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Allerdings ist es nicht immer ganz so einfach, die für den Prozess herausdestillierte wirkliche oder erfundene Straftat mit den politischen Zielen in Zusammenhang zu bringen, die von ihr angeblich hatten gefördert werden sollen. Ob sich das Gleichsetzungsbild voll entfalten und dem Massenbewusstsein einprägen lässt, hängt je nach den Umständen von gesetzlichen und strafprozessualen Vorschriften ab, davon, wie die Vorschriften vom Gericht gehandhabt werden, und davon, wie sehr die Prozessbeteiligten an der eingehenden Darstellung der Zusammenhänge interessiert sind. Vor allem gibt das Interesse der Parteien im Rahmen des englischen und amerikanischen Strafprozesses den Ausschlag, wo ihnen denkbar große Freiheit in der Heranziehung oder Ausschaltung von Beweismitteln eingeräumt wird. Die Prozessparteien können sich – aus diametral entgegengesetzten Gründen – einen günstigeren Ausgang davon versprechen, dass der Umkreis der gerichtlichen Untersuchung in den engsten Grenzen gehalten wird und im Verfahren nur ein winziger Ausschnitt der Wirklichkeit zum Vorschein kommt. Nun kann das beschnittene Bild an Sinn und Bedeutung verlieren und dennoch politisch überaus wirksam sein.
Auch dafür liefert der Fall Hiss ein Beispiel. Von der Verhandlung war nur ein symbolisches Bild übriggeblieben: Der Intellektuelle als Verräter. Was aber wäre aus dem politischen Schlagereffekt dieses Bildes geworden, wenn man versucht hätte, bestimmten Dingen auf den Grund zu gehen? Hätte man nicht erfahren können, welche geistigen oder seelischen Vorgänge Hiss zu diesen oder jenen Handlungen geführt hatten? Hätte man nicht die Bedeutung der weitergegebenen Dokumente mit der Bedeutung anderer Dokumente vergleichen können, zu denen Hiss ebenfalls Zugang hatte und die nicht entwendet wurden? Hätte man nicht feststellen können, ob beziehungsweise in welchem Sinne Hiss sich je bemüht hatte, außenpolitische Entscheidungen zu beeinflussen? Nichts von alledem ist im Prozess zur Sprache gekommen. Gewiss hatte Hiss geleugnet, mit einem Dokumentendiebstahl etwas zu tun gehabt zu haben, und damit bekundet, dass ihm an der Klärung solcher Dinge nichts lag. Wesentlich aber ist, dass auch die Anklagebehörde daran kein Interesse hatte. Um das effektvolle Bild eines Verräters entstehen zu lassen, rückte sie einmal die romanhaften Erzählungen des Zeugen Chambers, zum andern den thematischen Inhalt der gestohlenen Staatspapiere in den Vordergrund. Sie hütete sich aber, nach den Motiven zu fragen, die vielleicht auf die Gedanken und Überlegungen des Angeklagten ein Licht geworfen hätten; der Versuch, das Bild klarer und plastischer hervortreten zu lassen, hätte zu Korrekturen und Vorbehalten Anlass geben können, womit sich die politische Wirkung des Prozesses verringert hätte.
Auch der umgekehrte Fall kann eintreten: Der politische Effekt des erzeugten Bildes kann sich erhöhen, wenn nicht Bruchstücke der umstrittenen Geschehnisse, sondern diese Geschehnisse als Ganzes rekapituliert werden. Als der einstige Sowjetbeamte Viktor Kravčenko, Verfasser von I Chose Freedom, die unter kommunistischer Regie herausgegebene Zeitschrift Lettres Françaises wegen übler Nachrede verklagte, erschöpfte sich die Beweisaufnahme nicht in der Erörterung des Lebenslaufs des Klägers, seines Charakters und seiner intellektuellen Qualitäten. Da Kravčenko in seinem Buch auch die gesamte wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation in Russland geschildert hatte, ließ sich seine Wahrheitsliebe nicht nur an Hand seiner Lebensgeschichte, sondern auch an Hand der Aussagen des Buches über Probleme allgemeinerer Natur kontrollieren. Unter diesem Aspekt machte das Tribunal des Seine-Departements von dem größeren Beweiserhebungsspielraum nach der Verordnung von 1944 Gebrauch und verwarf die Anträge der Verteidigung, die das Beweisthema auf Kravčenkos Charakter, Familienleben, Partei- und Regierungstätigkeit und die heftig umstrittenen Versionen seines Ausscheidens aus der Washingtoner Sowjetvertretung hatte beschränken wollen.
Wenn die Bekundungen der vielen Zeugen, die über manches aus eigener Anschauung berichteten, als Bestätigung eines wesentlichen Teils der Darstellung Kravčenkos aufgefasst werden konnten, so ließ sich sein Bericht nicht als unwahr abtun, auch wenn er, wie es im Urteil hieß, »viele evolutionäre Aspekte außer acht gelassen« haben sollte.113 Die Zustände in der Sowjetunion, wie sie die Zeugen zeichneten, glichen dem von Kravčenko entworfenen Bild in so vielem, dass das Gericht dies Bild nicht als »völlig irrig und übertrieben« ansehen konnte. Es fand infolgedessen, obgleich die Verhandlung einige durchaus nicht bewundernswerte Züge in Kravčenkos Charakterbild enthüllt hatte, dass er nicht hätte als Lügner bezeichnet werden dürfen. Damit, dass das Gericht Beweismaterial zugelassen hatte, das sich nicht auf Kravčenkos Persönlichkeit und die Entstehungsgeschichte seiner Schriften beschränkte, hatte es eine ausführliche Erörterung der Sowjetgesellschaft mit all ihren Widersprüchen ermöglicht. Damit wurde aber der Prozess zu einem überaus wirkungsvollen Mittel politischer Beeinflussung weiter Bevölkerungskreise: Statt des gewöhnten Galabildes des im Kriege bewährten Bundesgenossen wurde dem Publikum die Schilderung des Werktags der Sowjetunion mit all seinen Schattenseiten geboten.
Da das Funktionieren der Justiz, wie sie sich die westliche Gesellschaft wünscht, seine Eigengesetzlichkeit hat, werden Prozess und Urteil zusammen bisweilen zu einem bloßen Nachtragskommentar zu den Ereignissen, zur Fußnote zur Geschichte. Dann wird im Gerichtsverfahren ein Vorgehen für rechtmäßig oder rechtswidrig erklärt, dessen politische Wirkung zu einem viel früheren Zeitpunkt hatte eintreten sollen und sich mittlerweile längst erledigt hatte. So war es im Fall Caillaux: Prozess und Urteil zwei Jahre nach einem Eröffnungsbeschluss, wie ihn Frankreich bis dahin noch nie erlebt hatte, zwei Jahre nach der aufsehenerregenden Verhaftung des prominenten Politikers; schon damals aber hatten die Eröffnung des Verfahrens und die Festnahme des Angeklagten den von Clemenceau und Poincaré vorausberechneten und gewünschten politischen Effekt erzielt. Was im Fall Caillaux einen gewaltigen Aufwand an politischen und juristischen Anstrengungen erforderte, kann in einer anderen Situation und in einer unteren Ebene das Produkt normaler Alltagsroutine sein. Eine ad hoc getroffene Ermessungsentscheidung der Verwaltung kann das Verbot einer Kundgebung oder die Auflösung einer Versammlung veranlassen. Dass diese Verwaltungsmaßnahme ein Jahr später von einem Verwaltungsgericht oder in einem peripheren Strafverfahren für gültig oder ungültig erklärt wird, kann eine gewisse Sensation auslösen oder den Gegenstand einer Anfrage im Parlament oder einer Zeitungspolemik bilden; die Wirkung braucht in keinem Verhältnis zu den unmittelbaren Folgen zu stehen, die die Maßnahme selbst seinerzeit mit sich gebracht hatte. In solchen Fällen hinkt das Gericht den Ereignissen hinterher. Der Zeitabstand zwischen dem Vorgang und seiner gerichtlichen Überprüfung trägt dazu bei, dass das Gericht in seinen Entscheidungen relativ frei ist, dass diesen Entscheidungen aber nur beschränkte Wirkung zukommt; das Gericht begutachtet eigentlich nur die grundsätzliche Legitimierbarkeit der Verwaltungsmaßregel.
Dass das Gericht als spanische Wand benutzt wird, hinter der man ein wohlüberlegtes Schema des Nichthandelns den Blicken der Allgemeinheit entzieht, ist nicht ungewöhnlich. Es kommt alle Tage vor, dass über Lebenslauf, Charakter, Methoden oder Ziele einer lebenden Person oder einer bestehenden Organisation in Wort oder Schrift mehr oder minder verschleierte Behauptungen diffamierender Art aufgestellt werden. Häufig wird darauf eine Beleidigungsklage angekündigt, gelegentlich auch eine einstweilige Verfügung gegen die Wiederholung der ehrenrührigen Behauptungen erwirkt; beides kann mit der größten Publizität ausgestattet werden. Häufig ist indes das, was über die als Zielscheibe ausersehene Person oder Gruppe gesagt worden ist, entweder aus mangelnder Überlegung oder aus wohlüberlegter Absicht ein schwer zu entwirrendes Gemisch von Wahrem und Unwahrem. Wenige im öffentlichen Leben tätige Menschen sind, zumal wenn ihre Position einigermaßen gut etabliert ist, geneigt, Zeit, Geld und Energie für eine Beleidigungsklage zu opfern. Es kann ihnen erst recht nicht erwünscht sein, dass zahlreiche Anwälte, frühere und gegenwärtige Gegner und persönliche Feinde (denen es in hohem Maße willkommen sein mag, ihre Animosität vor Gericht zu äußern) die Gelegenheit bekommen, in ihren persönlichen, geschäftlichen oder politischen Angelegenheiten herumzustochern.114 Nur politische Einzelgänger, berufsmäßige Hetzer und erfolglose Anwärter auf gesellschaftlichen Erfolg, die wenig zu verlieren und alles zu gewinnen