Neuer Terrorismus – Reale Bedrohung oder konstruiertes Forschungsparadigma?. Julia Klein
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![Neuer Terrorismus – Reale Bedrohung oder konstruiertes Forschungsparadigma? - Julia Klein Neuer Terrorismus – Reale Bedrohung oder konstruiertes Forschungsparadigma? - Julia Klein Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag: Sozialwissenschaften](/cover_pre914577.jpg)
Neben Veränderungen in der Führungs- und Kommunikationsstruktur ist der Grad der Internationalisierung ein weiteres strukturelles Merkmal, das in der Diskussion um eine steigende Netzwerkartigkeit aufgegriffen wird. Während Bruce Hoffman für die neunziger Jahre einen Rückgang internationaler Anschläge aus US-amerikanischer Sicht anmerkt, und Rueven Paz nur für den islamistischen Terrorismus eine globale Ausbreitung sieht, ändert sich dies nach dem 11. September 2001.80 Während die alten terroristischen Organisationen lokal begrenzt aktiv werden in Bezug auf Planung, Rekrutierung und Ausführung der Anschläge,81 wird den neuen terroristischen Organisationen ein globaler Charakter zugesprochen. Die neue terroristische Organisation erscheint als globales Unternehmen mit geo-politischen Zielen, dessen Mitglieder sich multinational zusammensetzen und das weltweit rekrutiert und Finanzquellen erschließt. Der wichtige Unterschied zu den alten terroristischen Organisationen liegt jedoch in einer Veränderung bis hin zur Transnationalität, der jeder lokale Bezugspunkt fehlt.82 Die Entwicklung zu internationalen Verbindungen wird auch den alten terroristischen Organisationen in den letzten 30 Jahren zugesprochen, diesen blieb jedoch meist ein geographischer Bezugspunkt.83 Die neuen terroristischen Organisationen scheinen einen Schritt weiter beim Grad der Internationalisierung zu gehen. Sie bewegen sich in transnationalen Räumen ohne festes Basisland und bilden in diesem Räumen ihre Netzwerke in alle Richtungen aus.84 Den Grund für diese Ausbreitung sieht Peter Neumann vor allem in der technischen Entwicklung. Niedrige internationale Reisekosten und moderne Kommunikationstechnologien ermöglichen die Transnationalisierung. Aber auch die Identitätskrise vieler Migranten, denen die Verbundenheit zu einem nationalen Bezugspunkt fehlt, gehört für ihn zu den Hauptgründen.85 Brian Michael Jenkins erkennt in Al Qaeda eine der ersten terroristischen Organisationen, die sich das Modell eines globalen Unternehmens angeeignet haben.86 Die meisten Autoren teilen die Ansicht, dass es sich bei Al Qaeda eindeutig um eine internationale Organisation handelt.87 Thomas R. Mockaitis weist dagegen darauf hin, dass sich zumindest die Anschläge selbst bei diesem vermeintlichen Prototyp einer transnationalen terroristischen Organisation, neben den zwei Anschlägen 1993 und 2001 in den USA, auf Afghanistan und den Irak beschränken. Er bezweifelt aber auch insgesamt die geographische Ausbreitung der Ziele. 88
Einige – aber nicht alle – Autoren nehmen ein neues Verhältnis terroristischer Organisation zu Staaten und Regierungen wahr. Insgesamt hatte die staatliche Unterstützung des Terrorismus nachgelassen. Walter Laqueur weist daraufhin, dass der staatlich geförderte Terrorismus jedoch nicht ganz verschwinden wird. Zwar sind die Sowjetunion und einige europäische Staaten als Unterstützer weggefallen, dennoch gibt es immer noch einige Staaten im Nahen Osten, die terroristische Organisationen nach wie vor unterstützen. Während die alten terroristischen Organisationen durch eigene oder ausländische Regierungen kontrolliert, finanziell oder strategisch unterstützt oder sogar beauftragt würden,89 seien die neuen terroristischen Organisationen dagegen unabhängiger von Staaten und Regierungen. Durch neue finanzielle Quellen, die sich hauptsächlich im illegalen Bereich bewegen, sollen sie weniger auf finanzielle und strategische staatliche Unterstützung angewiesen. Neben Kidnapping, Drogenschmuggel und Betrug, gehen einige terroristische Organisationen jedoch auch legalen Geschäften nach.90 Rueven Raz dagegen sieht jedoch die Trennlinie nicht zwischen alten und neuen terroristischen Organisationen, sondern zwischen säkularen und religiösen terroristischen Organisationen. Religiöse terroristische Organisationen waren für ihn noch nie Empfänger staatlicher Unterstützung, außer der Hamas und Hezbollah, die er als Ausnahmen bezeichnet.91
Eine Willkür bei der Opferauswahl haben bereits Walter Laqueur und Bruce Hoffman Ende der neunziger Jahre angesprochen.92 Nach den Anschlägen des 11. September 2001 auf das World Trade Center, das Pentagon und das Weiße Haus, bei denen die meisten der fast 3.000 Todesopfer Zivilisten waren, steht dieser Aspekt noch stärker im Mittelpunkt des Diskurses um den Neuen Terrorismus. Viele Autoren weisen darauf hin, dass die alten terroristischen Organisationen Gewalt selektiv, begrenzt und überlegt gegen symbolische Ziele einsetzten. Moral, Image und Verhaltenskodizes, aber auch der Zuspruch von Unterstützern, Publikum und eigener Bezugsgruppe hielten diese terroristischen Organisationen davon ab, Unschuldige zu Opfern ihrer Anschläge zu machen.93 Peter Neumann weist jedoch darauf hin, dass auch den alten terroristischen Organisationen Zivilisten zum Opfer fielen, dies war jedoch die Ausnahme und wurde durch die terroristischen Organisationen zumindest begründet, z.B. als Kollateralschaden.94 Bei den neuen terroristischen Organisationen scheint der Angriff auf Zivilisten oder zumindest die Inkaufnahme von zivilen Opfern zur Routine zu werden. Anthony Giddens und Wolfgang Kraushaar sprechen von einer „Entgrenzung der Gewalt“ und beziehen sich dabei auf diese willkürliche Opferauswahl bzw. die Inkaufnahme von zivilen Opfern, aber auch auf die insgesamt steigenden Opferzahlen.95
Stärker als in den neunziger Jahren wird die hohe Opferzahl bezogen auf einzelne Anschläge, aber auch auf den Terrorismus insgesamt zu einem Thema, da die Anzahl der Verwundeten und Getöteten in einem überdurchschnittlichen Maße ansteigt.96 Massentötungen als das neue Ziel von neuen terroristischen Organisationen und eine steigende Brutalität der Taktiken und Mittel stehen im Mittelpunkt der Diskussion.97 Zwar steigen die Zahlen der Opfer seit Ende der sechziger Jahre kontinuierlich leicht an, den „großen Sprung“ gibt es aber erst nach den neunziger Jahren. Die Entwicklung des Tötens von einem Mittel zum Ziel und die damit verbundene erhöhten Gewaltbereitschaft in Form von steigenden Opferzahlen erkannte auch Brian Michael Jenkins als das wichtiges Element eines Neuen Terrorismus. Während er 1975 noch schrieb „Terrorists want a lot of people watching, not a lot of people dead“98, konstantiert er dagegen 2006: „Many of today’s terrorists want a lot of people watching and a lot of people dead.“99 Die Hauptgründe für die anwachsende Gewalt sieht er zum einen in dem wachsenden Druck, durch immer brutalere Anschläge immer spektakulärere Bilder in den Medien zu erzeugen, im Kampf um die größten Schlagzeilen. Zum anderen ist für ihn die Verschiebung von rein politischen