte militärische Aktionen oder die Einschränkung von Freiheitsrechten legitimiert.147