Sammelband 7 Schicksalsromane: Von ihren Tränen wusste niemand und andere Romane. A. F. Morland
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Читать онлайн книгу Sammelband 7 Schicksalsromane: Von ihren Tränen wusste niemand und andere Romane - A. F. Morland страница 15
„Also, ick weeß nich’, Chef“, beschwerte sich die korpulente Sprechstundenhilfe bei Dr. Kayser über ihre Kollegin. „Irjendwie steht die jute Marie-Luise heute völlig neben sich. Herr Wejener soll de Schulter bestrahlt kriejen, sie will ihm dat Kreuz bestrahlen. Frau Sawatzkis Verband soll erneuert werden, sie will se strecken. Frau Kalvoda is’ wejen ’ner jalvanischen Behandlung da, sie will ihr ’n Blutdruck messen. Det Mädchen is total von die Rolle, und wenn ick wat sage, heult se jleich los. Können Sie nich’ mal mit ihr – so unter vier Aujen – palavern?“
„Natürlich“, sagte Sven Kayser. „Wo ist sie denn?“
„Nebenan.“ Gudrun Giesecke zeigte auf die Verbindungstür.
„Ist sie allein?“
„Im Momente ja.“
Dr. Kayser stand auf und suchte den benachbarten Raum auf. Als er die Tür schloss, zuckte die junge Frau unwillkürlich zusammen, so, als hätte er sie bei etwas Verbotenem ertappt. Sie senkte den Blick und wollte an Sven vorbeieilen, um den nächsten Patienten hereinzurufen, doch der Grünwalder Arzt sagte: „Einen Augenblick, Marie-Luise.“
Sie blieb stehen, als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. „Ja, Chef?“
„Ist Ihnen nicht gut, Marie-Luise?“
„Wieso?“ Sie sah ihn kurz an, schaute aber gleich wieder weg.
„Haben Sie Kummer?“
Zorn blitzte in Marie-Luises Augen. „Hat Schwester Gudrun sich über mich beschwert?“
„Sie macht sich Sorgen um Sie.“
„Das braucht sie nicht. Mit mir ist alles in Ordnung“, behauptete Marie-Luise,
„Sie waren bisher stets eine sehr zuverlässige Kraft, und plötzlich machen Sie an einem Tag mehr Fehler als all die Jahre, die Sie schon bei mir sind. Da stimmt doch irgend etwas nicht“, sagte Sven Kayser.
Da platzte es aus der jungen Arzthelferin heraus: „Es ist wegen meinem Mann, Herr Doktor. Er – ist da in so gewisse Kreise geraten ... Sie fahren von Fußballmatch zu Fußballmatch ... Karlsruhe, Hannover, Kiel, Rostock, Leipzig, Dresden! Jedes Wochenende sind sie woanders. Freitags geht es weg, und Sonntagabend kommen sie grölend und mit schwerer Schlagseite nach Hause. Und wenn ich meinen Mann bitte, diese – Ausflüge doch ein wenig einzuschränken und nicht so viel zu trinken, brüllt er mich an, ich hätte kein Recht, ihn einzusperren und dürfe ihm dieses harmlose Vergnügen nicht verbieten. Er hat sich völlig verändert, und das macht mir Angst.“
„Möchten Sie, dass ich mal mit ihm rede?“, fragte Sven Kayser. „Wenn durch seine Schuld der Praxisbetrieb nicht mehr richtig läuft, handle ich im Sinne unserer Patienten, wenn ich ihn mir vornehme.“
„Ich hätte nichts dagegen“, antwortete Marie-Luise Flanitzer, „aber es ist nicht möglich, mit ihm zu reden.“
„Wieso nicht?“
„Er ist vom letzten Wochenendtrip noch nicht nach Hause gekommen.“
„Es ist Montag“, wandte Sven Kayser ein.
„Mein Mann wird festgehalten.“
„Wo?“, fragte Dr. Kayser überrascht.
„In Hamburg.“
„Von wem?
„Von der Polizei“, antwortete Schwester Marie-Luise mit dünner Stimme. Sie schämte sich für ihren Mann.
„Hat er etwas angestellt?“, fragte Sven.
„Er sagt Nein. Ich habe kurz mit ihm telefoniert. Er hat mich heute morgen angerufen.“
„Warum hält man ihn fest, wenn er nichts angestellt hat?“, fragte der Grünwalder Arzt.
„Der Sachverhalt ist noch nicht restlos geklärt. Irgend jemand hat im Stadion einigen Schaden angerichtet, und die Schuldigen sind noch nicht gefunden.“
„Wann wird Ihr Mann voraussichtlich heimkommen?“, wollte Sven wissen.
„In ein paar Stunden – wenn er Glück hat.“
„Gehen Sie nach Hause, Marie-Luise“, sagte Sven Kayser. „Das wird am Besten sein.“
Die Arzthelferin sah ihn erschrocken an. „Aber – aber ich kann doch nicht ... Ich werde hier doch gebraucht ...“
Sven schüttelte den Kopf. „Nicht in Ihrer Verfassung. Gehen Sie heim, und warten Sie da auf Ihren Mann. Wir kommen hier auch ohne Sie zurecht. Sagen Sie Ihrem Mann, dass ich ihn sprechen möchte. Er soll mich anrufen.“
„Mit ist das alles so schrecklich peinlich, Herr Doktor.“
„In ein paar Tagen haben Sie’s vergessen“, tröstete Sven Kayser seine Mitarbeiterin.
Marie-Luise Flanitzer zog sich um und verließ die Grünwalder Arztpraxis.
Und Dr. Kayser sagte zu Gudrun Giesecke: „Icke, wir müssen die Schlagzahl etwas erhöhen.“
„Kein Problem, Chef. Wat hat Marie-Luise denn nu eigentlich?“
Sven erzählte es, weil er wusste, dass Gudrun nicht aus Neugier, sondern aus echter Anteilnahme heraus gefragt hatte
Sie kräuselte die Nase. „Wenn ick so wat höre, bin ick immer froh, dat ick nie jeheiratet habe“
11
Es war später Nachmittag, als Marie-Luise Flanitzers Mann nach Hause kam. Wie ein geprügelter Hund schlich er zur Tür herein, das personifizierte schlechte Gewissen.
Marie-Luise sagte kein Wort. Sie sah ihn nur an und weinte. Das traf ihn am schmerzhaftesten. Er liebte seine Frau und konnte es nicht sehen, wenn sie weinte.
Zähneknirschend bat er sie um Verzeihung. „Ich bin ein Idiot“, sagte er schuldbeladen. „Bitte, vergib mir, Marie-Luise. Ich werde dir nie mehr solchen Kummer machen, das verspreche ich dir. Ich schwöre es sogar, wenn du möchtest. Ich bin mit diesen Rabauken fertig. Von nun an sehe ich mir die Fußballspiele nur noch im Fernsehen an. Ich habe ja nicht gewusst, in was man da hineinschlittern kann ... Die Stimmung war immer so toll ... Es gab so ein prima Zusammengehörigkeitsgefühl, verstehst