Neuer Terrorismus – Reale Bedrohung oder konstruiertes Forschungsparadigma?. Julia Klein
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Ein weiteres spektakuläres Mittel, zu dem die neuen terroristischen Organisationen greifen, ist das Selbstmordattentat. Während in der Diskussion vor 2001 Selbstmordattentate in Bezug auf den Neuen Terrorismus nicht thematisiert oder nicht als neues Phänomen dargestellt wurden,104 ändert sich dies nach dem 11. September 2001. Das Selbstmordattentat als Mittel scheint nun der Logik des Neuen Terrorismus zu folgen, vor allem in Kombination mit religiösen Ideologien: das „Ewigkeitsversprechen“ und der Moment des Märtyrertums der Religionen versetzt die Täter überhaupt erst in die Lage, Ihre eigene Angst zu überwinden und ihren Tot als Bedingung zur erfolgreiche Ausführung eines Anschlags in Kauf zu nehmen.105 Selbstmordattentate werden von vielen Autoren als spektakuläre, undifferenzierte und maßlose Mittel des Neuen Terrorismus beschrieben.106
Neben den Selbstmordattentaten kommt ein weiteres Mittel der neuen terroristischen Organisationen in die Diskussion, das bereits vor 2001 zur Debatte stand, zu dieser Zeit jedoch anders bewertet wurde. Steven Simon und Daniel Benjamin waren sich bereits 2000 sicher, dass die neuen terroristischen Organisationen Massenvernichtungswaffen einsetzen werden, um besonders spektakuläre Bilder zu erzeugen und besonders viele Menschen zu töten.107 Bruce Hoffman dagegen hielt vor 2001 den Gebrauch von Massenvernichtungswaffen für sehr unwahrscheinlich, da er große technologische Schwierigkeiten bei deren Einsatz sah. Für ihn war dieses Szenario höchsten bei religiösen terroristischen Organisationen in Kombination mit Amateurterrorismus denkbar. Die damalige Wahrnehmung der Gefahr durch Massenvernichtungswaffen beschrieb er insgesamt als überproportional und realitätsfern.108 Auch Walter Laqueur war sich sicher, dass Massenvernichtungswaffen in Zukunft eher wenig benutzt würden, weil ihr Gebrauch kontraproduktiv für die terroristischen Organisationen sei, da sie zum einen schwer zu handhaben sind und zum anderen auch die eigene Bezugsgruppe gefährden würden.109 Martha Crenshaw ließ die Beantwortung nach der Wahrscheinlichkeit von Anschlägen mit Massenvernichtungswaffen offen, vermutet jedoch auch eine Überbewertung.110 Obwohl im Gegensatz zu dem Anschlag 1995 auf die Tokioter U-Bahn durch Aum Shinrikyo bei dem Anschlag 2001 durch Al Qaeda keine Massenvernichtungswaffen eingesetzt wurden, scheint sich die Erwartungshaltung gewandelt zu haben. Viele Autoren halten danach den Einsatz von Massenvernichtungswaffen durch die neuen terroristischen Organisationen zumindest für eine denkbare Möglichkeit.111 Selbst Bruce Hoffman sieht nun auch die zukünftige Bedrohung des Terrorismus bei den Massenvernichtungswaffen.112 Einige Autoren zeigen sich allerdings immer noch kritisch, was den zukünftigen Einsatz von Massenvernichtungswaffen angeht. Einer steigenden Motivation, diese Waffen zu benutzen, sehen sie praktische Hindernisse gegenüber stehen.113 Aber auch, wenn sich die Autoren nach 2001 immer noch nicht einig sind über den Gebrauch von Massenvernichtungswaffen, zeigt die umfassende Auseinandersetzung mit dem Thema, in welchem Bereich die tatsächliche Bedrohung der Massenvernichtungswaffen liegt: „Terrorists’ actual capabilities, ambitions, and fantasies blur with our own speculation and fears to create what the terrorists want: an atmosphere of alarm.“114
Ein Element des Neuen Terrorismus, das sowohl vor als auch nach dem 11. September 2001 eine große Bedeutung hat, ist ein vermehrtes Auftreten des religiösen Terrorismus. Es wird von fast allen Autoren in den Texten zum Neuen Terrorismus mit aufgeführt und häufig in Verbindung mit anderen Aspekten, wie Selbstmordattentaten und Massenvernichtungswaffen genannt. Die Gewalt als sakrales Element in den neuen religiösen Organisationen wird hierbei als die zentrale Bedrohung gesehen.115 Die Autoren begründen dies aus der Logik einer fundamentalistischen Religion mit apokalyptischen Zielen heraus: ein anderes Wertesystem mit anderen Mechanismen der Legitimation, moralischen Vorstellungen und Weltansichten, legitimierte Gewalt gegen die „Anderen“. Die Welt werde in Gut und Böse geteilt, damit gäbe es keine Unschuldigen mehr, nur Anhänger und Feinde. Es existiere aber auch kein politisches Kalkül mehr. Verhandlungen seien nicht mehr ein Schritt zum Ziel, da die Ziele nicht mehr verhandelbar sind, sondern absolut. Das Ziel besteht in der Vernichtung des Feindes, um einem auserwählten Kreis von Anhängern die Erlösung in einer neuen Welt zu bringen.116 Daniel Benjamin und Steven Simon betonen dieses Zusammenspiel von Religion und Gewalt im Neuen Terrorismus in einem Artikel im Jahr 2000 in der New York Times: „It is just this combination – religious motivation and a desire to inflict catastrophic damage – that is the new to terrorism.“117 Häufig wird die fundamentalistische Auslegung des Islam, der Islamismus, als Stereotyp einer gewalttätigen religiösen Ideologie erwähnt. Martha Crenshaw, Mark Juergensmeyer, Steven Simon, Daniel Benjamin und Peter Neumann weisen jedoch darauf hin, dass dies ebenso für christliche, jüdische oder pseudo-religiöse oder andere religiöse Ideologien bei terroristische Organisationen gilt.118
Religiöser Terrorismus wird nicht in dem Sinne als neu beschrieben, dass es ihn bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben hätte. Vielmehr wird ein Wiedererstarken religiöser terroristischer Organisationen wahrgenommen, die im letzten Jahrhundert nur von anderen ideologischen Ausrichtungen überschattet wurden. Das Wiedererstarken des religiösen Terrorismus in den neunziger Jahren wird zum einem mit dem Jahrtausendwechsel begründet. Dieses Ereignis hat für religiöse und quasi-religiöse terroristische Organisationen einen apokalyptisch-millenarischen Charakter. Vor allem werden die Gründe aber im ökonomischen und politischen Bereich gesehen: Globalisierung und Demographischer Wandel und die Modernisierung haben zu Unsicherheiten und Ungewissheiten geführt, auf die säkulare Ideologien keine Antwort geben konnten. Die Religion soll aber vermeintlich ideologische Klarheit bringen.119 Nicht zuletzt die Tatsache, dass die Anschläge 2001 auf das World Trade Center, das Pentagon und das Weiße Haus durch religiös motivierte terroristische Organisationen verübt wurden, führte bei den Autoren dazu, die religiöse Ideologie als eine zentrale Eigenschaft des Neuen Terrorismus wahrzunehmen. Dies bezieht sich ebenso auf die meisten spektakulären Anschläge in den neunziger Jahren, bei denen