Westfalengau. Hans W. Cramer

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Westfalengau - Hans W. Cramer

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hoch geschätzt. Hier fand man Sachen, die sonst nur schwer zu beschaffen waren. Die Preise waren human, und um die Herkunft der diversen Schmuck- und Antikgegenstände machte sich seine Kundschaft keine Gedanken. Die Polizei war des Öfteren in Nathans Etablissement aufgetaucht, da es immer wieder Hinweise auf Diebesgut gegeben hatte, doch erstaunlicherweise konnte nie ein einziges Stück gefunden werden, das aus dubiosen Quellen stammte. Und das lag hauptsächlich an der hervorragenden Vernetzung Nathans mit der örtlichen und sogar der Metropolitan Police, der er hin und wieder Hinweise auf wirklich böse Jungs gegeben hatte.

      Sein Alter war für Paul ein Rätsel. Seit Jahren unverändert: klein und dürr mit einem minimalen Rundrücken, der ihn immer etwas unterwürfig erscheinen ließ. Dazu ein permanentes wissendes Lächeln in den hellen, wachen Augen. Paul schätzte ihn auf 65 bis 80 Jahren, was so viel hieß wie, er wusste es einfach nicht.

      »Na, dann komm mal rein, junger Mann«, begrüßte ihn Nathan freundlich. »Wir haben uns ja eine Ewigkeit nicht gesehen. Wie geht es dir? Hab von der Sache im Süden gehört. Nicht schlecht, nicht schlecht.« Auch das gehörte zu den angenehmen Seiten des alten Mannes. Er sprach nie Worte aus, die in irgendeiner Weise verfänglich werden konnten. Der Name »Worthing« zum Beispiel. Die Stadt, in der der Raub stattgefunden hatte, musste nicht erwähnt werden. Wozu auch? Beide wussten genau, wovon Nathan sprach. Nicht, dass er Angst vor Wanzen hatte. Aber unnötige Risiken sollten vermieden werden, war einer seiner oft wiederholten Leitsprüche.

      Sie befanden sich in einer Art Werkstatt im hinteren Teil des Geschäftes. An den Wänden und in den Regalen hingen und lagen alle möglichen Werkzeuge, deren Funktionen sich Paul nicht erschlossen. In der Mitte stand ein großer alter Holztisch, der normalerweise voll mit zu reparierenden Gegenständen, jetzt aber leer geräumt war.

      »Na, dann zeig mal, was du Schönes mitgebracht hast.« Erwartungsvoll rieb sich Nathan die Hände.

      Paul packte die Sachen, von denen er hoffte, eine repräsentative Wahl ausgesucht zu haben, auf den Tisch. Daneben legte er die Fotos der restlichen Beute und die gestohlenen Dokumente.

      Nathans Augen wurden immer größer und größer, und plötzlich sprang er wie Rumpelstilzchen auf einem Bein um den Tisch herum und jauchzte wie ein kleines Kind. »Eieiei!«, rief er ein ums andere Mal. »A bisl un a bisl vert a fule shisl! Das hat sich ja wirklich gelohnt.«

      »Was hast du da gerade gesagt?«, fragte Paul, der kein Wort verstanden hatte.

      »Ach, das war nur so ein jiddisches Sprichwort. Heißt so viel wie: Ein Bisschen und ein Bisschen ergibt eine volle Schüssel.«

      »Aha.«

      Ohne den Blick vom Tisch abzuwenden, meinte er: »Nimm dir einen Kaffee, Paul. Steht in der Küche und ist noch einigermaßen frisch. Mach dir keine Gedanken wegen des Ladens. Der ist geschlossen. Wir sind ungestört. Hab Geduld. Das wird dauern.«

      Paul lächelte. Er kannte Nathan gut genug, um zu wissen, dass nun eine Zeit kam, wo er, Paul, abgeschrieben war. Er holte sich einen Becher, setzte sich still auf einen Stuhl in der Ecke und beobachtete Nathan bei seiner Arbeit.

      Dieser hatte sich einen großen Schreibblock, ein paar Instrumente und Fläschchen mit einer undefinierbaren Flüssigkeit sowie eine Waage und einen Laptop geholt. Methodisch ging er Stück für Stück durch, recherchierte im Internet, wog einzelne Teile und kritzelte immer wieder etwas auf seinen Block. Dann verglich er die Teile mit den Fotos, murmelte ein paar unverständliche Worte, schabte etwas von der Oberfläche eines Goldreifs ab und tröpfelte seine geheimnisvolle Flüssigkeit darüber. Dann wieder nahm er ein anderes Stück in die Hand und beäugte es durch eine Lupe, schrieb etwas.

      Paul fielen langsam die Augen zu, und sein Kopf sank auf die Brust.

      Plötzlich öffnete sich eine Tür in der Werkstatt, die Paul noch nie gesehen hatte, und herein kam: Sarah Dickinson. Seine alte Freundin und erste Liebe. Verführerisch lächelte sie Paul an und schritt mit schwingenden Hüften auf ihn zu. Viel an hatte sie nicht. Ein knappes Top und zu kurze Hotpants. Dafür war sie von oben bis unten mit Schmuck behangen. Glitzernde Ohrringe, ein dickes Diamantcollier, Goldarmreife, Fußkettchen und sogar eine Hüftkette, deren zentraler Saphir ihren schönen Bauchnabel zierte. »Ich bin ja damals so dumm gewesen, als ich dich verlassen habe, mein Liebster«, schnurrte sie, während sie immer näherkam. »Jetzt weiß ich, was für ein tolles Schnäppchen du bist. Nimmst du mich mit auf deine Jacht?«

      Paul war bewusst, dass er einen reichlich dämlichen Gesichtsausdruck an den Tag legte. Sein Mund stand offen, und ein dünner Speichelfaden rann aus dem linken Mundwinkel. Aber er war nicht in Lage, etwas dagegen zu tun.

      »Paul! Paul! Hallo, aufwachen! Ich bin fertig. Hast du gut geschlafen?«

      Erschrocken fuhr Paul hoch und wischte sich den Speichel vom Mund. »Entschuldige, Nathan. Ich bin kurz eingenickt.«

      »Von wegen. Du hast geschlafen wie ein Baby. Und deinem Gesichtsausdruck nach hast du außerdem schöne Träume gehabt.« Nathan lachte. »Also, pass auf! Du hast hier einen echten Schatz mitgebracht. Das ist, und ich übertreibe nicht, der größte Wurf in den letzten zehn Jahren. Natürlich lässt sich nicht alles so verkaufen, wie es hier liegt. Einige Dinge müssen umgearbeitet werden. Du verstehst schon. Aber insgesamt komme ich, abzüglich meines bescheidenen Honorars, auf gut 1,000.000 Pfund für dich. Was sagst du?«

      Paul grinste. »Mach eins Komma zwei draus, und wir sind im Geschäft.«

      Nathan überlegte nur kurz, nickte dann aber und hielt Paul seine Hand hin. Dieser schlug ein. Man war sich einig.

      Für Paul war das in mehrfacher Hinsicht ein ganz entscheidender Vorteil. Einerseits freute er sich über die Summe, die er offensichtlich richtig geschätzt hatte, andererseits gewann er viel Zeit, da er sich nicht um weitere Hehler, nervenaufreibende Verhandlungen und gefährliche Transporte des Diebesgutes von A nach B kümmern musste. Das würde alles Nathan übernehmen.

      »Ich habe da noch eine Kleinigkeit, Nathan, woraus ich nicht schlau werde. Wie ist dein Deutsch?«

      Nathan vergaß für einen kurzen Augenblick sein ständiges Lächeln und zog die Stirn kraus. »Du weißt von meiner Geschichte, Paul? Oder? Hab ich dir doch erzählt.«

      Paul nickte. Er wusste, dass Nathans Familie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft aus Nazideutschland fliehen musste. Nicht alle hatten es rechtzeitig geschafft.

      »Deshalb mach ich nach wie vor um alles, was mit diesem Land zu tun hat, einen großen Bogen. Was ist es denn?«

      Paul holte den vergilbten Briefumschlag aus seiner Jackentasche. »Lag in einem der Schließfächer«, sagte er und reichte ihn Nathan.

      Dieser setzte seine Lesebrille auf und betrachtete zunächst nur den Umschlag. »Da ist keine Adresse drauf. Stammt der Brief aus Deutschland?«

      Paul nickte. »Ich glaube schon.«

      »Mit diesem Umschlag ist der aber nicht verschickt worden. Das ist ein alter englischer. Das Format war in den 30er- bis 50er-Jahren üblich. Stammt wahrscheinlich aus dem Norden. Siehst du hier diese kleine Signatur?«

      Nathan wies auf drei kaum sichtbare eingepresste Buchstaben auf der Innenseite der dreieckigen Verschlussklappe. »Das ist die Signatur einer Papierfabrik in Leeds. Die gibt es übrigens heute noch. Na, dann schauen wir mal weiter.« Er öffnete den Umschlag und nahm vorsichtig das Blatt Papier heraus. Mit nach wie vor gerunzelter Stirn fing er an zu lesen. Einige Minuten später zog er sich einen Stuhl heran, setzte sich und las weiter. Er brauchte lange, bis er den Brief

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