Westfalengau. Hans W. Cramer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Westfalengau - Hans W. Cramer страница 6
»Das ist der Bürgermeister von Brechten Hans Fleischhauer nebst Gattin Petra und Pfarrer Hilgenstock«, erklärte Sabine.
»Was hat denn der Bürgermeister um den Hals hängen?«, fragte Raster erstaunt, der eine solch breite und opulente Kette, geschweige denn bei einem Mann, noch nie gesehen hatte.
»Das ist die Amtskette, du Ignorant«, meinte Sabine. »Wird bei allen hohen Anlässen vom Bürgermeister getragen. Also auch beim 90. Geburtstag einer hochgestellten Persönlichkeit.«
»Wieso ist deine Großmutter eine hochgestellte Persönlichkeit? Okay, sie hat offensichtlich Vermögen, aber das heißt ja nicht automatisch, dass sie etwas Besonderes im politischen Sinne darstellt.«
Ein Schatten huschte über Sabines Gesicht, und kurzzeitig war ihr Lachen verschwunden. »Ich erkläre dir das später«, meinte sie nur und nahm einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse.
Raster war in Gedanken schon wieder ganz woanders und hatte die Veränderung im Gesicht seiner Freundin gar nicht mitbekommen. Er beobachtete interessiert die Küsschen links und rechts, die die Bürgermeistersgattin der Jubilarin auf die Wangen drückte. Gut, dass endlich jemand anderes im Mittelpunkt steht, dachte er erleichtert.
4. Kapitel
Brighton, Südengland, April 2017
Paul beobachtete verstohlen seine drei Kumpel. Dies war eine äußerst gefährliche Zeit. Er wusste, dass von diversen Brüchen vorher. Wenn alles, wie in diesem Fall, so glatt lief, verbreitete sich schnell eine Art Euphorie in der Truppe, die zu Fehlern führen konnte. Mit verheerenden Folgen für alle.
Keith und Simon wirkten noch einigermaßen überlegen, während sie angefangen hatten, das Diebesgut aus den großen Sporttaschen zu sortieren. Aber auch sie kamen aus dem breiten Grinsen nicht mehr heraus. Ethan allerdings wirkte übermütig und fahrig. Entgegen seiner sonst so stillen Art juchzte er jedes Mal wie ein kleiner Junge auf, wenn er ein Stück aus seiner Tasche klaubte. Außerdem ging er nicht gerade sorgsam mit den Dingen um. Paul musste ihn im Auge behalten.
Im Wohnzimmer der Wohnung hatte sich ein saurer Schweißgeruch in die klamme Kälte gemischt. Ein solcher Überfall war immer mit Stress verbunden, und das merkte man deutlich. Aber es war perfekt gelaufen. Vonseiten der Bankangestellten hatte es kaum Widerstand gegeben. Die drei Notfallknöpfe hatten sie innerhalb weniger Sekunden entdeckt und dafür gesorgt, dass sich keiner in ihrer Nähe aufhielt. Der Filialleiter hatte ohne Zögern die schwere Tür zu dem Raum mit den Schließfächern geöffnet, woraufhin alles sehr schnell gegangen war. Die Spezialwerkzeuge taten, was sie sollten, und innerhalb von wenigen Minuten waren sämtliche Fächer geleert, in denen sie vermeintlich Wertvolles gefunden hatten. Auch der Rückzug war schon fast zu glatt gegangen. Eine Warnung an die Angestellten hatte ausgereicht, ihnen einen ausreichenden Vorsprung zu verschaffen. Keine Sirene ertönte, und so waren sie ohne Hast in ihrer Wohnung in Brighton angekommen. Der kleine Umweg über einen befreundeten Schrotthändler, wo sie den Zweitwagen geparkt hatten, hatte sie gerade einmal 15 Minuten gekostet. Das Tatfahrzeug war sicherlich längst zusammen mit den Spezialwerkzeugen zu einem koffergroßen Metallblock zusammengepresst worden.
Auf den ersten Blick sah die Beute vielversprechend aus. Pauls Einschätzung über den Inhalt der Schließfächer schien ein Volltreffer zu sein. Er konnte Dutzende Colliers, Armreifen, Ketten und andere Schmuckgegenstände ausmachen. Dazu kamen antik aussehende Kästchen, Reiseaccessoires und diverse Papiere wie Schuldverschreibungen, Wertpapiere und Dokumente, die er zu einem späteren Zeitpunkt sichten wollte. Dies konnte sich zu seinem bisher größten Coup entwickeln, dachte Paul. Wenn seine Truppe sich in den nächsten Wochen zusammenriss, und wenn der Verkauf über diverse Hehler wie geplant über die Bühne ging.
»Also, Leute. Erst mal: super Arbeit. Ich denke, wir können stolz auf uns sein. Mit ein bisschen Glück könnten wir für einige Zeit ausgesorgt haben. Aber«, Paul verschärfte seinen Tonfall, »das funktioniert nur, wenn wir uns exakt daran halten, was wir vorher besprochen haben. Ist das allen klar?«
Allgemeines Kopfnicken unterbrach kurz das Grinsen und Händereiben.
»Das heißt: Jeder begibt sich an seinen vereinbarten Ort. Wir verteilen uns und halten die Füße still. Ihr bleibt während der ganzen Zeit getrennt. Achtet darauf, dass ihr nicht zu viel trinkt. Ihr wisst, was dann passieren kann!«
»Paul. Jetzt lass doch nicht dermaßen den Schulmeister raushängen! Wir wissen Bescheid. Aber ein bisschen Feiern ist ja wohl erlaubt, oder?«, maulte Simon.
»Ihr wisst selbst ganz genau, was ich meine, Leute. Wenn einem von euch was rausrutscht, sind wir alle dran, und die ganze Arbeit war für die Katz. Und noch etwas: Es wird die Zeit kommen, dass ihr ungeduldig werdet. Ich weiß das. In zwei oder drei Wochen werdet ihr denken: Wo bleibt denn nur der alte Paul mit dem Schotter? Hat der sich etwa aus dem Staub gemacht? Und dann passieren Fehler. Glaubt mir, ich hab es selbst schon erlebt. Ihr müsst mir vertrauen. Anders funktioniert das nicht. Und es kann dauern. Einen solchen Haufen vernünftig zu verkaufen, geht nicht innerhalb von ein bis zwei Wochen.«
Ethan rutschte auf der Sessellehne herum, auf der er Platz genommen hatte. Seine Augen glitten unstet hin und her. »Aber du meldest dich ganz bestimmt bei uns, Paul?«
»Ich verspreche es.«
Die Vier beglückwünschten sich noch einmal zu ihrem gelungenen Coup, zogen ihre Jacken an, schnappten sich ihre privaten Taschen und verließen nach sehr unterschiedlichen Verabschiedungen jeweils im Abstand von einer halben Stunde die Wohnung. Die Euphorie war verflogen. Eine gewisse Ängstlichkeit und auch etwas Misstrauen ihm gegenüber hatte sich stattdessen breitgemacht. Paul spürte das deutlich. Aber anders ging es nun mal nicht.
Allein in der Wohnung machte er sich daran, eine erste grobe Kalkulation vorzunehmen. Er hatte genug Erfahrung, um bei den meisten Gegenständen den Wert in etwa einzuschätzen und den Hehleranteil abzuziehen. Nach gut zwei Stunden erhob er sich, strich sich über die Haare und pfiff lächelnd durch die Zähne. Grob kam er auf einen Reingewinn von 1.200.000 Pfund. Das wären dann 600.000 für ihn. Nicht schlecht. Aber zunächst einmal standen ihm anstrengende Wochen bevor.
Sein Blick fiel auf einen Briefumschlag, den er bisher übersehen hatte. Er sah alt und vergilbt aus. Das Format war ungewöhnlich und heutzutage sicher nicht mehr üblich. Der Umschlag war geöffnet, die Lasche nur wieder eingesteckt. Paul öffnete ihn vorsichtig und zog ein ebenfalls gelbes und fleckiges Stück Papier heraus. Der untere Rand schien abgerissen zu sein. Eine Seite war handschriftlich beschrieben, die Tinte gut erhalten. Aber entziffern konnte Paul zunächst nichts. Diese Schrift hatte er noch nie gesehen. Wort für Wort versuchte er, irgendetwas zu entschlüsseln, bis er schließlich drei Buchstaben fand, die mit ein wenig Fantasie das deutsche Wort »das« bedeuten konnten. Zumindest das »a« war ziemlich eindeutig, das »s« sah allerdings wie eine »1« aus. Paul war neugierig geworden. Ein alter deutscher Brief in einem englischen Schließfach? Er nahm sich vor, Nathan, dessen Familie aus Deutschland stammte, danach zu fragen.
5. Kapitel
Münster, Februar 1944
Alfred von Strelitz war auf dem Weg nach Hause. Er hätte, wie üblich, seinen Chauffeur bitten können, ihn zu fahren, aber er musste nachdenken. Außerdem war das Wetter an diesem späten Februartag so schön, dass er Lust auf einen Spaziergang verspürte. Er hatte seine Dienststelle in der Bismarckallee 5 verlassen und war in östlicher Richtung aufgebrochen. Eine knappe Stunde würde er schon brauchen, bis er seine Wohnung in der Diepenbrockstraße erreichen würde. Zumal er einen kleinen Umweg über den Bahnhof eingeplant hatte, um mit seinem Mitarbeiter, Untersturmbannführer