Europa im Schatten des Ersten Weltkriegs. Группа авторов

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prekär empfundenen Lage.

      Marginalisierte Menschen aller Art bevölkern die beiden Œuvres der beiden Autoren altösterreichischer Provenienz. Im Falle Horváths denke ich, um nur die bekanntesten Werke zu erwähnen, an Kasimir und Karoline oder an Der ewige Spießer, in der die Marginalisierung des Mannes mit Arbeitslosigkeit mit Weltfremdheit und männlicher Marginalisierung einhergeht, zu denken ist auch an die gescheiterten, zumeist männlichen Existenzen in Geschichten aus dem Wiener Wald, vor allem aber an die beiden Versionen seines Sladeks, die im kommenden Abschnitt behandelt werden. Bei Joseph Roth, dem Erfinder des Kurzromans, wären Die Flucht ohne Ende, der Heimkehrer-Roman Hotel Savoy oder Die Rebellion, der Geschichte eines äußerlich wie innerlich amputierten Mannes, zu erwähnen – übrigens ist auch die Geschichte der ostjüdischen Familie Singer (Hiob) durch Marginalisierung und Migration bestimmt. Der Text, der indes den Zusammenhang zwischen Marginalisierung und Rechtsradikalismus literarisch demonstriert, ist der Roman Das Spinnennetz – es ist der zweite Text, der einer exemplarischen Analyse unterworfen wird.

      4. Close Reading I: Horváths Sladek oder Die schwarze Armee

      Sladek oder Die schwarze Armee sowie Sladek, der schwarze Reichswehrmann, ein stark verkürztes Kondensat, das nicht an die Erstfassung heranreicht, sind, wenn man die Vorarbeiten und Recherchen mit einbezieht, in den Jahren zwischen 1927 und 1929 entstanden, zu einer Zeit also, in der es schien, als ob die Weimarer Republik den schlimmsten Ansturm ihrer Gegner überstanden habe, weshalb sich ja einige der Proponenten des rechten Milieus, nachdem der Aufmarsch gegen die Republik misslungen ist, am Ende des Stücks ins Ausland absetzen.

      Horváths Stück setzt mit einer „rechtsradikalen Versammlung“ ein, was auch durch die Bezeichnung „Hakenkreuzler“1 und später durch die Erwähnung der „Sturmabteilung Hitler“2 expliziert wird. Diese jagen einen linken Redakteur namens Franz, der sich in die Versammlung eingeschlichen hat. Die Funktion der Szene besteht darin, das symbolische Mobiliar der marginalisierten Aufständischen vorzuführen, ihre Symbole, Diskurse und Narrative. Eines davon ist die Erzählung vom verratenen Sieg („Wir hätten den Krieg verloren? Solche Subjekte haben uns Sieger erdolcht […]“), ein anderes ist eine rassistische („Am Rhein schänden syphilitische Neger deutsche Frauen“).3 Auch darf der Aufruf der beschädigten Ehre nicht fehlen. All diese rechtsradikalen Versatzstücke lassen sich unter dem Schirm eines nationalistischen Opfer-Narrativs stellen. Dessen Besonderheit besteht nicht zuletzt darin, dass hier das Schicksal des Landes, Deutschlands, mit der eigenen Deplacierung eng geführt wird. Erst dadurch entsteht jener affektive Überschuss an Wut und Hass, der sich gegen das „System“ und seine vermeintlichen oder auch wirklichen Vertreter wie Franz richtet, der davon ausgeht, dass die Demokratie in Deutschland noch nicht vollständig etabliert ist und in der Verurteilung der Versailler Verträge mit den Rechtsradikalen übereinstimmt.4

      Vorgeführt werden im Stück mordlustige Sprache und Hass-Gesänge („Schlagt zum Krüppel den Doktor Wirth“, „Knattern die Gewehre, tack, tack, tack, / Aufs schwarze und das rote Pack“). Erschreckend prophetisch ist auch die triumphale Aussage des „zweiten Hakenkreuzlers“: „Wenn‘s losgeht, dann kommt ein Gesetz, daß sich jeder Jud einen Rucksack kaufen muß. Was er hineinbringt, das darf er mitnehmen nach Jerusalem. Was er nicht hineinbringt, gehört uns.“5

      Für dieses symbolische Mobiliar, seine Codes und seine Erzählungen, muss selbstredend ein Aktionsraum geschaffen werden. Dieser wird bereits im Titel aufgerufen: Es ist jener der illegalen Reichswehrverbände. Bekanntlich wurden durch die Verträge von Versailles und (im Falle von Österreich) Saint Germain die Truppenbestände der geschlagenen Mittelmächte radikal reduziert, was in beiden Fällen zur Bildung von paramilitärischen Verbänden führte, denen sich – Zustand eines latenten Bürgerkrieges – wiederum linke bewaffnete Einheiten entgegenstellten. Das Verhältnis zwischen den rechten Parteien (Völkische, Deutschnationale) und diesen illegalen, schwarzen Reichswehrverbänden, war – das klingt bei Horváth an – ungeachtet weitgehender ideologischer Übereinstimmung von Rivalität und unterschiedlichen Interessen bestimmt, die, wie die Entmachtung der SA im Gefolge der Röhm-Krise anno 1934 zeigt, im Falle des Nationalsozialismus auch nach der Machtergreifung Hitlers fortwirken sollte.

      Die politisch, sozial, sexuell und politisch Marginalisierten, die sich in der neuen Welt der liberalen Demokratie nicht zurechtfinden können und wollen, schaffen sich eine Parallelwelt, in der die Codes der alten vor dem Ersten Weltkrieg fortwirken und doch von neuen überlagert sind, die sich auf den Bruch von 1918, die Ursache der Marginalisierung, richten. Die reguläre neue Welt ist ihnen fremd, so wie sie fremd und deplaciert in ihr sind. Einer dieser Hakenkreuzler namens Knorke spitzt diesen Sachverhalt zu, wenn er dem Fräulein an dem Schank im „Weinhaus Zur alten Liebe“ sagt, dass sie noch in der alten Uniform stecken – ich zitiere hier den gesamten Dialog:

      DAS FRÄULEIN: Die Herren sind Soldaten.

      SALM: Wir sehen nur so aus.

      DAS FRÄULEIN: Ich liebe die Uniform. Ich bin eine Deutsche aus Metz. Wir hatten viel mit den Herren Soldaten zu tun. Wenns wieder Krieg gäb, das wär fein.

      HORST: Sie werdens noch erleben, Mädchen.

      DAS FRÄULEIN: Ich wär auch glücklich mit einem Manöver. Die Herren sind doch Soldaten!

      RÜBEZAHL: Wir sind keine Soldaten, dumme Kuh.

      KNORKE: Wir haben uns noch nicht umgezogen seit dem Krieg.

      DAS FRÄULEIN lacht: Oh pfui, wie pikant6

      Das Lachen des Fräuleins ist ein geschickter Trick des Textes, verweist es doch auf die hygienische Unanständigkeit, sein Gewand nicht wechseln zu wollen. Die Aussage Knorkes bringt indes den Sachverhalt der Fremdheit der Weltkriegssoldaten genau auf den Punkt: Sie stecken real wie metaphorisch in der alten Uniform. Der Krieg hat sie, so ein anderer Hakenreuzler, zu dem ‚Mann‘ gemacht, der er nun ist. Sie leben im Code einer alten Welt und sie befinden sich noch immer in einem soldatischen Zustand der Mobilmachung, der nun nicht mehr allein dem äußeren, sondern vornehmlich dem inneren Gegner, der modernen liberalen Welt, gilt.

      Zu diesem symbolischen Gewand gehört eine sich protzig gebende Präsentation programmatischer Grausamkeit, die beim Mordplan gegen eine Frau, von der die Bande fürchtet, sie werde die Geheimnisse der schwarzen Reichswehr an den Feind verraten, offen zutage tritt. Der Hakenkreuzler Horst demonstriert seine unbeirrbare Bereitschaft zur Gewalt, die er an dem „Schandweib“ Anna („gehört totgeprügelt“) exekutieren will, am Beispiel seines Umgangs mit seinem Hund:

      SALM: Könntest du sie totprügeln?

      HORST: Im Interesse des Vaterlandes, jederzeit. Wir hatten zu Hause einen reinrassigen Dobermann. Dem habe ich einmal die Beine zusammengebunden und losgeprügelt bis ich nicht mehr konnte. Das Vieh gab keinen Ton von sich. Es gibt so stolze Köter. Es hat mich nur angeschaut.7

      Innerhalb dieser Gruppe gibt es einen Außenseiter. Der vierte Hakenkreuzler ist psychologisch nämlich anders als seine Kameraden gestrickt. Pointiert und gruppendynamisch gesprochen ist seine Randständigkeit eine doppelte, er möchte, ehemaliger Spartakist, Teil der revoltierenden marginalisierten Männer werden und ist doch innerhalb dieser Gruppe abermals marginalisiert, etwa durch seine Beziehung mit Anna, dem „Schandweib“. Sein slawischer Name, Sladek (zu Deutsch etwa ‚der Süße‘), signalisiert, dass er auch ethnisch ein Fremder ist, der sich und den anderen beweisen will, dass er dazugehört. Horváth hat ihn in einer Selbstinterpretation des Stücks zutreffend als „eine Gestalt […] zwischen Wozzek und Schwejk“8 bezeichnet. Er sei, fährt der Autor fort, ein „pessimistischer Sucher“, der die „Gerechtigkeit“ liebt, ein Mensch, der den Boden unter den Füßen verloren hat, ein Mensch, der zum Mitläufer

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