Westfalengau. Hans W. Cramer
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Als Nächstes durfte Onkel Günter das Wort ergreifen. Seine Rede war deutlich länger, und Raster verspürte schon nach wenigen Minuten einen unsäglichen Drang, dem Korn erneut zuzusprechen. Wobei ihm ein Glas Bier viel lieber gewesen wäre. »Ich muss mal auf die Toilette«, raunte er Sabine zu. »Wo finde ich die denn?«
»Kannst du nicht noch ein bisschen warten? Jetzt kommt der Bürgermeister. Dann zeig ich dir alles.«
Raster rollte mit den Augen, ergab sich aber in sein Schicksal. Eigentlich musste er ja auch gar nicht. Letztlich war er jedoch froh, die Ansprache des Oberhaupts von Dortmund-Brechten nicht verpasst zu haben. Es wurde interessant: Fleischhauer lobte Lina Funda über den grünen Klee für ihr Engagement beim Bau des Kindergartens, der Grundschule, des Sportplatzes und so weiter. Und das sogar gegen den Widerstand ihres verstorbenen Gatten – Gott habe ihn selig. Diese Wohltätigkeiten hätten ja schon mit ihrem Vater, dem alten von Strelitz, begonnen, ohne den es Holthausen und Brechten in ihrer jetzigen Form wahrscheinlich gar nicht geben würde.
Raster kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. »Dann bist du ja eine richtig gute Partie. Ich wusste gar nicht, dass deine Familie so reich ist«, flüsterte er ein wenig verwaschen.
»Sch. Sei still! Ich will weiter zuhören.«
Da sähe man mal wieder, dass auch aus der dunkelsten Vergangenheit Gutes entstehen kann, endete gerade Bürgermeister Fleischhauer seine wirklich schöne Rede und prostete Lina zu. Alle Gäste erhoben ihre Gläser, und ein vielstimmiges Hoch-soll-sie-leben schallte über die Wiese, und die angrenzenden Koppeln.
»So richtig freut sich deine Oma aber nicht über diese tolle Ansprache«, sagte Raster.
Lina war auf ihren Stuhl gesunken und wirkte plötzlich kleiner als vorher. Gedankenverloren schaute sie auf ihren leeren Teller und schien gar nicht zu bemerken, dass Onkel Günter begeistert auf sie einredete.
»Raster, bitte! Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich dir das später erklären möchte. Nicht jetzt.« Sabine stand auf und verabschiedete sich von den Freunden aus dem Dorf, die aufbrechen wollten.
Die übrige Gesellschaft nutzte die freien Plätze, sich neu zu gruppieren, und Raster landete neben Cousine Barbara, mit der er ein angeregtes Gespräch über IT-Anwendungen führen konnte, da auch sie in der Branche tätig war. Die kleine Ungereimtheit hatte er schon bald wieder vergessen.
Sabine spielte mit Hanna, den beiden Mädchen und Max Krocket, und die übrige Familie hatte sich im kleineren Kreis zusammengesetzt und plauderte über dies und das. Die Mädchen wurden schließlich zu ihrer versprochenen Reitrunde abgeholt, und nach und nach wurden die ersten Jacken für die Damen herausgebracht. Es wurde kühler, und der Abend brach langsam an. Barbara entschuldigte sich bei Raster, sie hätte versprochen, bei den Vorbereitungen für das Abendessen zu helfen.
Einen Moment genoss es Raster, allein das mittlerweile ruhigere Treiben auf dem Rasen beobachten zu können. Verliebt schaute er Sabine zu, wie sie Max half, die Kugel durch ein schwieriges Doppeltor zu schlagen. Wie lange hatte er vergeblich darauf gewartet. Über 20 Jahre wohnten sie mit Philo zusammen in der WG in Dortmund. Alles hatte er versucht, Sabines Herz zu erobern. Mit Romantik, was ihm mehr schlecht als recht gelungen war, mit Coolness, was schon eher sein Ding war, aber so überhaupt nicht Sabines. Er hatte sein Leben für sie riskiert, als er damals nur für sie nach Afrika gereist war, um ihr die Augen zu öffnen. Er hatte sie mit seinem Körper vor einem drohenden Schuss geschützt. Aber all das hatte ihr Herz nicht für ihn geöffnet. Und was war es dann letztendlich gewesen? Raster musste unwillkürlich laut lachen, als er daran zurückdachte, und zog einige irritierte Blicke auf sich. Sein Geruch war es. Sein ihm ganz eigener Geruch. Plötzlich stimmte die Chemie. Alles war klar. Und was das Besondere war: Diese 20 Jahre, die sie miteinander verbracht hatten, waren ja nicht verloren. Nein, sie konnten darauf aufbauen. Sabine und er kannten sich so gut wie kaum ein anderes Paar, das frisch zusammen war.
Wie gut, dass Philo auch endlich seine Liebe gefunden hat, dachte er. Raster wusste, was für ein großes Paket sein Freund mit sich herumschleppte. Eine zutiefst traumatisierende Kindheit, bevor er mit seinen Eltern nach Dortmund gezogen war, hätte ihn ohne Weiteres in eine endgültige Einsamkeit werfen können. Zumindest was eine Partnerschaft anging. Aber in Susanne hatte er eine tolle junge Frau gefunden, die ihn genau da annahm, wo er war und wo er herkam.
Als Raster in seinen Gedanken bei diesem Punkt angekommen war, bemerkte er, dass sich Cousin Gernot aus dem Kreis der Verwandten erhoben hatte und sich suchend umblickte. Sein Blick fiel auf den allein Sitzenden, und schon machte er sich auf den Weg. Auf dem vom Kaffeegeschirr befreiten Tisch standen mittlerweile einige Gläser mit frisch gezapftem Bier. Gernot schnappte sich zwei und setzte sich mit einem schiefen Grinsen neben Raster. »Na, du siehst aus, als könntest du auch eins gebrauchen. Ich bin Gernot. Ein Vetter von Sabine. Und du bist also Raster. Hat Sabine doch noch einen abgekriegt.« Er lachte. »Nichts für ungut. Aber in unserer Familie war man eigentlich davon ausgegangen, dass Sabine für immer und ewig ein Mauerblümchen bleibt.« Gernot hielt Raster seine rechte Hand hin, die dieser etwas widerwillig schüttelte.
»Hallo, Gernot. Ja, da bin ich wohl für deine Familie zum Blumenpflücker avanciert.«
Gernot runzelte die Stirn. Man sah ihm deutlich an, dass er keinen Schimmer hatte, wovon Raster sprach. »Was machst du so beruflich?«, fragte er stattdessen.
»Ich bin in der IT-Branche tätig«, antwortete Raster kurz und musterte Gernot. Sein Kleidungsstil war tatsächlich dem seinen von früher nicht unähnlich. Nicht verdreckt, aber ungebügelt und lodelig, wie Sabine sagen würde. Er war unrasiert und, seinen Haaren zufolge, auch ungeduscht, was Raster an diesem speziellen Tag doch etwas merkwürdig fand. »Und du bist zurzeit in einer Art Selbstfindungsphase?«, fragte er sein Gegenüber.
Gernots Blick hellte sich auf, und seine Körperspannung nahm deutlich zu. »Ja, kann man so sagen. Ich stehe kurz vor der Selbstständigkeit.«
»Oh!«, heuchelte Raster Interesse. »Was hast du für Pläne? Erzähl!«
»Verschiedenes. Insbesondere aber will ich in Immobilien machen. Du musst wissen: Hier, im Norden Dortmunds bis rüber nach Dülmen, wo ich zurzeit wohne, gibt es einen unglaublichen Bedarf an hochwertigen Eigenheimen. Die Gegend ist ungemein beliebt. Du brauchst nur hier und da ein wenig Land von den Bauern abzwacken, und schon kannst du Millionen machen.«
»Aber braucht man dazu nicht ein gewisses Eigenkapital?«
»Na ja. Schon. Aber mal unter uns. Sieh dich doch um. Siehst du hier etwas anderes als brach herumliegendes Kapital? Wenn ich daran denke, was dieser Pfarrer und der Bürgermeister vorhin geschwafelt haben. All diese Spenden und Wohltätigkeiten.« Gernot zog das Wort zynisch in die Länge. »Alles Verschwendung, sag ich dir. Richtig investiert, kannst du mit dem Schotter meiner Familie ein Vermögen machen.«
»Und du meinst, dass du an dieses Vermögen deiner Großmutter einfach so rankommst?«, fragte Raster unschuldig.
»Vielleicht nicht sofort. Aber über kurz oder lang wird sich da schon was machen lassen.« Gernots Blick wurde misstrauisch. »Du glaubst mir nicht, oder?«
Raster lachte. »Doch. Wenn du das so sagst, wird es schon stimmen. Aber weißt du, mir ist Geld so dermaßen egal. Ich bin, glaube ich, der falsche Gesprächspartner für dieses Thema. Mach du mal dein Ding. Ach, übrigens, das Abendessen scheint fertig zu sein. Barbara winkt uns rein.«
Gernot wirkte ein wenig beleidigt, als ihn Raster allein zurückließ, sprang dann aber auf und folgte ihm ins Haus, wo sich die meisten