Politische Justiz. Otto Kirchheimer

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Politische Justiz - Otto Kirchheimer

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Provinz eingewandert, die mittlerweile an Polen gefallen war.) Er behauptete nunmehr, dass seine Tat aus persönlichen Motiven hervorgegangen sei, die mit homosexuellen Beziehungen im Zusammenhang gestanden hätten.

      Das waren aber noch kleinere Klippen, so unbedeutend wie die Rolle, die Grünspan selbst in der verwickelten Angelegenheit spielte. Die größten Klippen ergaben sich aus Kompetenzkonflikten darüber, welche Stellen für die Durchführung des Verfahrens verantwortlich seien und über die politische Zielsetzung zu bestimmen hätten. Der erste Entwurf der Anklageschrift stammte von einem Beamten der Reichsanwaltschaft. Er wurde von Reichspropagandaminister Goebbels als völlig unzureichend verworfen, weil er die Tat als unpolitischen Mord behandelt und Grünspan nicht als das ausführende Organ des vom Weltjudentum geschmiedeten Komplotts entlarvt habe. Mit dieser Begründung versuchte Goebbels, die Führung des Verfahrens an sich zu reißen. Nach seiner Darstellung soll Hitler seinen Vorschlag gutgeheißen und die »juristische Führung des Prozesses« dem Volksgerichtshofspräsidenten Georg Otto Thierack übertragen haben. Da Goebbels in der Hierarchie höher rangierte als Thierack, beanspruchte er für sich persönlich das Recht, die Gesamtleitung der Operation zu übernehmen.

      Diese Regelung rief jedoch Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop auf den Plan. Er protestierte gegen die ungenügende Berücksichtigung außenpolitischer Gesichtspunkte. Nach seiner Version war die Ermordung vom Raths ein überlegter Sabotageakt, der das von ihm begonnene Werk der deutsch-französischen Verständigung habe torpedieren sollen. Außerdem bemängelte er die ungenügende Herausarbeitung des zentralen Planes des »Weltjudentums«, die westliche Welt in einen Krieg gegen Deutschland zu stürzen. Unter dem Vorsitz Thieracks fanden mehrere Besprechungen der Vertreter der drei Ministerien statt, in denen die verschiedenen Standpunkte aufeinander abgestimmt werden sollten. So eifrig man aber auch suchte: Direkte Beziehungen zwischen Grünspan und dem »Weltjudentum« oder gar konkreten Plänen und Vorhaben des »Weltjudentums« ließen sich nicht ausfindig machen. Zum Schluss einigte man sich auf die Formel von der »intellektuellen Urheberschaft des Weltjudentums«. Auf dieser Grundlage sollte der Prozess aufgezogen werden.

      Für die öffentliche Verhandlung waren sieben Tage vorgesehen. Am ersten Tage sollten die Tatumstände erörtert werden. Sodann sollte die Darstellung der humanen Methoden folgen, mit denen die Abschiebung polnischer Juden aus Deutschland praktiziert worden sei. Anschließend sollte die Mordtat selbst rekonstruiert werden. Allzu viel Zeit war für all diese Präliminarien allerdings nicht reserviert. Für die Ermittlung der geistigen Verantwortung für die Tat und für die Feststellung der »Hintermänner« waren dagegen allein dreieinhalb Tage in Aussicht genommen. Das gesamte Arsenal des Antisemitismus und der dazugehörigen Pseudowissenschaft sollte mobilisiert werden.

      Als Star des Prozesses war der frühere französische Außenminister Georges Bonnet ausersehen: Ihm war die Aufgabe zugedacht, im Detail darzulegen, wie die deutsch-französische Versöhnung durch den Mord in die Luft gesprengt worden sei. Von Anfang an hatte allerdings Thierack seine Zweifel am Inhalt der Zeugenaussage Bonnets; im Notfall sollte der Dolmetscher aushelfen, dem damit eine wichtige Rolle zufiel. Nach der Vernehmung Bonnets stand die Verlesung von Auszügen aus französischen und jüdischen Zeitungen und sonstigen Dokumenten auf der Tagesordnung. Als besonderer Clou war anschließend ein Expertenvortrag geplant: Der wohlbekannte Rechtsanwalt Friedrich Grimm, seit eh und je Prozessbeistand deutscher Rechtskreise in politischen Verfahren, der dem Dritten Reich als Sachverständiger für Auslandsprozesse diente und bereits in den Vorbereitungsstadien des Verfahrens herangezogen worden war, sollte vor allem die »intellektuelle Urheberschaft des Weltjudentums« an der Mordtat darlegen. Für den sechsten Tag waren die Plädoyers der Verteidiger angesetzt, darunter das Plädoyer eines Offizialverteidigers, dessen späteres Verhalten in Prozessen um den 20. Juli gezeigt hat, dass er durchaus geeignet gewesen wäre, der Anklagebehörde kräftig unter die Arme zu greifen. Gleichwohl wurde nichts dem Zufall überlassen: Den Protokollen der interministeriellen Besprechungen lässt sich entnehmen, dass der Offizialverteidiger »über seine Pflichten während des Prozesses von Dr. Thierack in zweckentsprechender Form verständigt« worden war. Am siebenten Verhandlungstage sollte schließlich der nominelle Regisseur der Veranstaltung, der pro forma mit dem Vorsitz betraute Vizepräsident des Volksgerichtshofs, das Urteil verkünden.

      Und aus all der sorgsamen, minuziösen, detailbeflissenen Planung wurde nichts. Der Kompetenzstreit erwies sich als unlösbar. Das Justizministerium wollte nicht hinter anderen Ressorts zurückstehen; es bestand nun darauf, dass geklärt werde, ob Hitler bei der Ausgabe der Weisung, den Prozess endgültig in Gang zu bringen, gewusst habe, was Grünspan über vom Raths Homosexuellenaffären aussage. Ribbentrop wünschte weitere Vorträge über den Zusammenhang zwischen »Weltjudentum« und auswärtiger Politik. Goebbels bezweifelte, ob sich mit der Geschichte von der »humanen« Ausweisung der polnischen Juden im Herbst 1938 gute Propagandawirkungen erzielen ließen. Überhaupt ebbte das Interesse am Prozess ab, als sich herausstellte, dass Bonnet nicht bereit war, vor Gericht zu erscheinen. Ungeklärt blieb nach wie vor, ob eine Chance bestand, die zu erwartende verheerende Wirkung der Grünspanschen Homosexualitätsgeschichten zu neutralisieren.

      Gegen Ribbentrops Einspruch wurde der Prozess am 17. oder 18. April 1942 bis auf weiteres ausgesetzt und damit, wie sich später zeigen sollte, endgültig begraben. Offenbar war Hitlers Entschluss, auf den Schauprozess zu verzichten, zum Teil durch das Bedenken hervorgerufen worden, dass Grünspans Homosexualitätsversion die so gründlich geplante Veranstaltung um jede Wirkung bringen könnte. Es gab aber auch noch ein anderes Motiv: Aus mancherlei Gründen war Hitler im April 1942 dem Frankreich von Vichy nicht mehr so gewogen wie vordem; das machte es inopportun, ein Gerichtsschauspiel aufzuführen, das die Machenschaften einer alljüdischen Verschwörung hätte darlegen und damit Frankreichs Vorkriegssünden als weniger gravierend erscheinen lassen müssen.

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