Die Residentur. Iva Prochazkova
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„Kasper dich ruhig aus, mein Lieber“, nuschelte Štěpán in seinen Schal. „Das wird dir schon noch vergehen.“
Er steckte das Telefon wieder ein und ging weiter. Wie die meisten Väter war er überzeugt davon, seinen Sohn gut zu kennen. Er hatte großen Wert auf seine Erziehung gelegt. Von klein auf hatte er ihm beigebracht, was er selbst als lebenswichtig erachtete: nicht dem Selbstmitleid zu verfallen und Ängste zu überwinden. Seinen Zielen kompromisslos, aber clever zu folgen. Nicht gegen den Wind zu pinkeln. Er liebte ihn, und auch wenn er es ihm nicht sagte, ging er davon aus, dass Richard von seinen Gefühlen wusste und sie erwiderte. Die momentane Rebellion bedeutete ganz sicher nichts anderes als den Versuch, sich selbst zu beweisen, dass er inzwischen erwachsen war. Physisch und intellektuell war das nicht zu leugnen, aber der emotionale Teil seines Wesens steckte noch mitten im Reifungsprozess. Bisher hatte er sich keinen Schutzpanzer zugelegt. Es bestand die Gefahr, dass ihn der erste Lebenskonflikt unheilbar verwunden würde.
Ich war neunzehn, als ich erfahren habe, was Liebe auf Leben und Tod bedeutet, wurde Štěpán bewusst, und wie üblich packte ihn die Verblüffung, wie viel Zeit seit damals verflossen war und wie wenig ihn diese Zeit verändert hatte. In gewisser Hinsicht kam er sich immer noch vor wie damals, als er auf dem Bahnhof in Moskau aus dem Waggon gesprungen war und zum ersten Mal die stickige Luft jener Stadt eingeatmet hatte, die sein Leben unwiderruflich beeinflussen sollte. Ein Leben, das ohne jenes ohrenbetäubende Bremsen des internationalen Schnellzugs vor fünfunddreißig Jahren völlig anders abgelaufen wäre. Es hätte darin Eržika nicht gegeben, aber auch nicht die Zerrissenheit, die sie ausgelöst hatte. Gerade die Erinnerungen daran, was er in Richards Alter selbst durchgemacht hatte, hielten Štěpán zu väterlicher Nachsicht an. Er versuchte, die konfrontative Haltung seines Sohnes gelassen zu nehmen. Sein neuester Auftritt allerdings hatte ihn kalt erwischt. Richards punktgenau platzierte Kränkungen zeigten, dass er etwas entdeckt hatte, was er nicht hätte entdecken sollen.
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Richard machte einen Schritt. Und noch einen. Konzentriert, mit maximaler Vorsicht. Das Wasser reichte ihm stellenweise bis zu den Knien, anderswo bis zur Hüfte. Der Grund bestand aus glatten Steinen, die unter den Füßen wegrutschten und das Gehen genauso erschwerten wie die reißende Strömung selbst. Es war März und er watete nackt und barfuß durch einen Gebirgsfluss, aber schon längst nahm er die Kälte von Wasser und Luft nicht mehr wahr. Nur den Krampf in den erhobenen Armen, die den Tornister mit der Kleidung und der Waffe umklammerten. Lewan war inzwischen am anderen Ufer, Richard hatte noch ein paar Meter.
Er schaute auf Martins trainierten Rücken vor sich und überlegte, ob dem genauso die Arme abstarben. Falls ja, ließ er sich nichts anmerken. Alles, was er sich hier zumutete, nahm er mit absoluter Selbstverständlichkeit hin. Es war Martin gewesen, der den Kontakt hierher in die Slowakei und zur Patrola aufgetan hatte, kurz nach Geworgs Tod. Dem Mord an Geworg, präzisierte Richard in Gedanken. Hauptsache nichts verschleiern, keine Euphemismen. Geworg Arojan war hinterhältig aus dem Weg geräumt worden, bei Lewan Manusch hatte dazu nicht viel gefehlt. Deswegen wateten sie gerade durchs eiskalte Wasser. Das war unerlässlicher Bestandteil der Entscheidung, die sie getroffen hatten. Einer Entscheidung, die ihre Leben von Grund auf verändern würde. Schon heute Nacht.
Ein Stück entfernt schrie ein Vogel und Martin blieb stehen. Mit einer Kopfbewegung deutete er an, dass irgendwas los war. Richard richtete seinen Blick aufs Ufer. Lewan kauerte hinter einer Gruppe von Kiefern und schaute mit dem Fernglas zum Fuß des Berges, der das Tal abschloss.
„Das Team von Karol“, verkündete er, als Richard bei ihm angekommen war, und reichte ihm das Fernglas. Richard hielt es sich vor die Augen. Es dauerte einen Moment, bis er die vier Gestalten in den Tarnanzügen ausmachen konnte. „Sie haben uns noch nicht entdeckt.“
Er sprach an der Grenze zum Flüstern, obwohl das angesichts der Umstände überflüssig war. Das Wasserrauschen übertönte alle Geräusche. Richard gab Martin das Fernglas zurück und zog sich hastig an. Mit Blicken schätzte er die Entfernung zur Ruine der Mühle.
„Das packen wir“, befand er. Aus dem eingestürzten Dach ragten zwei Schornsteine, an einem von ihnen würden sie ihre Standarte hissen. Von der gesamten Patrola waren sie in der kürzesten Zeit am dichtesten ans Ziel herangekommen. Den Hauptverdienst daran trug Lewan. Er hatte sie nicht geschont, aber auch sich selbst nicht. Seit dem brutalen Überfall letztes Jahr (eine gebrochene Rippe, Muskelfaserriss, Bluterguss im Knie) war er in seiner Beweglichkeit immer noch eingeschränkt und hatte sicher auch noch Schmerzen, aber er ließ sich nichts anmerken. Er war fünf Jahre älter als Richard, in Sachen Selbstbeherrschung allerdings trennten sie Jahrhunderte. Die tausendjährige kasmenische Geschichte von Überlebenskämpfen war für Lewan auf jedem Schritt eine Stütze, das kasmenische Blut in seinen Adern trieb ihn an wie Benzin mit hoher Oktanzahl. Richard erinnerte er an einen kantigen, unverwüstlichen Offroader.
„Hier lang.“ Er machte eine Kopfbewegung in Richtung Mühlgraben. „Martin sichert uns.“
Ideal wäre es, wenn sie Adam dabei hätten; sie würden ihn an den Kiefern postieren und er könnte das andere Ufer überwachen. Aber sie hatten ihn nicht dabei. Das Anwaltssöhnchen hatte sich ins Hemd gemacht. Nicht wegen der heutigen Aktion, sondern aus Angst davor, was danach käme. Sie hatten einen detailliert ausgearbeiteten Plan. Adam hatte ihn ein halbes Jahr lang mit ihnen vorbereitet, aber im letzten Moment war er auf die Bremse gestiegen. Ohne Vorwarnung. „Sorry, Jungs“, hatte er eine halbe Stunde vor ihrer Abreise aus Prag gesagt, sichtlich zerknirscht vom eigenen Verrat. „Seid nicht sauer, ich pack das nicht. Ich weiß, Geworg hätte sich’s verdient, aber ich bin ein Versager. Ich schätz mal, ich hab bis jetzt einfach nur mein Maul aufgerissen.“ Sie waren nicht sauer gewesen. Kein vorwurfsvolles Wort war gefallen. Vielleicht hatten sie alle nur ihr Maul aufgerissen, das würde sich noch rausstellen. Mut war keine messbare Größe und Versagertum schon gar nicht. Ein Schissometer gab es nicht. Jeder musste selber in den Spiegel schauen. Manch einem hob sich bei diesem Anblick der Magen, aber das gehörte dazu.
Richard kam unwillkürlich der Gedanke, was wohl sein Vater sagen würde, wenn er ihn jetzt sehen könnte. „Das hast du von mir“, verkündete