Die Residentur. Iva Prochazkova
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Residentur - Iva Prochazkova страница 20
Ihre Blicke trafen sich, als sie um die nächste Ecke bog.
„Ahoj Alena!“, spielte sie die Überraschte. „Kommst du zu mir?“
Es wurmte sie, dass Richards Mutter nicht dem Klischee der bösen Schwiegermutter entsprach. Dann wäre das Lügen einfacher. Nein, sie war nett und konnte Veronika offensichtlich gut leiden. Vor Kurzem hatten sie sich bei den Chytils in der Küche aufs Du geeinigt. Sie hatten angestoßen, sich ein Küsschen gegeben, ein Gläschen Fernet gekippt (etwas anderes war nicht zur Hand gewesen), Veronika hatte sich dabei verschluckt und ihre Bluse eingesaut. Gemeinsam hatten sie die Flecken im Geschirrspülbecken ausgewaschen und dabei gelacht wie die Verrückten. Jetzt lag in Alenas Gesicht kein Molekül von Lachen. Sie saugte sich mit einem flehentlichen Blick an Veronikas Augen fest.
„Wo ist Richard?“
„Ich weiß es nicht.“
„Habt ihr euch gestritten?“
Veronika schüttelte entschieden den Kopf.
„Getrennt?“
„Nein, alles in Ordnung.“
Alena starrte sie ungläubig an. „In Ordnung?“
„Ich schwör’s. Wir haben uns nicht gestritten und auch nicht getrennt.“
„Erzähl keine Märchen. Wenn zwischen euch alles in Ordnung wär, dann würd er dir doch was sagen. Dann wär er nicht so heimlich verschwunden wie … wie so ’n Halbstarker.“
„Ich verdrück mich auch manchmal für ’ne Weile und sag niemand was. Ist doch ganz normal.“
„Das ist nicht normal, so benimmt man sich nicht zueinander.“ In Alenas Augen glitzerten Tränen. Veronika schaute schnell woandershin. Beim Gedanken daran, was für ein Schock das für sie wäre, wenn die Bombe platzen würde, bekam sie einen flauen Magen. Sie spürte tiefes Mitgefühl. Über das Unglück, das Alena vor Jahren zugestoßen war, wusste sie natürlich Bescheid. Richard sagte, dass er sich kein bisschen an seine Schwester erinnern könne, als sie gestorben war, sei er noch viel zu klein gewesen; aber dass er immer brav sein musste, damit seine Mutter nicht traurig war, das war fest in seinen Erinnerungen verankert. Sein Vater muss es ihm andauernd wieder gesagt haben. Die Vorstellung, wie der kleine Richard sich um jeden Preis bemühte, artig zu sein, während seine Mutter in Verzweiflung versank, deprimierte Veronika.
„Er ist neunzehn“, sagte sie sanft. „Ein Haufen Leute in seinem Alter machen schon längst, was sie wollen. Manche wohnen nicht mal mehr zu Hause.“
„Aber Richard wohnt doch bei uns.“
„Ja, allerdings hat er sein eigenes Leben. Er will sich da nicht reinreden lassen. Er will seine Probleme selber lösen.“
„Probleme? Hat er Probleme?“ Diesmal lag in Alenas Stimme unverhüllte Panik. Sie presste Veronikas Hand so stark, dass sich der Ring von Richard in den Nachbarfinger eingrub. „Egal, was es ist, er muss doch deswegen nicht abhauen!“
„Er ist nicht abgehauen.“ Veronika schaute ihr in die bettelnden Augen und dachte fieberhaft nach, wie viel sie sagen durfte, um sie zu beruhigen, dabei aber keinen Verrat zu begehen, als sie die Durchsage der Inspizientin rettete.
„Das war das zweite Zeichen, die Pause ist zu Ende“, kam es aus dem Lautsprecher über ihren Köpfen. „Fortsetzung der Vorstellung in fünf Minuten.“
„Ich muss mich fertigmachen.“ Veronika ging rückwärts los. Dann machte sie wieder einen Schritt nach vorn und umarmte Richards Mutter ganz fest. Sie hatte das nicht vorgehabt, konnte sich aber der Flut von Emotionen nicht erwehren. Sie durchlebten einen außergewöhnlichen Augenblick, einen Schlüsselmoment ihres Lebens, sie musste ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Es war unmöglich, das nüchtern zu spielen. Alena hatte die breiten Schultern einer Schwimmerin, aber ihre Ohnmacht weckte in Veronika den Beschützerinstinkt.
„Mach dir keine Sorgen“, flüsterte sie ihr ins Ohr. „Er meldet sich.“
„Wann denn?“
„Weiß nicht, bestimmt … bestimmt bald.“ Aus Furcht, noch mehr zu verraten, löste sie die Umarmung und stürzte in ihre Garderobe. Sie schloss die Tür hinter sich und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Dass die Unterhaltung mit Richards Mutter ihr so zu schaffen machen würde, hätte sie nicht gedacht; sie war der Meinung gewesen, gut darauf vorbereitet zu sein. Aber eine Sache war es, die einzelnen Schritte im Voraus zu planen, eine ganz andere Sache, sie auch umzusetzen. Und die Hauptaktion stand ihr erst noch bevor. Für einen Moment bekam sie vor Angst weiche Knie, aber sofort rief sie sich zur Räson. Zur Angst gab es keinen Grund. Sie war mit Richard alles detailliert durchgegangen, auf alle Fragen hatte er ihr eine Antwort gegeben, jede Unsicherheit zerstreut. Er wusste, was er tat und warum er es tat, und Veronika hatte seine Gründe akzeptiert. Nicht ohne anfängliche Einwände, aber er hatte sie überzeugt. Wo Worte nicht ausreichten, hatte er sie durch die Sprache seines Körpers ersetzt. Und durch sein vielsagendes Pfeifen – damit hatte er sie noch jedes Mal rumgekriegt. Ein Rest von Zweifel war trotzdem in ihr zurückgeblieben, und je länger das Schweigen dauerte, desto mehr Raum gewann die Ungewissheit. Richard hätte vor der Vorstellung anrufen sollen, aber das hatte er nicht. Sie hoffte, dass er sich danach melden würde. Wenn nicht, musste irgendwo ein Fehler passiert sein.
Quae bello est habilis, veneri quoque convenit aetas.
(Nur Jugend, die zum Kriege taugt, eignet sich auch zur Liebe.)
Quamlibet extinctos iniuria suscitat ignes.
(Unrecht schürt selbst längst verloschene Flammen.)
Ille movet bella, qui narrat falsa novella.
(Wer falsche Kunde gibt, löst Kriege aus.)
Lateinzitate für die Oberstufe
Richard stieg die steilen Stufen zum Unterdeck hinab und suchte mit den Augen zwischen den geparkten Autos den grauen Opel. Vor Lewan und Martin hatte er so getan, als gehe er nur seine Zigaretten holen, aber in Wirklichkeit wollte er sich überzeugen, dass alles in Ordnung war. Gestohlen wurde überall, zweifellos auch auf Fährschiffen. Die Regina Aquae war außerdem wahrlich kein Schiff der Luxusklasse und tat auch nicht so. Sie gehörte einer Billigfährlinie, der Fahrpreis war bis an die unterste Grenze gedrückt und die Zusammensetzung der Passagiere, die Sicherheitsvorkehrungen und die angebotenen Dienstleistungen waren dementsprechend. „Was zu verzollen?“, plärrte beim Einschiffen ein Mann in verschossener Uniform durch jedes Autofenster. Die Antwort wartete er nicht ab, zeigte nur mit der Hand, wo man hinfahren sollte, und wandte sich schon dem Nächsten zu. „Wir haben’s geschafft. Beim Ausschiffen wird keiner mehr nach irgendwas fragen“, sagte Lewan, der diese Überfahrt nicht zum ersten Mal absolvierte. Auf seine Informationen konnte man sich verlassen und der zeitliche Ablauf war bis jetzt absolut perfekt. Richard verspürte ihm gegenüber immer größeren Respekt – und gleichzeitig Scham. Er schämte sich auch vor Martin. Alle beide hatte er im Unklaren gelassen.
Das Parkdeck war still und nur spärlich beleuchtet. Als er zwischen den Autos durchging, sah er hier und da einen