Westfalengau. Hans W. Cramer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Westfalengau - Hans W. Cramer страница 11
Nathan räusperte sich umständlich und sagte leise, mehr zu sich selbst als zu Paul: »Das ist ja ein Ding. Von so etwas habe ich noch nie gehört. Einfach unglaublich.«
9. Kapitel
Dortmund, Juli 2019
Die Tafel war festlich gedeckt. Großmutter Lina hatte das beste Geschirr und die edelsten Gläser aus den Schränken holen lassen. »Ich hatte ja erst an ein Buffet gedacht«, meinte sie in die allgemeine Runde. Aber so ist es doch viel gemütlicher. Die Einzigen, die heute springen müssen, sind meine lieben drei Helferinnen. Danke, dass ihr das für mich macht!«
Applaus brandete auf, als die jungen Frauen, die alle drei aus dem Dorf kamen, einen Knicks andeuteten.
»Die eine kenne ich noch von früher«, flüsterte Sabine Raster zu. »Das ist die Tochter von dem Pub-Besitzer im Dorf. Bei der habe ich damals manchmal gesittet.«
»Ihr habt einen Pub hier? Im kleinen Holthausen?« Raster wunderte sich.
»So ungewöhnlich ist das gar nicht«, antwortete Sabine. »Das sind Überbleibsel aus der Zeit der britischen Besatzung. Bis heute sind noch einige 1.000 Briten in Nordrhein-Westfalen stationiert. Und nicht wenige sind mit ihren Familien hier hängengeblieben. Ist ja auch viel schöner als im verregneten England.« Sabine lachte. »Nein, Scherz. Aber jedenfalls ist das die kleine Kim von dem Wirt. Die Kneipe gibt es, glaube ich, schon seit den 90er-Jahren.«
In diesem Moment wurde Sabine durch die erste Vorspeise unterbrochen. Es gab verschiedene Räucherfische mit unterschiedlichen Dips und Weißbrot. Dazu wurde ein eiskalter Sancerre von der Loire gereicht. »Für mich bitte nur Wasser«, bat Sabine, als eine der drei Kellnerinnen einschenken wollte.
»Sag mal. Das ist mir vorhin schon aufgefallen. Du trinkst ja heute keinen Tropfen Alkohol. Was ist los? Du bist doch nicht etwa …?« Raster brachte das Wort nicht über die Lippen.
Lachend antwortete Sabine: »Nein! Also nicht, dass ich wüsste. Mir war einfach nicht danach. Aber du hast vollkommen recht. Einen so guten Tropfen darf man nicht verschmähen.« Und damit winkte sie der jungen Frau, ihr doch ein Glas Wein einzuschenken.
»Habe ich euch eigentlich erzählt, dass bei mir eingebrochen wurde?«, fragte Lina in die kurzzeitig entstandene Stille hinein.
Entrüstet reagierte Günter als Erster auf diese Nachricht. »Aber Mutter, warum erfahren wir denn erst jetzt davon? Wann war das? Erzähl schon!«
»Ach, es ist ja nichts weiter passiert«, meinte Lina leichthin. »Vor knapp einem Jahr.« Sie überlegte kurz. »Ja, es muss im Oktober gewesen sein, nicht wahr, Fritz?«
Der Angesprochene nickte zustimmend, konnte aber nichts sagen, da sein Mund mit köstlichem Forellenfilet beschäftigt war.
»Ja, also. Fritz war wie immer als Erster auf«, fuhr sie fort. »Er weckte mich morgens ganz früh, ich sollte mir mal schnell was anziehen und runterkommen. Hier unten zeigte er mir Hebelspuren an der Terrassentür. Die haben sie aber offenbar nicht aufgekriegt. Dafür war das Fenster in der Speisekammer eingeschlagen. Da sind sie rein.«
»Was wurde denn gestohlen?«, fragte Barbara, die bekanntermaßen ein sensibles Wesen war und bei solchen Themen schnell Angst bekam. Hektische Flecken entstanden wie aus dem Nichts an Hals und im Dekolletee.
»Das war ja das Merkwürdige«, antwortete Lina. »Natürlich haben wir die Polizei gerufen. Die sind mit uns durch jeden einzelnen Raum gegangen. Es fehlte absolut nichts. Allerdings sind die Einbrecher in allen Räumen gewesen, was die Polizei anhand von Fußspuren nachweisen konnte. Stellt euch vor: Sogar in meinem Schlafzimmer sind sie rumspaziert, während ich geschlafen habe. Ist das nicht furchtbar?«
»Eine gruselige Vorstellung«, bestätigte Gernot. »Aber gut, dass nichts weggekommen ist.«
»Na ja. Offensichtlich haben die etwas Konkretes gesucht«, sagte Sabine nachdenklich. »Kein normaler Einbrecher macht sich solche Mühe, latscht durch das ganze Haus, lässt aber alles stehen und liegen, um dann wieder zu verschwinden. Allein, was hier unten an den Wänden hängt, ist doch ein Vermögen wert.«
»Hast du denn eine Ahnung, was sie gesucht haben könnten?« Raster fand es ein wenig komisch, diese alte, vornehme Dame, die er mal gerade einige Stunden kannte, zu duzen.
Lina schüttelte den Kopf. »Fritz und ich sind sogar zusammen mit der Versicherung die Listen aller Wertgegenstände durchgegangen. Nichts von alledem ist weggekommen. Weder Gemälde noch Schmuck oder Silber.«
»Merkwürdige Sache«, meinte auch Frieda. »Aber sollten wir nicht den Kindern erlauben, spielen zu gehen. Sie langweilen sich.«
Max, Klarissa und Lydia, die schon einige Zeit unruhig auf ihren Stühlen hin und her rutschten, riefen unisono »Au ja!«, und wurden entlassen. Sie waren, während die Erwachsenen ihren Fisch genossen, mit einer großen Portion Spaghetti Bolognese abgespeist worden.
Als Nächstes gab es ein feines Kressesüppchen mit Croutons, und anschließend konnten sie zwischen Schweinemedaillons in einer Champignonrahmsoße und Rinderfilet wählen. Für die Vegetarier Sarah und Christoph gab es Zucchinipuffer. Dazu wurden diverse Beilagen gereicht, und schon bald hörte man von dem einen und anderen ein zufriedenes Aufstöhnen.
»Aber der Höhepunkt kommt doch noch!«, rief Lina mit gespielter Empörung. »Meine selbstgemachte Zitronentarte aus Korfu.«
Alle außer Raster kannten dieses Zauberrezept, das Lina vor Jahren von einem Griechenlandurlaub mitgebracht hatte, und konnten nicht widerstehen. Selbst Raster, der kein Fan von Süßspeisen war, rollte begeistert mit den Augen, als er das letzte Stückchen von seinem Teller gekratzt hatte. »Wahnsinn!«, war sein kurzer, aber ehrlicher Kommentar.
Zwei Stunden später lag Sabine mit geschlossenen Augen in seinem Arm. Die Familie war auf die vielen Zimmer des Hauses verteilt worden.
»Wie geht es denn morgen weiter?«, fragte Raster träge und zog Sabine ein Stückchen näher zu sich heran.
»Ach, hast du das gar nicht mitbekommen?«
Raster schüttelte den Kopf.
»Wir sparen uns das Frühstück hier und fahren alle zum Brunchen nach Dortmund. Nur Oma bleibt hier. Das hat sie aber schon vor einiger Zeit angekündigt. Ihr wird das doch ein bisschen viel. Danach sitzen wir noch ein wenig im Garten zusammen, und ich weiß von Günter und Frieda, dass die dann nach Hause müssen. Meine Geschwister und wir bleiben noch bis Sonntagmittag. Ist das okay für dich?«
»Klar«, meinte Raster. »Deine Oma ist echt nett. Also für ’ne Oma.«
Sabine puffte ihn in die Seite. »Eh. Ich lass nichts auf meine Oma kommen.«
Zwei Minuten später richtete sich Sabine auf. »Sag mal, komische Sache das mit dem Einbruch. Findest du nicht auch?«
Doch von Raster kam keine Antwort mehr. Er träumte von einer riesigen Zitronentarte, die ganz Korfu bedeckte. Und er war der König von Korfu.
Am nächsten Morgen schliefen alle lange. Man traf sich erst um 10 Uhr vor dem Haus. Es war ein herrlicher Sommertag. Die Sonne schien von einem fast wolkenlosen Himmel, und die Temperaturen hatten angenehme 20 Grad erreicht. Sie verteilten sich auf so wenig Autos wie möglich