Die Residentur. Iva Prochazkova

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Die Residentur - Iva Prochazkova

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Geschäfte, sie verschaffte auch Prostituierten regelmäßige Einnahmen. Meist stiegen sie zu den Fahrern in die LKW-Kajüten ein, aber wenn sie sich einen Klienten anlachten, der keine Kajüte hatte, fanden sie eine andere Lösung. Lewan zufolge (der behauptete, das nicht aus persönlicher Erfahrung zu wissen) waren sie in dieser Hinsicht außerordentlich erfindungsreich. Richard hatte zuvor ein paar von ihnen an der Bar sitzen sehen. Die unterschiedlichsten Typen, Nationalitäten und Altersstufen, von ganz jungen Frauen bis hin zu solchen, denen die Regina Aquae offenbar als letzte Karrierestation diente. Eine von ihnen hatte Richard angelächelt, als er an ihr vorbeigekommen war, und ihm von ihrem Barhocker aus fröhlich etwas in einer Sprache zugerufen, die er nicht verstand. Sie hatte ein breites tatarisches Gesicht mit schwarzen Augen und schien den Schelm im Nacken zu haben. In diesem Moment hatte sie ihr Tagespensum hinter irgendwelchen zugezogenen Gardinen wahrscheinlich schon absolviert.

      Lewans Opel stand am entgegengesetzten Ende des Parkbereichs. Nach der mehrstündigen Fahrt durch Regen und Schneematsch war er bis ans Dach mit Schlamm bespritzt. Richard schloss auf, beugte sich in den Wagen und ließ seinen Blick durch das Innere gleiten. Alles schien unangetastet zu sein. Er nahm ein Päckchen Zigaretten aus dem Handschuhfach, ging um das Auto herum und öffnete die Heckklappe. Die Decke, mit der sie die Ladung abgedichtet hatten, rutschte ihm auf die Füße und die Lampe, die ihm entgegenkam, fing er im letzten Moment auf, ansonsten waren alle Sachen in Ordnung und an ihrem Platz. Ganz obenauf lag der dunkelgrüne Bodyguard, Martins struppiges Plüschkrokodil, das sie aus Jux mitgenommen hatten, mit seinen phosphoreszierenden Augen überwachte es das Ganze. Richard schob es beiseite und griff zwischen die Isomatten. Er ertastete den Verbandskasten, lüftete den Deckel und schaute hinein. Der Anblick erfüllte ihn mit tiefer Zufriedenheit. Dort waren Dinge, von denen er wusste, dass sie ihm zupasskommen würden und dass er mit ihnen umgehen könnte. Die Expedition nach Kambodscha letztes Jahr hatte ihm nicht nur Inspiration geboten, sondern auch reichlich Praxis.

      Er griff nach dem Beutel mit Reis, schnürte ihn auf und steckte die Hand hinein. Eine Weile tastete er mit den Fingern zwischen den Körnern herum, bis er die Pistole gefunden hatte. Er holte sie nicht heraus, es genügte ihm, zu wissen, dass sie da war. Sie war die Quelle seiner Sicherheit und seiner Nervosität. Wenn sie bei der Zollkontrolle gefunden worden wäre, hätte das ihrer ganzen Aktion höchstwahrscheinlich den Todesstoß versetzt.

      Er zog die Hand aus dem Reisbeutel und band ihn wieder zu. Vorzumachen brauchte er sich nichts; er hatte sich benommen wie der letzte Trottel. Unbesonnen hatte er gehandelt, nicht alle möglichen Konsequenzen bedacht – sein größter und häufigster Fehler. Den er andauernd wieder machte, und auch die sechsmonatige Ausbildung bei der Patrola hatte ihm nicht geholfen, ihn abzustellen. „Obacht bei Entscheidungen. Du hast die Tendenz, voreilig Schlüsse zu ziehen, manchmal sind das bei dir wirklich Kurzschlusshandlungen. In Krisensituationen kann das nicht nur dich das Leben kosten, sondern auch andere“, hatte Cehlár gesagt, als er ihm das Diplom überreichte. Dabei hatte er ihn durchdringend angesehen, als würde er bis ins Mark seiner Knochen schauen können. Richard würde interessieren, ob er von ihrem Plan etwas ahnte.

      Er schloss das Auto ab und machte sich auf den Rückweg. Dabei überlegte er, wann er Martin und Lewan das mit der Pistole sagen sollte und wie sie’s auffassen würden. Martin dürfte eine Grimasse ziehen und die ganze Angelegenheit mit ein paar Sticheleien abtun. Lewans Reaktion war schwer abzuschätzen. Er nahm nichts auf die leichte Schulter. Jeden Schritt durchdachte er weit im Voraus, bis ins kleinste Detail und in vielen Varianten. Mathematiker, Perfektionist, Schachspieler. Dank der Umsicht, die er offenbar in seiner DNA hatte, konnte er Gefahren erfolgreich eingrenzen, verhindern konnte er sie aber nicht. Beweis dafür war eine brutale Prügelattacke vor einem halben Jahr gewesen. Ausfälligkeiten per Telefon oder in den sozialen Netzwerken war Lewan gewohnt. Er kannte die Arbeit von Trollen, kannte auch die hasserfüllten Reaktionen manipulierter Gehirne. Jede Art von Fake News, jede Desinformation war geeignet, seinem Renommee zu schaden. Sie hatten ihn schon lange im Visier. Je mehr er sich engagierte, desto mehr bewarfen sie ihn mit Dreck. Todesdrohungen waren an der Tagesordnung. Trotzdem hatte er nicht damit gerechnet, dass sich mitten im Zentrum von Prag, ein Stück vom Altstädter Ring entfernt, wo es von Polizeistreifen nur so wimmelte, zwei Vermummte auf ihn stürzen, ihm die Brieftasche rauben und ihn so zurichten würden, dass er beinahe hops gegangen wäre. „Das mit der Brieftasche war nur Tarnung“, verkündete er, nachdem die Ärzte ihn halbwegs wieder zusammengeflickt hatten. „Um Geld ist es den Schweinen nicht gegangen. Das sollte eine letzte Warnung für mich sein.“

      Wenn wir uns mit der Abreise nicht beeilt hätten, dann hätte Lewan ein ähnliches Ende gefunden wie Geworg, von Schüssen durchlöchert neben Müllcontainern, dachte Richard, während er die Stufen hinaufstieg. Martin fand er auf dem Mitteldeck. Er saß im Speiseraum neben einer jungen Frau in einer Motorrad-Lederjacke.

      „Das ist Swetlana aus Kiew“, begrüßte er Richard. „Sie studiert Mikrobiologie, letztes Jahr ist sie über ein Stipendium bei uns in Tschechien gewesen. Sie ist wahnsinnig schlau, du kannst mit ihr in jeder Sprache reden, in der du willst.“

      Sein Tonfall legte nahe, dass er und Swetlana sich bereits intensiv angefreundet hatten. Dazu hatten ihm knapp zwanzig Minuten gereicht. Martin hatte irgendwas (Richard wusste nicht, ob es das kommunikative Talent war, der vorlaute Charme oder irgendeine andere, weniger augenfällige Eigenschaft, vielleicht der Geruch seines Schweißes), dem das andere Geschlecht nur schwer widerstehen konnte.

      „Freut mich sehr, Swetlana aus Kiew“, sagte Richard auf Tschechisch. „Ich bin Richard aus Prag.“

      Sie grinste ihn an.

      „Strč prst skrz krk!“, skandierte sie den wohl berühmtesten tschechischen Zungenbrecher vom Finger, der durch den Hals gesteckt wird. Aber noch ehe er ihre Sprachkenntnisse würdigen konnte, presste sie sich – wie um das Gesagte zu unterstreichen – die Hand auf den Mund, sprang auf und rannte aus dem Raum.

      „Das ist schon das zweite Mal. Sie verträgt das Geschaukel nicht“, erklärte Martin. „Deswegen hat sie einen flauen Magen.“

      „Und warum steigt sie dann auf ein Schiff?“ Richard setzte sich ihm gegenüber.

      „Sie hat in Kasmenien eine Großmutter. In Gregoripol. Die will sie auf ihr Motorrad setzen und mit nach Kiew nehmen. Sie hat Angst um sie. Angeblich wird schon in den Bergen hinter der Stadt geschossen. Bloß macht das Motorrad der Großmutter mehr Angst als der Krieg, und Swetlana weiß jetzt nicht, ob sie sie überreden kann.“

      „Wenn die Front schon bei Gregoripol ist, dann müssen wir unsere Pläne ändern, oder?“

      „Hat Lewan auch gesagt.“

      „Wo ist er?“

      „Telefonieren … Irgendwo draußen.“

      „Ich schau mal nach ihm.“ Richard stand auf. „Bleibst du hier?“

      „Glaub schon, Swetlana will mir ihre Schweinchen zeigen.“

      Richard hatte das Gefühl, sich verhört zu haben. „Was will sie dir zeigen?“

      „Sie sammelt Glücksschweine. Dreihundert hat sie schon. Aus Plüsch, Porzellan, Seife, Marzipan … Eins hat sogar Vitali Klitschko für sie gezeichnet. Sie zeigt mir die Fotos in ihrem Handy.“

      „Dreihundert Glücksschweine?“ Richard war immer wieder baff, auf was für Schwachsinn scheinbar rationale Menschen (eine Mikrobiologin!) so abfuhren.

      „Na dann wünsch ich gute Unterhaltung.“

      „Gib mir mal die Autoschlüssel. Ich will ihr als Revanche meinen Bodyguard zeigen.“

      Richard musterte Martins Gesicht,

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