Politische Justiz. Otto Kirchheimer

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Politische Justiz - Otto Kirchheimer

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in Gegensatz zum tatsächlich eingeschlagenen Kurs geraten waren. Anderes bezog sich auf Verhandlungen mit Vertretern von Auslandsmächten, die zu führen zu den selbstverständlichen Amtspflichten der Angeklagten gehört hatte und die auch von den zuständigen Parteiinstanzen im Voraus gebilligt worden waren.104 Anderes wieder belastete die Angeklagten mit Dingen, die, als sie geschahen, im Einklang mit der offiziellen und für alle verbindlichen Parteilinie gestanden hatten, deren parteiamtliche Beurteilung aber seitdem entscheidenden Korrekturen oder radikalen Änderungen unterzogen worden war.105 Um all diese Dinge nachträglich als verbrecherische Untaten erscheinen zu lassen, produzierte die Anklagebehörde eine endlose Aneinanderreihung von Spionageakten und verräterischen Handlungen der Angeklagten: Irgendwann seien diese bewährten Parteiveteranen aus diesem oder jenem Grund von der Polizei der mittlerweile gestürzten Regierungssysteme oder von der Spionageorganisation fremder Mächte angeworben worden und hätten in deren Auftrag spioniert, sabotiert, Spitzeldienste geleistet, Partei und Vaterland verraten.

      Dass abscheuliche Verbrechen gestanden wurden, die um einer anderen politischen Orientierung willen begangen oder geplant worden sein sollten, konnte dazu benutzt werden, die den Staat und seine Politik bedrohenden Gefahren in grellen Farben auszumalen. Den akuten Charakter dieser Gefahren demonstrierte die Anklagebehörde, indem sie die allgemeine Aufmerksamkeit auf eine organisierte Verschwörergruppe lenkte, der sie vorwarf, aktiv auf die Schaffung von Situationen hingewirkt zu haben, wie sie alle verständigen und loyalen Staatsbürger um jeden Preis würden vermeiden wollen. Man kann nur Vermutungen darüber anstellen, ob die zumeist höchst subtilen Einschränkungen und Vorbehalte, die die Angeklagten in ihre Aussagen und Schuldbekenntnisse einfließen ließen, einem nennenswerten Teil der Bevölkerung oder auch nur der Parteimitgliedschaft aufgefallen sind.

      Das Geständnis als Ausdruck der Reue und des Zusammenstehens aller in der Stunde der extremen Gefahr ist eine der Methoden, über die das Regime verfügt; die andere bestände darin, dass man es dem Gegner auch im Prozess überließe, seine bleibende Gegnerschaft zum Ausdruck zu bringen, und die Unüberbrückbarkeit des Konflikts bewusst betonte. Beide Methoden haben ihre Vorteile und ihre Nachteile. Die Methode der Geständnisse, die darauf baut, dass der Angeklagte eine Reihe erdichteter Verbrechen zugibt, kann gerade infolge des übertriebenen Ausmaßes der zugegebenen Risse im Mauerwerk des Staates negative Reaktionen in der Bevölkerung auslösen. Das bestehende System, zu dem die Angeklagten lange als fester und wichtiger Bestandteil gehört hatten, muss von Korruption zerfressen sein und auf tönernen Füßen stehen, wenn man daran glauben soll, dass es beim geringsten Anstoß zusammenstürzen kann. Anderseits kann die Tatsache, dass man das offen ausspricht, einen Schock auslösen und die Bevölkerung dazu bringen, die Reihen zu schließen oder doch mindestens darauf zu verzichten, aus der Unzufriedenheit mit konkreten Missständen weitgehende politische Forderungen abzuleiten. Schließlich aber entlarvt das Geständnis die Gegner des Regimes als bösartige und niederträchtige Geschöpfe und bringt sie (sofern sie überleben sollten) um die Chance, jemals wieder zum Kristallisationspunkt oppositioneller Kräfte zu werden. Vielleicht kommt es auf diese Überlegung am meisten an, wenn das Regime die Vor- und Nachteile der beiden Methoden – des präparierten Geständnisses und des offenen Auftretens des Gegners im Gerichtssaal – miteinander vergleicht. Sogar wenn man den Angeklagten ein für alle Mal zum Schweigen gebracht hat, kann die mythisch verklärte Erinnerung an seinen Widerstand zum ewigen Memento, zum unauslöschlichen Symbol werden.

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