Das Schweigen der Aare. André Schmutz

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Schweigen der Aare - André Schmutz страница 9

Автор:
Жанр:
Серия:
Издательство:
Das Schweigen der Aare - André Schmutz

Скачать книгу

geht leider nicht. Ich bin mit meiner Tochter verabredet, wir fahren ins Emmental zum Essen. Im Restaurant Rössli in Schafhausen gibt es heute Kalbsnieren, so viel man essen mag. Tut mir leid, maximal vier Minuten.«

      Lisa fragte sich, wie jemand den ganzen Tag Leichen obduzieren und am Abend Kalbsnieren essen konnte. Dabei vergaß sie weiter zu verhandeln. Erst als hinter der hinauseilenden Rechtsmedizinerin die Tür wieder krachend ins Schloss fiel, fasste Lisa wieder einen klaren Gedanken. Ein seriöses Studium des Dokuments war nicht mehr möglich. Am liebsten hätte sie einfach drauflos geheult. Zigerli blätterte gerade auf Seite zwei, als Lisa ein komischer lateinischer Ausdruck in die Augen sprang.

      »Hydrurus foetidus (goldbraune Alge)« stand in der viertuntersten Zeile auf der zweiten Seite des Berichts. Rasch überflog Lisa den gesamten Abschnitt. Im Haar von Siri wurden offensichtlich Teile dieser Alge gefunden. Die Alge kam in kleinen bis mittelgroßen Flüssen im Schweizer Mittelland vor.

      Kleine bis mittelgroße Flüsse, ging es Lisa weiter durch den Kopf. Intuitiv hätte Lisa Siri mit der Aare in Verbindung gebracht, auch wenn die Leiche neben dem Fluss gefunden worden war. Die Aare war aber kein kleiner bis mittelgroßer Fluss. Sie war der längste gänzlich innerhalb der Schweiz verlaufende Fluss.

      Ein großer Fluss.

      Vielleicht kommt die Hydrurus Alge auch in der Aare vor?«, spekulierte Lisa. Dennoch, eine innere Stimme flüsterte ihr zu, dass hier etwas nicht zusammenpasste. So sehr sich Lisa bemühte, die Ungereimtheit zu konkretisieren, ihr fiel nichts ein.

      »Ich muss Sie jetzt endgültig bitten, das Institut zu verlassen«, beendete die Kalbsnierenliebhaberin die Gedankenspiele von Lisa.

      Außerhalb des Instituts warteten finstere Dunkelheit und bittere Novemberkälte auf Lisa und Zigerli.

      »Ein paar Pommes in der Schwarzwasserbrücke wären doch keine schlechte Idee«, meinte Lisa plötzlich kleinlaut zur großen Überraschung von Zigerli. Der ließ sich in Aussicht auf ein schon entschwunden geglaubtes leckeres Abendessen nicht zweimal bitten.

      Die Algengeschichte beschäftigte Lisa auch während des Essens. Am Tisch herrschte Stille.

      Zigerli widmete sich mit Inbrunst seinem Roastbeef und später auch Lisas Gericht. Sie hingegen brütete in Gedanken weiter über dem Besuch in der Rechtsmedizin.

      »Thomas, ich denke, ich weiß jetzt, was mich gestört hat. Die Alge in Siris Haar. Wie kommt Ende November eine Alge in die Haare meiner Schwester?«

      »Vielleicht war sie kurz in der Aare – Vorbereitung für das Weihnachtsschwimmen.«

      »Das könnte tatsächlich sein, Siri ist praktisch das ganze Jahr über in der Aare gewesen. Aber die Aare ist kein kleiner oder mittelgroßer Fluss. Das heißt, die Alge müsste aus einem kleineren Fluss stammen, zum Beispiel aus …«

      »… der Sense!«

      »Du hast’s erfasst. Thomas, ich habe eine Hypothese, wie sich der Tod meiner Schwester erklären lässt. Lass uns die Rechnung begleichen. Wir fahren im Anschluss kurz an die Sense.«

      »Lisa, wir haben den 17. November, es ist stockdunkel, und draußen ist es arschkalt.« Thomas war von vornherein klar, dass er damit Lisa nicht umstimmen konnte. Aber sich kampflos herumkommandieren zu lassen, ging auch nicht.

      Eine Viertelstunde später parkierten Lisa und Thomas den kleinen knallroten Fiat Cinquecento in der Nähe der kleinen Steinbrücke nicht weit von der großen Schwarzwasserbrücke entfernt. Auf der Strecke von Bern nach Schwarzenburg führt die 65 Meter hohe Schwarzwasserbrücke über den kleinen Fluss Schwarzwasser, ungefähr 100 Meter vor dessen Einmündung in die Sense.

      Mit Thomas’ leistungsstarker Autotaschenlampe machte sich Lisa zielstrebig auf den Weg zur Schwarzwasserbrücke. Genau unterhalb der Brücke begann sie, sorgfältig das Flussbett und die umliegenden Geröll- und Steinhaufen auszuleuchten. Lisa wusste nicht genau, was sie eigentlich suchte. Einfach irgendeinen brauchbaren Hinweis. Fluchend stolperte Thomas hinter ihr her. Am liebsten wäre er im Auto geblieben, zumal es ohnehin nur eine Lampe gab. Seine Lampe. Die hatte im Moment aber Frau Manaresi.

      Eine knappe halbe Stunde dauerte das Leuchten und Blinken jetzt schon. Thomas fror erbärmlich. Mittlerweile am ganzen Körper. Es sollte noch schlimmer kommen. Gerade als Thomas zu einem entschiedenen verbalen Rückzugsappell ansetzen wollte, passierte es. Er rutschte auf einem feuchten Stein aus und lag kurz darauf, ohne Badehosen, dafür mit Jeans, Pullover und Jacke, im Schwarzwasser. Das Bad dauerte nicht lange. Lisa staunte, wie flink sich Zigerli bewegen konnte, wenn es drauf ankam.

      »Elender Mist«, jammerte Lisas Kumpel. »Mir reicht’s mit deinem beschissenen Nachtspaziergang!«

      »Hast du dir wehgetan?«, erkundigte sich Lisa in ihrer charmantesten Art.

      Hatte er nicht. Aber das brauchte die Dame nicht zu wissen. Ein leises Knurren war alles, was als Antwort von Thomas zurückkam. Mittlerweile war Lisa bei Thomas angekommen und betrachtete amüsiert das triefende Flussungeheuer. Zigerli war in der Tat zu bemitleiden. Seine Zähne klapperten vor Kälte wie eine alte Druckerpresse. Das fahle Licht eines müden Mondes, das eisige Flusswasser und die kleinen braunen Büschel einer namenlosen Wasserpflanze, welche Zigerlis Jacke, Hosen und sogar sein Gesicht zierte, gaben eine unheimliche Szenerie ab.

      »Lassen wir es gut sein.« Endlich hatte Lisa ein Einsehen mit ihrem Kollegen. »Ich lade dich auf einen Kaffee oder Glühwein zu mir ein.«

      Es war schon fast Mitternacht, als sich Zigerli wieder besser fühlte. Vorausgegangen waren eine warme Dusche und zwei Tassen heißer Glühwein.

      Lisas Stimmung hingegen war auf dem Tiefpunkt. Im Keller. Im tiefsten Keller.

      Sie versuchte, sich abzulenken, indem sie die vermeintlichen Treckingkleider von Zigerli zum Trocknen auslegte. Bald waren die nassen Kleidungsstücke auf diverse Stühle in der Wohnung verteilt. Einige der Textilien waren bereits wieder so gut wie trocken. Als sie die Jacke über eine Stuhllehne streifte, veränderte sich urplötzlich ihr Gesichtsausdruck.

      »Thomas, das Gestrüpp an deiner Jacke sieht irgendwie ähnlich aus wie die Algen, welche in Siris Haar gefunden wurden. Dieselbe braungelbe Farbe und die gleichen Fasern. Allerdings habe ich diejenigen von Siri nur auf Bildern gesehen.«

      »Ich weiß nicht. Ich hoffe einfach, dass mir der verdammte Algenmist nicht meine schönen Klamotten ruiniert hat«, ereiferte sich Zigerli.

      Lisa war bereits in die Küche geeilt und kam kurz darauf mit einem kleinen Einmachglas wieder zurück. Mit einer Pinzette zupfte sie vorsichtig etwas von dem Pflanzenmaterial von Zigerlis Kleidern. Sie hoffte sehnlichst, dass in der Rechtsmedizin noch etwas von der Algenprobe in Siris Haar vorhanden war, damit sie einen Vergleich der beiden Muster anstellen konnte.

      Würde sich herausstellen, dass die beiden Proben von ein und demselben Ort stammen?

      Es gab noch eine weitere Möglichkeit den aufkeimenden Verdacht zu erhärten. Dazu musste Lisa nochmals ans Schwarzwasser, noch einmal an Zigerlis nächtlichen Badeort. Ihr war klar, dass keine 20 Kamele Zigerli diese Nacht ein weiteres Mal nach draußen in die Kälte bringen würden. Ans idyllische Schwarzwasser schon gar nicht.

      »Solange ich nicht mitkommen muss, kannst du mit meinem roten Blitz

Скачать книгу