Politische Justiz. Otto Kirchheimer
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30 Über Caillaux’ Bild in den Augen seiner Wähler, die ihn nach seiner Rückkehr in die Politik in den zwanziger Jahren zum Senator und Generalratspräsidenten seines Departments machten, siehe Emile Roche: Caillaux que j’ai connu, Paris, 1949. Dies Kapitel war bereits abgeschlossen, als eine neue gründliche Arbeit über Caillaux als Politiker erschien: Rudolph Binion: Defeated Leaders. The Political Fate of Caillaux, Jouvenel and Tardieu, New York, 1960, S. 18-116. Diese Studie sieht bei Caillaux allerdings keine geschlossene außen- und innenpolitische Konzeption, sondern neigt eher dazu, seine Haltung in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg aus dem Zusammenspiel von gegensätzlichen Tageseinflüssen und taktischen Schachzügen zu erklären.
31 In späteren Jahren wurde Caillaux heftig angegriffen, weil er die Emission von Industriepapieren allzu eifrig gefördert, namentlich aber als Chef der Finanzverwaltung die Ausgabe von Schwindelaktien zugelassen habe; auf diese Weise seien den Kleinrentnern erhebliche Sparkapitalien verlorengegangen.
32 Vergleiche seine eigene Version dieses revolutionären Versuchs, den Frieden auf dem Kontinent zu erhalten: Joseph Caillaux: Agadir. Ma politique extérieure, Paris, ohne Jahr {Copyright 1919}.
33 Dass er damals das Kabinett für seine Politik gewann, war nach Caillaux’ Meinung der eigentliche Grund der wütenden Feindschaft Poincarés. Diese Meinung wurde von vielen geteilt. Baron Guillaume, der belgische Gesandte in Paris, berichtete seiner Regierung am 10. März 1914, dass Poincaré die Politik Caillaux’ schärfstens kritisiere; Caillaux sei ihm als der eigentliche Regierungschef aufgezwungen worden, für dessen Politik Ministerpräsident Gaston Doumergue (1863 - 1937) nur seinen Namen hergebe; siehe Caillaux: Meine Gefangenschaft … (siehe oben Anmerkung 28), S. 25 f. Anmerkung.
34 Die »überwiegende Mehrheit unter den Franzosen« sei für Caillaux’ radikale Steuer- und Sozialpolitik, meldete der belgische Gesandte am 10. März (abgedruckt bei Caillaux: ebda.).
35 Das Kabinett hatte Caillaux den Rücktritt nicht nahegelegt und hätte vielleicht nie gewagt, ihn Caillaux zuzumuten. Sein Abschiedsgesuch kam, bevor Poincaré dazu gekommen war, einen Druck auf das Kabinett auszuüben.
36 Caillaux hatte keine Illusionen über die deutsche Presse: Nach seiner Ansicht besorgte sie die Geschäfte der deutschen Regierung und der deutschen Industrieführung, denen, wie er glaubte, an einem langen Krieg gelegen war und mit einer starken Friedensbewegung in Frankreich nicht gedient gewesen wäre. Nur hatte er es unterlassen, Minotto in diesem Sinne zu belehren.
37 Minottos Rolle in der Affäre ist nie aufgeklärt worden. Er kehrte nach New York zurück, heiratete eine Erbin des Swift-Fleischkonservenkonzerns und wurde 1917 als feindlicher Ausländer interniert, angeblich als Sohn einer Deutschen. Noch 1921 behauptete Caillaux öffentlich, dass die französische Regierung die Internierung veranlasst habe, um Minotto daran zu hindern, die Anklage im Caillaux-Prozess zu entkräften. Tatsächlich wurde James Minotto, Sohn der weltberühmten deutschen Schauspielerin Agnes Sorma (1921 in Arizona gestorben), in Amerika nie wegen Spionage verfolgt oder auch nur verdächtigt. Seit 1921 amerikanischer Bürger, stieg er nicht nur zu hohen Würden im Bank-und Versicherungsgeschäft auf, sondern war auch wiederholt Mitglied des Staatssenats von Arizona. Später war er stellvertretender Leiter der Marshall-Plan-Mission in Italien (1950/51) und Leiter der USA-Hilfsmission in Portugal (1951 - 1955). Seit 1958 ist er Präsident und Chairman of the Board der Bank of Phoenix (Arizona).
38 Verhandlung der Haute Cour vom 25. Februar 1920 nach einem Bericht in: Le Temps, Jahrgang 60, Nr. 21396, 27. Februar 1920, S. 3, Sp. 3.
39 T. B. Howell (Hg.): A Complete Collection of State Trials and Proceedings for High Treason and Other Crimes and Misdemeanors from the Earliest Period to the Present Time, Band II (1603 - 1627), S. 870-879.
40 Wortlaut des Urteils in: Recueil Dalloz, Jurisprudence Générale, 1923, Teil II, S. 34-37.
41 Journal Officiel de la République Française. Débats Parlementaires, Chambre des Députés, 11e Législature, 1917, S. 2980 (118. Sitzung vom 20. November 1917).
42 A.a.O., 1917, S. 3495 (140. Sitzung vom 22. Dezember 1917).
43 A.a.O., 1918, S. 66 (Sitzung vom 15. Januar 1918); S. 384 (Sitzung vom 8. Februar 1918).
44 Poincaré: Au Service … (siehe oben Anmerkung 27), S. 399.
45 Joseph Caillaux: Mes Mémoires, Band III: Clairvoyance et force d‘âme dans les épreuves, 1912 - 1930, Paris, ohne Jahr {Copyright 1947}, S. 203, spielt darauf an, dass sich ein militärischer Untersuchungsrichter für die Anwendung der Todesstrafe ausgesprochen habe; wie andere Armeejuristen darüber dachten, kann nur gemutmaßt werden.
46 »Horizontblau«, die Farbe der französischen Uniform im Ersten Weltkrieg, galt als Symbol des extremen Nationalismus und bezeichnete in der politischen Topographie eine Rechtskoalition mit betont konservativem Vorzeichen.
47 Aussage vor der Haute Cour am 17. März 1920 nach einem Bericht in: Le Temps, Jahr-gang 60, Nr. 21417, 19. März 1920, S. 2, Sp. 6. Le Temps brachte detaillierte Prozessberichte, in denen auch die Zeugenaussagen ausführlich wiedergegeben wurden.
48 Beratung der Haute Cour am 16. April 1920 nach einem Bericht in: Le Temps
49 Beratung der Haute Cour am 25. Februar 1920 nach einem Bericht in: Le Temps, Jahrgang 60, Nr. 21396, 27. Februar 1920, S. 3, Sp. 3 f.
50 Caillaux: Meine Gefangenschaft … (siehe oben Anmerkung 28), S. 304. Während des Prozesses, in dem Danton auf die Guillotine geschickt wurde, soll ein Geschworener gesagt haben: »Das ist kein Prozeß; das ist eine Maßnahme. Wir sind keine Geschworenen, wir sind Staatsmänner … Zwei {Führer} können nicht bleiben … Einer muß untergehen.« So sollte auch Clemenceau erklärt haben: »In der Regierung gab es 1917 Platz nur für Caillaux oder für mich.« Caillaux: Mes Mémoires … (siehe oben Anmerkung 45), S. 210, kommentiert: »Derjenige, der nicht auserkoren worden war, mußte verschwinden.«
51 In seiner damaligen